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# taz.de -- Streit um doppelte Staatsbürgerschaft: Alle Jahrzehnte wieder
> Alte Muster, sachter Fortschritt: Das Deutsche Auswandererhaus in
> Bremerhaven liefert einen Beitrag zur wieder sehr aktuellen
> Einbürgerungsdiskussion.
Bild: Im „Saal der Debatten“ erinnern lebensgroße Figuren an Demos von ein…
Bremerhaven taz | Erinnern Sie sich noch an diese Debatte, damals, um die
Jahrtausendwende? Es ging um leichtere [1][Einbürgerungen], um die Frage,
wer zu uns gehören, wer einen deutschen Pass bekommen kann. [2][Roland
Koch] von der CDU wollte gerade Ministerpräsident in Hessen werden und
startete deshalb eine Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.
Mit Erfolg: Vier Millionen Unterschriften sammelte die CDU bundesweit, Koch
gewann die Wahl in Hessen, die rot-grüne Bundesregierung verlor ihre
Mehrheit im Bundesrat.
Das ist alles lange her. Und dann auch wieder nicht: Bundesinnenministerin
Nancy Faeser (SPD) plant derzeit, dass Migrant:innen [3][künftig in der
Regel schon nach fünf statt nach acht Jahren einen deutschen Pass] bekommen
können.
Die Möglichkeiten zur Mehrfachstaatsangehörigkeit sollen ausgeweitet,
Hürden zur Einbürgerung abgebaut werden – gerade für die immer noch
sogenannten „Gastarbeiter“. Prompt sprechen Unionspolitiker:innen
wieder davon, der deutsche Pass würde „verramscht“, sekundiert von
[4][Bild] und anderen Medien.
## Rassistische Diktionen
Szenenwechsel. „[5][Ich denke mir, Deutschland sollte doch nicht so jeden
reinlassen“], sagt die ältere Frau, eine Besucherin des traditionellen
„Schlachtfestes“ der hessischen CDU; die ARD berichtete. Heute ist der Film
von 1999 wieder zu sehen, im [6][Deutschen Auswandererhaus] in Bremerhaven.
Er ist in mehrfacher Hinsicht interessant – denn er zeigt auch Unterschiede
zwischen den Debatten. Denn wenn andere Gäste jener CDU-Veranstaltung in
Frankfurt ohne Scham in die Kamera sagen: „Ich bin stolz, Deutsche zu
sein“, oder: „Deutschland den Deutschen“, ist das eine rassistische
Diktion, die heute bei der CDU so nicht mehr üblich ist – oder soll man
eher sagen: bis zum jüngsten Jahreswechsel nicht üblich war? (Noch
jedenfalls klingen Christ- oder auch mal Freidemokrat:innen nur
ausnahmsweise wie Vertreter:innen der AfD.)
Das Deutsche Auswandererhaus zeigt seine Aufarbeitung jener Diskussion um
die Staatsangehörigkeitsreform in den Neunziger- und Nuller-Jahren in
seinem „Saal der Debatten“ im [7][2021 eröffneten Erweiterungsbau]; er will
„physische Denkräume“ schaffen, die Migration „ganz neu reflektieren
lassen“.
Im konkreten Falle muss man sich dies selbst erarbeiten. Im „Saal der
Debatten“ werden gleich mehrere historische Konflikte um Migrant:innen
parallel thematisiert: Neben der Einbürgerungsdebatte geht es um die
Asylrechtsreformen der Achtziger und Neunziger, die Arbeitskämpfe
ausländischer Arbeiter:innen in den Sechzigern und Siebzigern und das
Lastenausgleichsgesetz aus der Nachkriegszeit.
## Flugblätter und Zeitungsausschnitte
Jeweils vier Stationen werfen die vor allem anhand konkreter Biografien
unterschiedliche Schlaglichter auf die Debatten: Zu Wort kommen Betroffene,
Aktivist:innen, Politiker:innen und Wissenschaftler:innen kommen,
es gibt einen Stadtteiltreff mit Tresen, eine Bühne und eine eigene
Bibliothek mit Handapparat, wie man ihn aus der Uni kennt.
