# taz.de -- Journalismus im Exil: Andersdenkende in Gefahr | |
> In Afghanistan gehen die Taliban juristisch gegen Exilmedien vor. | |
> Verbliebene Mitarbeiter:innen werden vorgeladen, ihnen drohen | |
> Repressionen. | |
Bild: Ein Jahr nach ihrer erneuten Machtübernahme: Taliban am Nationalfeiertag… | |
„11.000 Menschen auf Ausreise-Sperrliste der Taliban.“ „Teenager | |
festgenommen, weil sie ohne Rechtsvormund zusammenlebten.“ Das sind | |
Schlagzeilen, [1][unter denen afghanische Exilmedien] kontinuierlich über | |
die Lage im immer weniger zugänglichen Afghanistan unter Taliban-Herrschaft | |
berichten. Nur wenige westliche Medien haben dort noch Korrespondent:innen. | |
Dem islamistischen Regime ist solch eine Berichterstattung ein Dorn im | |
Auge, auch wenn sich die einzelnen Berichte meist nicht unabhängig | |
überprüfen lassen. | |
Nun haben die Taliban ein Verfahren eingeleitet, um zehn solcher Medien die | |
Lizenz zu entziehen. Das gab Abdul Hak Hammad, Chef der | |
Medienaufsichtskommission ihres Informationsministeriums, Anfang Januar in | |
den Staatsmedien bekannt. Namen nannte er nicht, er sagte nur, dass es sich | |
gegen Medien richte, deren „Besitzer und Chefs aus dem Land geflohen sind“, | |
aus dem Exil „gegen die Interessen der Staatsordnung und des Volkes | |
arbeiten“ und „Propaganda“ betrieben. Konkrete Anschuldigungen wurden nic… | |
bekannt. | |
Da Vertreter:innen der betroffenen Medien, die sich noch im Land | |
aufhalten, Vorladungen erhielten, ist inzwischen aber klar, um wen es sich | |
handelt: drei ehemals führende, auch gegenüber der früheren Regierung | |
kritische Zeitungen, Hascht-e Sobh (8 Uhr morgens), Etelaat-e Rus | |
(Nachrichten des Tages) und Kabul Sobh (Kabuler Morgen) sowie kleinere | |
Nachrichtenagenturen und Webportale. Alle arbeiten vom Ausland online | |
weiter, verfügen aber über Mitarbeiter:innen und Netzwerke von | |
Informant:innen in Afghanistan. | |
Zarif Karimi, der den Mediendachverband Nai (Die Rohrfeder) in Kabul | |
leitet, sagte der taz, dass die Taliban versucht hatten, den Prozess im | |
Alleingang durchzuziehen, nachdem Vertreter:innen der zehn Medien sich | |
weigerten, vor Gericht zu erscheinen. Das Urteil sollte schon am vorigen | |
Sonntag fallen. Aber örtliche Journalistenverbände, die inzwischen die | |
Rechtsvertretung der Medien übernahmen, erreichten eine Verschiebung. Laut | |
Karimi argumentierten sie mit dem Mediengesetz der alten Regierung, nachdem | |
es vor einem Verfahren eine Anhörung bei der Medienaufsichtskommission | |
geben müsse. | |
Ob es zu der Anhörung kommt, ist bisher unklar. Einen neuen Gerichtstermin | |
gibt es jedenfalls noch nicht, so Karimi. Interessant ist, dass die Taliban | |
damit einen ersten Anflug von Rechtsstaatlichkeit zeigen. Ansonsten sind | |
nämlich Verfahren ohne Verteidiger oder das Recht, Zeugen der Verteidigung | |
zu benennen, an der Tagesordnung. Auch darüber berichteten Exilmedien | |
wiederholt. | |
## Nur die Scharia soll zählen | |
Ansonsten ist die Rechtslage unklar. Er wird interessant zu sehen, ob das | |
alte Mediengesetz noch zum Tragen kommt, das die Talibanführung formal | |
nicht abgeschafft hat, obwohl sie mehrmals erklärte, [2][nur islamisches | |
Recht, die Scharia], anwenden zu wollen. Allerdings enthielt auch das alte | |
Gesetz schon den Gummiparagrafen, dass Medienberichterstattung sich nicht | |
„gegen islamische und nationale Werte“ und „nationale Interessen“ richt… | |
dürfe. So argumentieren auch die Taliban. | |
Trotz ihrer weitgefächerten Repressalien gegen Andersdenkende lassen die | |
Taliban bisher weiter im Land arbeitenden unabhängigen Medien | |
überraschenden Spielraum. Allerdings sind die Medien von den | |
Taliban-Einschränkungen [3][für das Arbeitsleben von Frauen] betroffen und | |
üben wegen der unklaren Rechtslage eine gewisse Selbstzensur. Andere | |
Exilmedien wie die Frauen-Nachrichtenseite Ruchschana oder Amu TV, die erst | |
nach der erneuten Machtübernahme der Taliban entstanden, befinden sich | |
zumindest juristisch außerhalb deren Reichweite. Aber ihren | |
Mitarbeiter:innen und Quellen im Land drohen ebenfalls Repressalien. | |
16 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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