| # taz.de -- Fotografinnen aus Afghanistan: Souveränität über das eigene Leben | |
| > Im Rathaus Neukölln ist eine sehenswerte Ausstellung von Fotografinnen | |
| > aus Afghanistan etwas versteckt präsentiert. | |
| Bild: Ausschnitt aus Tahmina Alizada Triptychon „Anar lebt“ | |
| Rebecca Schönenbach vom Verein „Frauen für Freiheit“ sagt Erstaunliches: | |
| dass die Bilderpräsentation unter dem Titel „Was uns die afghanischen | |
| Frauen zu sagen haben …“, die in der ersten Etage des Rathauses Neukölln | |
| aufgestellt ist, zwar als Wanderausstellung konzipiert ist, aber es in | |
| Berlin, überhaupt in Deutschland wenig Nachfrage für die Arbeiten der sechs | |
| Fotokünstlerinnen gibt. „Pforzheim, da ist was geplant“, sagt sie, aber | |
| sonst? | |
| Das Interesse liegt aktuell wohl nicht mehr bei einem Thema wie | |
| [1][Afghanistan]. Der Neuköllner Bürgermeister Martin Hikel (SPD) zeigt so | |
| durchaus Mut, die Exposition in seinem Rathaus zu präsentieren. Oder waren | |
| seine warmen Worte zur Eröffnung nur von hohler Courage? Denn auf der | |
| Website des Bezirks findet sich kein Hinweis auf dieses von vielen | |
| Institutionen geförderte Projekt afghanischer Frauen. | |
| Es ist, als würde es dieses Zeugnis von Flucht und persönlich-politischer | |
| Selbstermächtigung von fünf weiblichen, sich keinem Islamismus beugenden | |
| Personen, von denen eine in Deutschland ihr Zufluchtsland gefunden hat, | |
| nicht geben. Man muss wissen, dass man diese kleine Schau in der ersten | |
| Etage findet, Hinweise fehlen vor Ort. | |
| Die Bilder der Künstlerinnen, die allesamt [2][aus Afghanistan und vor den | |
| Taliban] fliehen konnten, verströmen sehr ausdrücklich eine Botschaft: Lest | |
| unsere Bilder nicht als Ausdruck von Kultur, sondern als Protest gegen den | |
| kulturalisierten Blick des Westens. Das Regime in Afghanistan will Frauen | |
| nicht gleichberechtigt, sondern als Dienerinnen des Mannes, nötigenfalls | |
| wird, um diesen Anspruch durchzusetzen, ausgepeitscht, gezüchtigt, getötet. | |
| ## Wenig Schutz vor islamistischem Sittenkodex | |
| Die Ausstellung ist ein Dokument gegen die Vorstellung, Kritik an den | |
| talibanischen Verhältnisse in Afghanistan setze sich Gefahr kolonialen | |
| Hochmuts aus. „Oft höre ich: ‚Das ist ihre Kultur‘. Aber seit wann ist | |
| Unterdrückung und Ermordung von Mädchen und Frauen eine Kultur? Ist das | |
| hier nicht eine postkoloniale und sogar rassistische Sichtweise“, sagte | |
| Naϊla Chiki von der Gruppe „Migrantinnen für Säkularität und | |
| Selbstbestimmung“ bei der Podiumsdiskussion zur Eröffnung – eine gewichtige | |
| Stimme aus dem nichtreligiösen Spektrum der Einwanderungsgesellschaften. | |
| Viele Frauen, oft, wie es hernach hieß, die eben frisch nach Deutschland | |
| flüchten konnten und hier Sicherheit zu finden hoffen, nahmen an diesem Tag | |
| teil. Und, darauf wiesen andere hin, sie fühlen sich wenig geschützt vor | |
| dem islamistischen Sittenkodex, dem sie sich in manchen Vierteln Berlins | |
| ausgesetzt sehen und dem sie mit ihrer Flucht aus Afghanistan zu entkommen | |
| hofften. | |
| Dies zu artikulieren mag das Kulturelle schlechthin, eben an dieser Stelle | |
| die Fotografien, etwas in den Hintergrund treten lassen: unverdient. Fatima | |
| Hossaini, Najiba Noori, Tahmina Salem, Tahmina Alizada – von der das | |
| ergreifende Foto einer Frau stammt, die ein Verhüllungstextil hinter ihren | |
| Rücken gleiten lässt („Meine Identität ist nicht verborgen“) – und Roya | |
| Hadari haben auf ihre je eigene Weise ihre schwesterliche Solidarität | |
| künstlerisch zum Ausdruck gebracht. | |
| Was ihre Bilder, besser: die darauf zu sehenden Frauen eint, ist | |
| Kampfesmut, mehr als nur ein Gran Souveränität über das eigene Leben – ohne | |
| Leibeigene des religionsmännlichen Regimes zu werden. | |
| Am stärksten jedoch ist eine Montage von Tahmina Alizada, auf der drei | |
| Granatäpfel zu sehen sind, perforiert durch kleine Nägel: „In dieser Serie | |
| habe ich versucht, zwei Symbole (den Granatapfel – Anar – und den Nagel) zu | |
| verwenden, um eine unabhängige weibliche Identität und die Einschränkungen, | |
| die Frauen auferlegt werden, zu veranschaulichen“, schreibt sie erläuternd. | |
| Hier ist an sinnlicher Erfahrung verdichtet, was als politisches Programm | |
| naheliegt, worüber es aber in der deutschen Außenpolitik keinen Konsens | |
| gibt: Die Regierung der Taliban nicht mit der Wiedereröffnung der deutschen | |
| Botschaft in Kabul zu nobilitieren. Höchste Stellen im Außenamt wollen das | |
| nicht, andere fordern Realpolitik. | |
| 6 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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