# taz.de -- Klimabewegung in Russland: Der Kusbass grüßt Lützerath | |
> Russische Kohlegegner:innen haben sich mit dem Klimaprotest in | |
> Lützerath solidarisiert. Ihr Engagement wird in Russland immer | |
> gefährlicher. | |
Bild: Kraterlandschaften wie auf dem Mond: Kohleabbau im russischen Saretschny | |
Berlin taz | Eine dicke Schneedecke liegt über der Landschaft, die wegen | |
der vielen Krater aussieht, als befände man sich auf dem Mond. Zweistellige | |
Minusgrade herrschen zurzeit in der südsibirischen Region Kusbass, | |
Russlands größtem Kohlerevier. | |
Eine Gruppe von sieben Menschen guckt ernst in die Kamera, alle sind dick | |
eingepackt in Anoraks, Mützen, Fellkapuzen. „Liebe Einwohner von Lützerath | |
und alle die, die ihr gegen die Energiegesellschaft kämpfen tut“, sagt eine | |
Frau auf Deutsch mit russischem Akzent in die Kamera. „Euer Kampf gegen die | |
Energiegesellschaft ist sehr wichtig, weil es ein perfektes Beispiel dafür | |
ist, wie ein Mensch seine Rechte und sein Leben schützt.“ | |
Es ist eine [1][Videobotschaft] russischer Klimaaktivist:innen an | |
ihre deutschen Mitstreiter:innen, die im Januar den nordrhein-westfälischen | |
Ort Lützerath vor der Abbaggerung bewahren wollten – aber nach Tagen mit | |
Tausenden Protestierenden komplett geräumt wurde. Der Energiekonzern RWE, | |
die „Energiegesellschaft“, wie sie in dem Video bezeichnet wird, will unter | |
Lützerath Braunkohle fördern. Den Kampf gegen die Kohle teilen die | |
russischen Klimaaktivist:innen, auch wenn die Bagger im Kusbass Steinkohle | |
abbauen, wenn sich ihre gigantischen Schaufelräder durch die Landschaft | |
fräsen. Aus Sicherheitsgründen nennen sie nicht ihre Namen oder das genaue | |
Datum, an dem das Video aufgenommen wurde. | |
Dass das Video authentisch ist und die Menschen darin wirklich lokale | |
Kohlegegner:innen sind, bestätigt aber einer, der sich in der Szene | |
bestens auskennt: [2][Anton Lementuev]. Er koordiniert im Kusbass die | |
lokalen Initiativen gegen die Kohle für die Umweltorganisation Ecodefense, | |
[3][deren Gründer Wladimir Sliwjak 2021 den Alternativen Nobelpreis bekam]. | |
Lementuev steckt außerdem hinter dem Dokumentarfilm „Сondemned“, der | |
Menschenrechtsverletzungen durch den Kohlebergbau in der Region verfolgt. | |
Er selbst hält sich derzeit nicht in Russland auf – zu gefährlich. Russland | |
hat Ecodefense [4][als „ausländischen Agenten“ eingestuft], was den | |
Behörden ein rigides Vorgehen gegen die Umweltschützer:innen | |
ermöglicht. | |
## 2020 gab es noch ein großes Protestcamp | |
„Viele Menschen im Kusbass beobachten aus der Ferne, wie die einfachen | |
Menschen in Deutschland gegen die mächtigen Kohleunternehmen kämpfen“, sagt | |
Umweltaktivist Lementuev der taz. „Die Menschen im Kusbass können sich | |
nicht gegen den Krieg aussprechen, das ist gefährlich, aber sie können | |
solidarisch sein, weil sie mit den Aktivist:innen in Lützerath | |
sympathisieren und sie verstehen.“ Die Menschen im Video seien maßgeblich | |
an Protesten gegen eine neue Kohleverladestation direkt neben dem Dorf | |
Tscheremsa beteiligt gewesen. Im Sommer 2020 hatte es dort noch ein großes | |
Protestcamp gegeben. Die Aktivistinnen und Aktivisten bewirkten | |
tatsächlich den Stopp des Projekts. Bis heute haben sie allerdings mit zum | |
Teil heftigen Strafverfahren zu kämpfen. Das Video zeige sie auf einem | |
Stück Land, das ohne ihren Protest heute bebaut wäre, berichtet Lementuev. | |
Auch wenn sich die Aktivist:innen in dem Video nicht ausdrücklich gegen | |
Putin wenden, ist die Aufnahme nicht ungefährlich. „Diese Leute sind bei | |
der Aktion ein großes Risiko eingegangen, weil sie deutsche | |
Aktivist:innen unterstützten, denn die russische Propaganda spricht | |
ständig davon, dass Deutschland die ukrainische Armee unterstützt“, sagt | |
Lementuev. | |
## Viele Aktivist*innen haben das Land verlasse | |
Die Bedingungen für den Umwelt- und Klimaaktivismus in Russland sind seit | |
Beginn des Krieges in der Ukraine noch deutlich schwieriger geworden. | |
Politische Restriktionen und die Unterdrückung sowie die Verfolgung | |
