| # taz.de -- Ausstellung in Neukölln: Jeder Einfluss verändert | |
| > Wie nah oder fern ist man der Natur? Danach fragt in der Galerie im | |
| > Körnerpark die Ausstellung Enter_Nature in einem nicht so einfachen | |
| > Parcours. | |
| Bild: Julia Beliaeva, „Lust human mother and baby“ in der Ausstellung Enter… | |
| Berlin taz | Im Krieg, so sagt man, wird der Mensch auf seinen Urinstinkt | |
| zurückgeworfen: Der Wille des nackten Überlebens. Diesen Instinkt, der | |
| bleibt, wenn nichts anderes mehr übrig ist, thematisierte die ukrainische | |
| Künstlerin Julia Beliaeva bereits 2021 in ihrem Inkjet Druck auf Vinylfolie | |
| „The Last Human Mother and Baby“. Die Arbeit findet aktuell Platz in der | |
| Ausstellung „Enter_Nature“ in der [1][Neuköllner Galerie im Körnerpark]. | |
| Beliaeva geht es darin um die Grundlage der menschlichen Existenz und die | |
| Macht einiger weniger darüber. Der große Digitaldruck zeigt zwei nackte | |
| Menschen, eine Mutter mit ihrem Baby im Arm, in der Umgebung eines | |
| Dschungels – Zitat eines Gemäldes von Henri Rousseau -, dessen Vegetation | |
| aber steril und anonym wirkt. | |
| Das Bild erscheint durch seine digitale Erarbeitung plastisch und glatt wie | |
| aus einem Animationfilm. Beliaeva erschafft hier eine Parallelwelt, die | |
| durch ihre Makellosigkeit die Illusion von Ewigkeit erweckt. Ein harscher | |
| Kontrast zu den ökologischen und sozialen Missständen der heutigen Zeit. | |
| Ein Jahr nach der Entstehung von „The Last Human Mother and Baby“ wird die | |
| Künstlerin mit ihrem eigenen Überlebensinstinkt konfrontiert: Als der Krieg | |
| gegen die Ukraine Anfang 2022 ausbricht, ist Beliaevas erster Gedanke, | |
| ihren Sohn zu nehmen und wegzurennen. | |
| Beliaevas Thematik des nackten Menschen gliedert sich in der Ausstellung | |
| „Enter_Nature“ in eine Reihe von visuell abstrakten Arbeiten ein. Noch | |
| weitere internationale Künstler:innen setzen sich dort sowohl mit der | |
| Sehnsucht des Menschen nach der Natur und deren Verlust auseinander als | |
| auch mit den analogen und digitalen Räumen, in denen sie sich bewegen. | |
| ## Die Augen finden keinen Anfang und kein Ende | |
| Der Blick fällt gleich beim Betreten der Galerie auf Spanngurte, blaue | |
| Gummimatten, verschlungene Kabel und geräumige Fischernetze. Sie hängen | |
| ineinander und sind miteinander verknotet. Die Augen versuchen einen Anfang | |
| und ein Ende zu definieren, verlieren sich in den musterlosen Strukturen, | |
| finden keinen Rhythmus in den fünf amorphen Konstrukten, die von der hohen | |
| Decke hinab hängen und eine Verbindung mit dem auf dem Boden platzierten | |
| Webrahmen eingehen. | |
| Das Weben als kollektive Arbeit ist der Hintergrund der Installation | |
| „un_ravel“. Entstanden ist sie im Kontext der experimentellen Plattform | |
| „traces“, in der verschiedene Künstler:innen zusammenkommen. „Un_ravel“ | |
| ist eine intuitive Arbeitsweise abzulesen und in ihrer scheinbaren Willkür | |
| wirkt sie wie eine große Bastelarbeit von Kindern. | |
| Das Weben als kollektiver Prozess soll hier die Besucher:innen einladen | |
| mitzuwirken. Die Konstruktion ist offen für Veränderung, bereit, sich durch | |
| neue Hände formen zu lassen, Bestehendes zu lösen und andere Verbindungen | |
| zu knüpfen. Jeder Einfluss verändert, jede Veränderung beeinflusst. So hebt | |
| „un_ravel“ mit dem Verweis auf die „Anderen“ das Miteinander hervor, | |
| entgegen der Idee einer individuellen Autorschaft. | |
| ## Schreiben, verwischen, zerstören | |
| Neben analog-bildnerischen Werken gibt es auch Arbeiten in | |
| medienkünstlerisch-virtuellen Formen, wie „I am a pen“: Am Ende des Raums | |
| verbirgt sich hinter einem schwarzen Vorhang ein Video der Künstlerin | |
| Ting-Yun Kuo. Zu sehen ist in dem überschaubaren Raum eine Performance | |
| einer in schwarz gekleideten Person, die sich auf einem zwei mal zwei Meter | |
| großen Papier bewegt. Sie rollt, gleitet und dreht sich mit nackten und mit | |
| Kohle verschmierten Händen und Füßen im Liegen und Sitzen über die weiße | |
| Fläche. | |
| Währenddessen ist durch die Lautsprecher eine mechanisch klingende Stimme | |
| zu hören, Begriffe wie „Tsunami“ oder „Collapse“ erwecken Assoziatione… | |
| der Natur. Die Performerin sucht in ihren Bewegungen des Schreibens, | |
| Verwischens und Zerstörens der Kohlestifte einen Ausdruck für die Worte. | |
| Der freie, geradezu tastende Parcours durch die Ausstellung, der offen | |
| gelassene Rundgang durch die Galerie, ist sinnbildlich für die Zeit, in der | |
| wir uns bewegen: suchend zwischen analogen und digitalen Sphären. | |
| Kuratiert wurde die Ausstellung von der Künstlerin und Kulturmanagerin Can | |
| Mileva Rastovic. Die Galerie im Körnerpark will für ihre Ausstellungen | |
| diverse Interpretationsansätze wie auch Arten der Präsentation von Kunst | |
| fördern, weshalb sie jeweils unterschiedliche Kurator:innen ausrichten. | |
| Rastovics Schau mit ihren vielen abstrakten Darstellungen lässt einen | |
| jedoch zunächst im Dunkeln tappen, viele Arbeiten bedürfen eines | |
| Hintergrundwissens. | |
| Auch die Thematik ist eigentlich nichts Neues, die Auseinandersetzung mit | |
| dem Leben auf der Erde allgegenwärtig. Dennoch stoßen die einzelnen | |
| Perspektiven und Assoziationen der ausgestellten Künstler:innen zur | |
| Selbstreflexion an: Wie nah oder fern bin ich der Natur? In welchen | |
| sozialen Konstrukten bewege ich mich? Wo habe ich Einfluss und wo endet er? | |
| 18 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://galerie-im-koernerpark.de/de | |
| ## AUTOREN | |
| Paula Marie Kehl | |
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