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# taz.de -- Popstars und politische Stellungnahme: Zwei Worte mit fatalen Folgen
> Der Popmusiker Waleri Meladse soll sich proukrainisch geäußert haben.
> Regierungstreue Politiker laufen dagegen Sturm.
Bild: Waleri Meladse bei der Verleihung des Goldenen Grammofons in Moskau im De…
Auf einer Silvesterfeier in Dubai kam ein junger Mann auf den Sänger Waleri
Meladse mit den Worten „Slawa Ukrajini!“ (Der Slogan „Ruhm der Ukraine“…
„Den Helden Ruhm“ ist seit 2018 der offizielle militärische Gruß in der
ukrainischen Armee; d. Red.) zu. Der Künstler legte das Mikrofon zur Seite
und antwortete vermutlich: „Herojam Slawa!“ Dann bat er den jungen Mann,
sich zu beruhigen, weil „wir hier nicht in der Politik sind“, und sang
weiter. Zwei Worte, nicht mal ins Mikrofon gesprochen, reichten aus, dass
sich schon am 3. Januar regierungstreue Politiker und Aktivisten gegen
Meladse wandten.
[1][Der Vorsitzende der Parlamentsfraktion „Gerechtes Russland – für die
Wahrheit“, Sergej Mironow], nannte die Äußerungen des Sängers „verwerfli…
und schlug vor, ihm alle Titel und Ehrungen abzuerkennen.
Eine Parteifreundin Mironows meint, dass man Meladse die Einreise ins Land
verbieten müsse. Der Vorsitzende des Fonds für historische Forschung,
Alexander Karabanow, schlug vor, den Künstler ab sofort als „ausländischen
Agenten“ zu labeln. Und die Organisation Armee der Verteidiger des
Vaterlands beantragte zu überprüfen, ob die Verleihung der
Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation (RF) an Meladse, der in der
georgischen Stadt Batumi geboren wurde und lange in der Ukraine gelebt
hatte, seinerzeit überhaupt legal gewesen sei.
Derselbe Mironow wunderte sich darüber, dass der Sänger außerhalb des
Landes „Party macht“, fand aber überhaupt nichts dabei, dass ein anderer
russischer Superstar, Oleg Gasmanow, auf derselben Veranstaltung auftrat.
Meladse reagierte prompt auf die Angriffe auf seine Person. Er erinnerte
daran, dass die von ihm „heiß geliebten“ Nationen sich in einem Konflikt
miteinander befänden, und fügte hinzu: „Ich kann und will niemanden hassen
und versuche nicht, jemandem zu gefallen!“
Die Geschichte von Waleri Meladse ist ziemlich symptomatisch und zeigt die
wenig beneidenswerte Lage, in der sich der russischsprachige Popmainstream
seit dem Februar 2022 befindet.
## Sowjetische Karriere, russischsprachige Stars
Für Meladse war die Ukraine nie ein fremdes Land. Der Sänger hatte seine
musikalische Karriere in der ukrainischen Stadt Mykolajiw am Schwarzen Meer
als Mitglied der Band Dialog begonnen. Und er hatte auch mit anderen
ukrainischen Künstlern gearbeitet. Deshalb war es auch wenig erstaunlich,
dass Meladse am 24. Februar einer der ersten russischsprachigen Musiker
war, der sich eindeutig gegen den Krieg aussprach.
Dann sagte er seine Konzerte in der Russischen Föderation ab und steht als
Musiker mittlerweile auf der schwarzen Liste. Was ihn jedoch nicht davon
abhielt, auf Unternehmensfeiern in Russland aufzutreten. Im Mai 2022 gab
Meladse bekannt, dass er seine wissenschaftliche Arbeit wieder aufnehmen
wolle (er hat zu Wasseraufbereitung promoviert).
Das ist eigentlich schon alles. In den vergangenen zehn Monaten war Waleri
Meladse kaum noch in der Öffentlichkeit präsent und hatte sich auch nicht
zum Thema Krieg geäußert. Gerade deshalb wurde sein halb geflüstertes „Den
Helden Ruhm!“ so ernst genommen.
Einer der bekanntesten Popstars der letzten dreißig Jahre, bei mehreren
Generationen russischer und ukrainischer Zuhörer gleichermaßen beliebt, der
sich mehrmals dezidiert für Frieden ausgesprochen hatte, trat weiterhin bei
privaten Veranstaltungen und außerhalb der RF auf. Eine engagierte
Öffentlichkeit erwartete von ihm eine möglichst klare Erklärung – pro oder
contra, aber er schwieg.
## Popstars im Zwiespalt – reden oder schweigen?
Mit ähnlichen Problemen kämpfen praktisch alle russischsprachigen Popstars,
die seit Jahrzehnten im Geschäft sind. Die Mehrheit von ihnen hat sich
nicht klar positioniert und schweigt lieber. Oder tritt auf, als sei nichts
geschehen. Diese uneindeutige Haltung irritiert diejenigen, die die
russische Invasion unmissverständlich verurteilen und meinen, dass Künstler
mit einem großen Publikum sich, wenn sie für den Frieden sind, auch
eindeutig äußern sollten.
Das alles ist nichts Neues. Die Popszene war lange Zeit einfach apolitisch,
selbst wenn einzelne Künstler sich in die eine oder andere Richtung
positioniert hatten. Es wäre seltsam, wenn das jetzt plötzlich anders wäre.
Um eine Ausnahme davon zu machen, muss man mindestens [2][eine Popdiva wie
Alla Pugatschowa] sein (vielleicht die erfolgreichste sowjetisch-russische
Popsängerin überhaupt seit den 1970er Jahren bis heute; d. Red.).
## Künstler müssen keine Erwartungen erfüllen
Die unangenehme Wahrheit ist, dass ein Künstler, wie populär er auch sein
mag, niemandem etwas schuldet. [3][Er hat das Recht, sich zu äußern] – oder
zu schweigen. Er kann sich von seiner russländischen Vergangenheit lossagen
und die Sprache wechseln – oder eben alles beim Alten belassen. Wir setzen
hohe Erwartungen in einen Musiker, nur weil er erfolgreich ist. Aber das
heißt nicht, dass er sich immer klug verhält.
Außerdem drücken Popmusiker mit ihren Liedern häufig viel mehr aus als mit
ein paar Instagram-Posts. Man kann von Waleri Meladse und anderen Stars der
Vergangenheit keine großen Änderungen erwarten. Sie werden weiter die
Helden der weiblichen Fans über vierzig sein. Die „Z-Publizisten“ werden
sich weiterhin darüber aufregen, dass er noch nicht in Donezk aufgetreten
ist.
Wir werden uns auch weiter darüber beschweren, dass er „für die Harmonie“
zwischen den Nationen ist, zwischen denen es schon lange keine Harmonie
mehr geben kann.
Aber anstatt weiterhin etwas von Meladse zu erwarten, sollten wir lieber
anfangen, uns nach neuen Helden umzusehen, die uns musikalisch wie auch
zivilgesellschaftlich eher entsprechen. Vor allem, weil es genügend
geeignete Kandidaten gibt.
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
22 Jan 2023
## LINKS
[1] /Russisches-Staatsfernsehen-ueber-Krieg/!5886694
[2] /Krieg-in-der-Ukraine/!5882174
[3] /Pussy-Riot-im-Konzert-in-Berlin/!5851928
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Nikolai Owtschinikow
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