jeglicher Artikulation von Unzufriedenheit im Land haben weiter zugenommen. | |
Einige Umwelt- und Klimaaktivist:innen haben sich wie Lementuev | |
entschlossen, das Land zu verlassen und weiterhin offen zu sprechen. Einer | |
von ihnen ist Arshak Makichyan, eines der berühmtesten Gesichter von | |
Fridays for Future in Russland. Im vergangenen Frühjahr floh er nach | |
Berlin, nachdem er sich solidarisch mit der Ukraine gezeigt hatte. Anfang | |
Februar [5][entzog Russland ihm und seiner Familie die Staatsbürgerschaft]. | |
Makichyans Verwandte bekamen nur Stunden bis wenige Tage, um das Land zu | |
verlassen. | |
Eine Expertengruppe des Dachverbands Russian Socio-Ecological Union hat in | |
der vergangenen Woche einen Überblick über den Druck auf russische | |
Umweltaktivist:innen im Jahr 2022 [6][veröffentlicht]. Das Fazit auch | |
dort: Repressionen gegenüber Aktivist*innen nehmen zu. „Im Vergleich zu | |
2020 und 2021 ist die Zahl der strafrechtlichen Verurteilungen mit | |
Haftstrafen gestiegen“, heißt es in dem Bericht. Demnach wurden im | |
vergangenen Jahr neun Umweltaktivist:innen verurteilt, von denen | |
sieben Haftstrafen erhielten. Sie müssen für ihr Engagement zwischen zwei | |
und fünfeinhalb Jahren ins Gefängnis. | |
Weitere 15 Aktivist:innen saßen zeitweise in Verwaltungshaft. Das | |
heißt, dass die Polizeibehörde den vergleichsweise kurzen Gewahrsam ohne | |
Gerichtsurteil verhängen kann – offiziell, um schwerwiegenden Straftaten | |
vorzubeugen. Wer mehrfach so festgenommen wurde, dem kann zudem ein | |
Strafverfahren vor Gericht drohen. Zudem wurden laut dem Bericht zwei | |
Personen im Zusammenhang mit der Strafverfolgung zwangspsychiatrisch | |
untergebracht. Fünf Umweltorganisationen, die zuvor teils Dutzende Jahren | |
gearbeitet hatten, wurden zu „ausländischen Agenten“ erklärt. Eine davon | |
gibt es seitdem nicht mehr, drei weitere sind derzeit dabei, sich | |
aufzulösen. | |
## Lokale Kampagnen gibt es noch | |
Auf staatlicher Ebene hat Russland den Umwelt- und Klimaschutz nicht | |
offiziell fallen gelassen. Etliche [7][Expert:innen und | |
Aktivist:innen befürchten aber], dass sich das mit dem russischen Krieg | |
gegen die Ukraine ändern könnte: dass die schwierige wirtschaftliche Lage | |
durch den Krieg, unter anderem durch die Sanktionen anderer Länder, zu | |
einer Aufhebung oder Lockerung von Umwelt- und Klimagesetzen führen könnte. | |
Erste Schritte in diese Richtung hat es schon gegeben, so wurden manche | |
Umweltstandards für Fahrzeuge aufgehoben. Außerdem sollen Regeln für | |
Naturschutzgebiete immer weiter gelockert werden. [8][Einige Kampagnen | |
versuchen], das zu verhindern. Das wird jedoch immer schwerer. Offizielle | |
Möglichkeiten zur Bürger:innenbeteiligung [9][wurden noch weiter | |
eingeschränkt]. Wer auf eigene Faust protestiert, riskiert viel. | |
Trotz der gefährlichen Lage bleiben viele Aktivist:innen im Land. Sie | |
engagieren sich in Kampagnen gegen lokale Umweltprobleme, zum Beispiel | |
Verschmutzung durch die Industrie, schlechte Luftqualität, die Abholzung | |
von städtischen Grünflächen. Oder eben gegen den Kohleabbau, wie im | |
Kusbass. In ihrer Videobotschaft greifen sie einen alten deutschen | |
Sponti-Spruch auf: „Nicht umsonst haben die Teilnehmer der Umweltbewegung | |
in den siebziger Jahren gesagt: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.“ | |
5 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=t6h4FuLycLM&t=41s | |
[2] /programm/2020/change/de/speakers/1519.html | |
[3] /Alternativer-Nobelpreis-fuer-Aktivisten/!5804898 | |
[4] /Neues-Gesetz-in-Russland/!5089113 | |
[5] https://novayagazeta.eu/articles/2023/02/02/family-of-climate-activist-maki… | |
[6] https://help-eco.info/ehrd2022/ | |
[7] https://uwecworkgroup.info/environmental-lawlessness-during-wartime/ | |
[8] https://greenpeace.ru/blogs/2023/02/03/minprirody-ugrozhaet-ladozhskim-shhe… | |
[9] https://greenpeace.ru/news/2022/10/12/bolee-60-nko-obratilis-v-gosdumu-po-p… | |
## AUTOREN | |
Angelina Davydova | |
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