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# taz.de -- Baumkunst im Treptower Park: Zwischen Land Art und Street Art
> Der Naturkünstler Olivier Jaffrot schafft Holzskulpturen aus Baumwurzeln
> und -stämmen. Probleme bereiten ihm die Menschen und das Amt.
Berlin taz | Weiche geschwungene Formen, die totes Holz in Bewegung
bringen, das machen die Baumskulpturen von Olivier Jaffrot aus. Der
französischstämmige Künstler hat sich der Naturkunst verschrieben und sich
als Schaffensort den [1][Treptower Park] ausgesucht. Vier Werke hat der
Künstler in mehr als zehn Jahren fertiggestellt. „Seit sechs Jahren arbeite
ich hier so gut wie jeden Tag“, sagt Jaffrot.
Von der ersten Skulptur sind nur noch Fotos geblieben, und auch das zweite
Werk wurde von Wind, Wetter, Mensch und Tier so stark in Anspruch genommen,
dass es zum Teil verfallen ist. Das dritte glänzt noch unversehrt durch das
Geäst – die in feinster Schnitzarbeit herausgearbeiteten Formen des mehrere
Meter langen Baumstammes sind mit Schutzlack lasiert.
Um die gewaltige freigelegte Wurzel und dem kunstvoll geschnitzten
Baumstumpf einer umgefallenen Eiche – Jaffrots viertem Werk – hat der
Künstler einen Kreis in die Erde gegraben. Dadurch bekommt die Skulptur
eine Art Ausstellungsraum. Immer wieder bleiben Spaziergänger*innen
davor stehen, um sie zu betrachten.
Dass Jaffrot in der freien Natur arbeitet, ist einer Notwenigkeit
geschuldet. Nachdem er lange Jahre kleinere Holzobjekte geschaffen hatte,
wollte er größer werden, jedoch fehlte ihm dafür der Platz. „Das hier ist
eine große Werkstatt, hier kann ich frei arbeiten. Außerdem brauche ich so
nicht extra einen Baum absägen.“
Das stimmt. Das Holz, das Jaffrot in Skulpturen verwandelt, gibt die Natur
von alleine her: Bei Sturm fallen Bäume um, andere werden gefällt, weil sie
von Insekten befallen wurden und von innen abgestorben sind. Letzteres
trifft auch auf die Eiche zu, an deren Rest sich Olivier Jaffrot aktuell zu
schaffen macht. Der Baumstumpf steht am westlichen Ufer des Karpfenteiches.
## Alte Werkzeuge
Als Werkzeug dienen Jaffrot verschieden große Hohlbeitel – ein uraltes
Werkzeug, mit dem man Holz auf besonders feine Weise bearbeiten kann. Durch
die halbkreisförmige Wölbung des Werkzeugs erhält das Holz die für Jaffrots
Werke typischen runden Formen und die hautschmeichelnde Oberfläche.
„Wichtig ist, dass man in die richtige Richtung arbeitet“, erklärt Jaffrot.
„Also entlang der Jahresringe.“ Selbst beigebracht habe er sich diese
Technik, erklärt der Künstler, „ich habe probiert, wie man das Holz
bearbeiten kann und dabei hat sich diese Form ergeben. An jeder Stelle gibt
es eine Bewegung, sie entsteht durch mich und den Baum.“
Seine Kunst verortet Olivier Jaffrot selbst „zwischen Land Art und Street
Art“: „Wie Street Art ist das hier nicht legal.“ In all diesen Jahren hat
ihn das Straßen- und Grünflächenamt gewähren lassen. Kurz vor
Veröffentlichung dieses Berichts sprach das Amt dann aber plötzlich ein
Verbot aus, über das Jaffrot durch die Parkaufsicht informiert wurde: „Ich
muss aufhören, sonst werden sie die Polizei rufen“, sagt er. Auf Nachfrage
der taz rudert die zuständige Bezirksstadträtin Claudia Leistner (Grüne)
zurück. Jaffrot könne seiner Tätigkeit im Park vorerst weiter nachgehen,
sagt Leistner der taz. Man sei bemüht, eine Lösung zu finden.
Es gibt noch einen weiteren Unterschied zur Street Art: Jaffrots Arbeit
dauert weitaus länger. „Für Street Art braucht man meist nur drei oder vier
Stunden, ich brauche für eine Skulptur ein bis zwei Jahre.“ Ausmachen tut
das dem 47-Jährigen nichts. Er liebt den Arbeitsprozess und bezeichnet sich
selbst als Einzelgänger, der der menschlichen Gesellschaft die Präsenz
pflanzlicher Lebewesen vorzieht. Jaffrot: „Der Baum lebt noch. Es gibt noch
Wurzeln in der Erde. Da ist noch Wasser drin.“
Unermüdlich hämmert der Künstler auf den Beitel ein oder gräbt mit der
Schaufel die Wurzeln frei. „Ich mache keine Pause“, sagt er. Während der
sechs bis neun Stunden, die er hier fast täglich verbringt, ernährt er sich
nebenbei nur von Obst. Die Kraft für sein Schaffen schöpft Jaffrot
woanders: „Beim Arbeiten höre ich harte Musik. Breakcore, Speedcore,
Hardcore.“ Mit den Kopfhörern auf den Ohren versinkt er völlig in seinem
Tun. Für ihn der ideale Seinszustand. „Ich bin richtig drin in meiner
Arbeit“, sagt der Künstler.
