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# taz.de -- Die Wahrheit: Letzter Ausweg Schlittschuhrobbe
> Schweizer können Eislauf, Schwaben nicht. Aber was tut man nicht alles,
> um der Schwiegerfamilie zu helfen.
Bild: Ballons sollten sich in den USA besser in Sicherheit bringen
Der Januar ist mein Regenerationsmonat, den ich mit all seinen 31 Tagen
brauche, um mich vom traditionellen Schlittschuhlaufen Ende Dezember zu
erholen. Die Frau, mit der ich in einem Verhältnis amouröser Abhängigkeit
lebe, ist Schweizerin. So begibt sich’s, dass wir beim Besuchen der
helvetischen Großfamilie zwischen den Jahren alle miteinander aufs Eis
gehen. Denn die Schweizer werden mit Kufen geboren.
Ich selbst hingegen bin leider nur Schwabe, was mir zwar die Kommunikation
erleichtert: Wo der Schwabe ein diminutives -le nachsilbt, spricht der
Eidgenosse halt ein -li. Weihnachtsplätzchen zum Beispiel heißen in
Stuttgart Guetzle und in Luzern Guetzli. Insofern muss ich da sprachlich
nur ein wenig transponieren.
In puncto Wintersportbewegungen jedoch sieht’s assimilatorisch schlecht
aus. Mein Körper ist darauf geeicht, regelmäßig das Treppenhaus zu fegen,
Bausparverträge abzuschließen, Kässpätzle zu futtern und während all dieser
Tätigkeiten beiläufig sechs Halbe oder Viertele zu kippen.
Warum der Schwabe ungeeignet für alpine Leibesertüchtigung ist, haben
Genetiker und Kulturforschende längst ergründet: Skifahren etwa galt schon
immer allein wegen der Wucherpreise als Verrat am Schwabentum. Und eine
Eishalle zu frequentieren, kommt dem Schwaben schon deshalb nicht in den
Sinn, weil er ja genauso gut gratis über einen gefrorenen See schlittern
kann. Weil solch eine billige naturgemachte Eisplatte aber gelegentlich
einbricht, sind alle schlittschuhlaufenden Schwaben mit der Zeit
ausgestorben. Glauben Sie nicht? Meine Freundin auch nicht.
## Der Ma
Drum kreuche und stolpere ich alljährlich unter den Augen 5- bis
65-Jähriger ganz außen an der Bande wacklig den Eisring entlang. Mein
Schweizerdeutsch ist nicht perfekt, aber ich bin ziemlich sicher, gehört zu
haben, wie eine fremde Frau einmal in Richtung ihres Kindes geflüstert hat:
„Lueg döt ned so hi, der Ma esch behindert!“
Nach einer halben Runde, sprich: einer halben Stunde, kam diesmal die
Nichte meiner Partnerin mit einer Schlittschuhrobbe angeschossen – einer
Art Eisrollstuhl. Das Kind fragte, ob ich mich nicht lieber setzen wolle.
Das Kind ist 9 Jahre alt. In meiner Hilflosigkeit nahm ich das Angebot
wahr. Es gibt Fotos, die zeigen, wie ich und meine Kässpätzlekilos auf der
Schlittschuhrobbe thronen und das arme Mädchen unter Aufbringung all seiner
Kräfte schiebt. Und ich Idiot lache darauf auch noch.
Dann geschah, was geschehen musste. Ausgelaugt keuchte meine Chauffeurin:
„Ond jetz schieb du mech!“ Die Neunjährige hatte mit dem Leben offenbar
schon abgeschlossen. Aber verweigern konnte ich schlecht, wollte ich mir
doch einen Funken Ansehen bei der Schwiegerfamilie bewahren, die den
Wechsel allerdings nicht minder bang beäugte als ich selbst. Auch die
Sanitäter gingen in Lauerstellung. Doch keine Sorge: Nichte und
Schlittschuhrobbe haben überlebt. Und ich erhole mich.
17 Jan 2023
## AUTOREN
Cornelius Oettle
## TAGS
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