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# taz.de -- Russisch und der Ukrainekrieg: Wenn Sprache beschämt
> Ein ukrainisches Restaurant in Warschau, vier Freunde, die miteinander
> Russisch sprechen. Aber darf man das das eigentlich noch?
Bild: Wer heute im Ausland Russisch spricht, läuft Gefahr, angefeindet zu werd…
Kürzlich war ich in Warschau, um eine Freundin aus Belarus zu besuchen.
Zusammen mit ihren Freunden gingen wir in ein ukrainisches Fischrestaurant,
das gerade neu eröffnet worden war. Wir waren zu viert, wir hatten uns
lange nicht gesehen. Jedenfalls sprachen wir ziemlich viel miteinander.
Laut und auf Russisch. Wie immer.
Die Speisekarte war auf Ukrainisch. Mit der Kellnerin, die unsere
Bestellung aufnahm, sprachen meine Freunde Polnisch. Sie antwortete auch
auf Polnisch, aber man konnte hören, dass sie Ukrainerin war. Ich schwieg.
Als die Kellnerin weg war, stockte unser Gespräch. Ich schaute mich um.
Überall hingen Plakate zur Unterstützung der Ukraine, überall hörte man
ukrainische Gespräche. Es schien, als sei unser Tisch, von dem gerade noch
Gelächter und die russische Sprache zu hören gewesen waren, zufällig
hierher geraten.
Zum ersten Mal im Leben fühlte ich mich schuldig, weil ich Russisch sprach.
Ich hatte den Wunsch, mich vor allen zu entschuldigen. Vor jeden einzelnen
Tisch zu treten und zu sagen, dass ich ein schlechter Mensch bin. Denn ich
war aus Georgien hierher gekommen, in ihren Raum, und sprach in der
Sprache, die ihnen und ihren Vorfahren jahrzehntelang aufgezwungen worden
war. Und heute wird in dieser Sprache dazu aufgerufen, sie zu töten.
[1][Wenn ich mit ukrainischen Geflüchteten in Georgien Russisch sprach],
fühlte ich mich anders. Vermutlich, weil ich als Journalist einfach meine
Arbeit machte.
Während ich schweigend meine Muscheln aß, stelle ich mir weitere Fragen:
Hätte ich dieses Schamgefühl auch, wenn Russisch meine Muttersprache wäre?
Wie würde ich mich verhalten, wenn Georgien ein Nachbarland überfallen
hätte?
Ich glaube, dass die meisten Russen diese negativen Gefühle nicht
verstehen. [2][Es geht ihnen nicht in den Kopf, warum ihre Rede die
Georgier verärgern könnte.] Dabei gibt es Ansätze von Problembewusstsein.
Einige Russen etwa fragen Georgier zuerst auf Georgisch, ob sie lieber auf
Russisch oder Englisch sprechen wollen. Auch ich tat was gegen meine
sozialen Ängste: Auf Ukrainisch bestellte ich ein Bier. „Djakuju“, sagte
ich extra laut, damit alle hörten, dass ich etwas Ukrainisch sprechen kann.
Als wir das Lokal verließen, hatte ich den Eindruck, dass meine Freunde
ähnliche Gedanken hatten. Das ist ziemlich traurig. Der Krieg in der
Ukraine hat nicht nur Hunderttausende Menschen getötet und verletzt sowie
Millionen Menschen ihr Zuhause genommen. Er hat auch die russische Sprache
auf Jahrzehnte vergiftet.
Meine 86-jährige Großmutter assoziiert die deutsche Sprache bis heute mit
Soldatenstiefeln. Höchstwahrscheinlich werden georgische, ukrainische und
belarussische Großmütter in Zukunft ähnliche Gefühle bezüglich der
russischen Sprache haben.
Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey]
Finanziert von der [4][taz Panter Stiftung].
Die Tagebuch-Texte sind als Sammelband beim [5][Verlag edition.fotoTAPETA]
erschienen.
23 Feb 2023
## LINKS
[1] /Historiker-ueber-Ukraine-Krieg/!5905494
[2] /Georgiens-Russland-Politik/!5873926
[3] /Gaby-Coldewey/!a23976/
[4] /Osteuropa-Projekte/!vn5913530
[5] https://www.edition-fototapeta.eu/
## AUTOREN
Sandro Gvindadze
## TAGS
Kolumne Krieg und Frieden
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Fremdsprachen
Ukraine
Georgien
Novaya Gazeta Europe in der taz
Literatur
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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