# taz.de -- Reporter in Mexikos Drogenkrieg: Win-win-Situation mit Opfern | |
> Der Kampf gegen die „Narcos“ wird in Mexiko zu einem medialen Spektakel. | |
> Diejenigen, die kritisch berichten, werden weiterhin verschleppt und | |
> bedroht. | |
Bild: Ein brennender Lkw im im mexikanischen Bundestaat Sinaloa nach der Festna… | |
Was ist seltsam daran, dass zwei Männer in einem Video zugeben, dass sie | |
eine Facebook-Seite betreiben? Eigentlich nichts. Es sei denn, die beiden | |
leben in Mexiko. In Eisenketten gefesselt erklärten Fernando Moreno | |
Villegas und Alan García Aguilar vergangene Woche in einem in den sozialen | |
Netzwerken verbreiteten Film, sie seien Teil des Teams von „Escenario | |
Calentano“. „Wir sind hier, weil wir die Folgen für die Veröffentlichungen | |
bezahlen müssen, die wir gegen diese Personen in der Region Tierra Caliente | |
der Bundesstaaten Mexiko, Michoacán und Guerrero publiziert haben“, | |
erklären sie in dem von ihren Entführern gedrehten Video. | |
Zwar sagen sie nicht, wen sie mit „diese Personen“ meinen, aber eigentlich | |
weiß jeder, wer gemeint ist. Auf der Facebook-Seite „Escenario Calentano“ | |
stehen Texte, die sich mit der Zusammenarbeit von lokalen Politikern und | |
der Mafiatruppe „Familia Michoacana“, der „Familie von Michoacán“, | |
beschäftigen. Und das hat seinen Preis, auch wenn die beiden nur die | |
Administratoren der Seite sind. | |
Einen Tag nachdem das Video zirkulierte, wurde Moreno Villegas zusammen mit | |
dem ebenfalls verschleppten Reporter Jesús Pintor Alegre an einem Flussufer | |
lebend aufgefunden. Was mit García passierte, ist unklar. Wie so oft bleibt | |
nichts anderes, als zu hoffen. In der Tierra Caliente regieren mehrere | |
verfeindete kriminelle Organisationen. | |
Nationalgardisten oder Polizisten bilden bestenfalls die Staffage, um den | |
zahlreichen Kontrollstellen der Verbrecher den Anstrich von Normalität zu | |
geben. Einige Kollegen der drei Männer protestierten. Weitere Hilfe, so | |
sagen sie, hätte die „Familie“ verhindert. Offen berichten können sie in | |
dieser Gegend im Südwesten nicht. | |
Anders im nordmexikanischen Bundesstaat Sinaloa. Kaum ein Medium ließ es | |
sich nehmen, Videos oder Fotos aus der Hauptstadt Culiacán zu | |
veröffentlichen, nachdem dort Ovidio Guzmán, Chef des Sinaloa-Kartells und | |
Sohn des in den USA inhaftieren Joaquín „El Chapo“ Guzmán, verhaftet wurd… | |
Für das Spektakel sorgten die Kriminellen selbst. | |
## Erfolg mit Terror | |
Sie zerstörten 250 Lkws und Autos, beschossen den Flughafen, griffen | |
Armeehubschrauber sowie Ladengeschäfte an und errichteten 19 Blockaden, um | |
den Abtransport ihres Chefs zu verhindern. Vor drei Jahren hatten sie mit | |
solchem Terror Erfolg. Damals mussten die Soldaten Guzmán, „El Ratón“, die | |
„Maus“, wegen der exzessiven Gewalt wieder freilassen. | |
Zehn Armeeangehörige und 19 Kriminelle starben. War die Aktion trotzdem ein | |
Erfolg? Diese Frage beschäftigt Kommentator:innen in den mexikanischen | |
Medien. War es Zufall, dass die Gefangennahme kurz vor dem ersten Besuch | |
des US-Präsidenten Joe Biden stattfand? Unmittelbar, nachdem ein Kommando | |
des Sinaloa-Kartells ein Hochsicherheitsgefängnis in der Grenzstadt Ciudad | |
Juárez stürmte und einen ihrer Bosse befreite? Tote hin oder her, die | |
massenhaft veröffentlichten Bilder aus Sinaloa, der Wiege der mexikanischen | |
Drogenmafia, zeigten ein Kriegsszenario, aus dem das Militär irgendwie als | |
Sieger hervorging. | |
Die Rauchschwaden, die brennenden Sattelschlepper, die Soldaten in | |
Kampfmontur – der kurze Krieg mitten im Reich von „El Chapo“ ließ sich | |
[1][live auf Twitter, Facebook und anderen Medien] verfolgen. Das kam | |
beiden Kriegsparteien zupass. Die Sinaloa-Killer konnten ihre Kampfkraft | |
demonstrieren – eine Botschaft, die nicht nur an die Sicherheitskräfte, | |
sondern auch an die kriminelle Konkurrenz gerichtet ist. Und [2][Mexikos | |
Präsident Andrés Manuel López Obrador konnte Biden] zeigen, dass er von der | |
kritisierten zurückhaltenden Strategie „Umarmung statt Schüsse“ abgekommen | |
und bereit sei, mit den „Narcos“ auf Konfrontation zu gehen. | |
Medial gesehen eine Win-win-Situation. Doch wer interessiert sich | |
angesichts solcher Spektakel für den Administrator einer Facebook-Seite, | |
[3][der in der Provinz Guerrero Artikel] über die dortigen korrupten | |
Machenschaften veröffentlichte? Die Hoffnung, dass Alan García Aguilar noch | |
lebt, stirbt trotzdem zuletzt. | |
18 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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