## Eins mit der Natur
Von der Idylle, die Jaffrot zu seinem Atelier erklärt hat, bekommt er nicht
besonders viel mit. Enten quaken, der Wind rauscht durch das letzte Laub,
ein Graureiher gleitet über den Karpfenteich. „Einmal ist ein Waschbär von
einem Baum gefallen und direkt neben mir gelandet“, erzählt Jaffrot – es
ist eine der wenigen Anekdoten, die der sonst eher wortkarge Mensch an
diesem Nachmittag preisgibt.
„Ein bis zwei Stunden hat er neben mir gelegen, dann ist er aufgestanden
und verschwunden.“ Es ist ein harmonisches Miteinander zwischen den
Parkbewohnern und dem Bildhauer. Selbst mit den Tieren, die sich an seinen
Skulpturen vergehen, kommt er klar. „Für das Problem mit den Mäusen habe
ich eine Lösung gefunden: Ich spanne eine transparente Plane über meine
Skulptur, dann fühlen sie sich ungeschützt und gehen nicht mehr an die
Wurzeln.“
Dass sich die Natur ihrer Werke bemächtigt, sie über die Jahre verändert
und auf Dauer sogar ganz vernichtet, das beziehen Naturkünstler wie Jaffrot
fest in ihre Arbeit mit ein. Wenn sie fertig sind, übernimmt wieder die
Natur. „Dann wachsen Pilze und Moos darauf, und Tiere und Käfer nagen an
dem Holz.“
Ob und was von seiner ersten Skulptur geblieben ist, will er gar nicht
wissen. „Es ist besser, wenn ich nicht dahin gehe“, sagt er und lächelt.
Dabei scheint ihm gar nicht danach zu sein – ein Anflug von Trauer liegt in
seinen Augen. Ärger verspürt er gegenüber der Natur hingegen nicht.
## Viel wird zerstört
„Das Problem sind die Menschen“, sagt Jaffrot. In den letzten Jahren habe
er mit seinen Artgenoss*innen „viele scheiß Sachen“ erlebt. „Leute mit
Hunden, die graben, beißen, pissen. Jemand hat von meiner Skulptur drei
Meter abgesägt und mitgenommen.“ Dazu kommen kleine und erwachsene Kinder,
die auf die Skulpturen klettern und so den Schutzlack beschädigen. „Ich
muss meine Skulpturen ständig restaurieren“, seufzt Jaffrot. „Das dauert
mehrere Stunden, bis ich die alle gereinigt und neu lasiert habe.“
Mehrmals sei er kurz davor gewesen, alles hinzuschmeißen, erzählt der
Künstler. „Wenn die Sonne scheint, kann ich aber nicht zu Hause bleiben.“
Auch hat er einen Weg gefunden, um seinen Frust abzubauen: „Ich mache jetzt
Yoga und sage mir: Das ist nicht so schlimm. Das funktioniert.“
Der Künstler räumt außerdem ein, dass es nur wenige Menschen seien, die ihm
so respektlos begegneten. Viele Leute freuten sich über seine Arbeit,
häufig wird er darauf angesprochen und dafür gelobt. „Das gibt mir
Energie.“
Über die Jahre hat sich ein Pool an Leuten gefunden, die seine Arbeit
unterstützen. Da ist zum Beispiel das alte Paar aus der Nachbarschaft, das
ihm immer wieder 20 Euro zusteckt, andere spenden über den [2][Link auf
seiner Webseite]. Auf die kommt man mittels eines QR-Codes, den er neben
seinen Werken installiert hat. Sachspenden wie Bier werden auch immer
wieder gebracht, dabei trinkt Jaffrot gar keinen Alkohol. „Ich rauche
lieber ein bisschen.“ Einige seiner Fans wissen das und vorsorgen ihn mit
Gras.
Auf diese und andere Spenden ist Olivier Jaffrot mittlerweile auch
angewiesen. Neben der intensiven Arbeit an seinen Skulpturen bleibt nicht
viel Zeit, um einer anderen Tätigkeit nachzugehen. Von der elektronischen
Musik, die Jaffrot an verregneten oder kalten Tagen zu Hause produziert und
live auf Partys spielt, kann er sich auch nicht über Wasser halten.
In den vergangenen Jahren habe er von dem Erlös einer Wohnung gelebt, die
er einst günstig erworben zum dreifachen Preis verkaufen konnte. Jetzt sei
das Geld aber alle. Vor einer Weile habe jemand angeboten, seine Werke als
Krypto-Kunst zu vermarkten. Dabei werden Kunstwerke in digitaler Form
verkauft. „Seit drei Wochen habe ich von dieser Person aber nichts mehr
gehört“, sagt Jaffrot und zuckt mit den Schultern. Es habe schon oft Leute
gegeben, die ihm helfen wollten. „Aber am Ende passiert nichts.“
Ganz ernüchtert ist Jaffrot jedoch nicht. Noch hat er die Hoffnung nicht
aufgegeben, dass sich eines Tages jemand finden wird, der für ihn
unliebsamen Papierkram erledigt, wie in etwa Förderanträge zu stellen oder
Marketing und Verkauf zu organisieren. Auch hat er sich überlegt, einen
Spendentopf aufzustellen und eine Crowdfunding-Kampagne zu starten.
Irgendeinen Weg will er finden, um auch in den nächsten Jahren weiterhin
das zu tun, was seinem Leben Sinn verleiht: Kunst. Mit und in der Natur.
14 Dec 2022
## LINKS
[1] http://www.treptowerpark.de/
[2] https://art-insitu.org/
## AUTOREN
Karlotta Ehrenberg
## TAGS
Treptower Park
Treptow-Köpenick
Bildende Kunst
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