An den Wänden dokumentieren Zeitungsausschnitte und Flugblätter die
Diskussionen aus analogen Zeiten, am Fenster mit Blick auf den Hafen
erinnern lebensgroße Figuren an die Doppelpass-Kampagne der Union sowie
zahlreiche Demos.
Besucher:innen sitzen an den Tischen, in Texte, Filme und Interviews
vertieft, doch um sie herum herrscht viel Unruhe: Im Hintergrund sind
immerzu Gesprächsfetzen zu hören, die man so recht nicht versteht und über
schmale Leinwände flimmern unablässig Bilder. Der Saal möchte nicht nur ein
Ort für Stillarbeit sein.
„Wir wollen einen Beitrag zur aktuellen Debatte liefern“, sagt Lina
Falivena, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Auswandererhaus: „Die
Diskussionsmuster wiederholen sich, auch wenn die aktuelle Diskussion nicht
so breit geführt wird wie die damalige.“ Im schleswig-holsteinischen
Landtag sagte neulich [8][Seyran Papo von der CDU]: „Die Einbürgerung steht
nicht am Anfang, sondern am Ende eines Integrationsprozesses.“
## „Wo kann ich gegen Ausländer unterschreiben?“
Das hat die CDU damals auch schon gesagt, bestätigt Falivena; ebenso war
damals christdemokratische Linie, Mehrstaatlichkeit vermeiden zu wollen.
Die in der Türkei geborene Frau Papo etwa sagt, sie habe „sich für die
deutsche Staatsbürgerschaft entschieden“.
Drüben in der Ausstellung erinnert sich derweil [9][Kenan Kolat,] 2005 bis
2014 Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, an eine
„sehr schädliche Debatte“, in der er an den Ständen der CDU oft die Frage
hören musste: „Wo kann ich gegen die Ausländer unterschreiben?“; das habe
ihn „sehr gekränkt“. Die doppelte Staatsangehörigkeit ist für Kolat eine
„Anerkennung der Realität: Wir können unsere Herkunft nicht wie eine Jacke
ablegen.“ Viele wollten sich nicht entscheiden müssen.
Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der
Deutschen Presse-Agentur zufolge stimmt fast jede:r Zweite der Aussage zu:
„Einwanderung hat hauptsächlich einen negativen Einfluss auf Deutschland“.
44 Prozent wollen Einwanderung erschweren – obwohl zugleich eine knappe
Mehrheit die Einbürgerung von Fachkräften unterstützt.
Auch Bülent Soyüz ist einer derjenigen, die sich in Deutschland haben
einbürgern lassen, 2006 war das. „Ich war kurz davor, den deutschen Pass
zurückzugeben“, sagt er heute. Als er bei der Polizei einen Einbruch melden
wollte, zeigte er seinen deutschen Passes vor und musste sich trotzdem
wiederholt nach seiner Staatsangehörigkeit fragen lassen. „Ich werde nicht
wie ein Deutscher behandelt“, sagt Soyüz – und dass er in Deutschland nicht
dazugehöre. Da hilft Papier offenbar nur wenig.
Auf dem Papier, immerhin, wurde aber das 1913 etablierte „Recht des Blutes“
im Staatsbürgerschaftsrecht dann 1999 doch reformiert. „Eine späte
Anerkennung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist“, sagt Lina
Falivena. Die Ausstellung in Bremerhaven wird gleichwohl noch lange aktuell
bleiben.
7 Jan 2023
## LINKS
[1] /Einbuergerung/!t5039672
[2] https://www.spiegel.de/fotostrecke/roland-koch-kampagne-gegen-den-doppelpas…
[3] https://www.zeit.de/politik/2022-11/einbuergerung-nany-faeser-doppelte-staa…
[4] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/einbuergerungsregeln-inne…
[5] https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/1999/Stimmungsmache-mit-rechten-Par…
[6] /Erlebniswelten-in-Bremerhaven/!5598463
[7] https://www.logbuch-bremerhaven.de/ein-fest-der-enden-und-anfaenge-eroeffnu…
[8] https://www.seyran-papo.de/uebermich
[9] https://www.kolat-beratung.de/
## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
Einbürgerung
Pass
Schwerpunkt Rassismus
Bremerhaven
Staatsbürgerschaft
doppelte Staatsbürgerschaft
Einbürgerung
Migration
Kolumne Diskurspogo
Schwerpunkt Rassismus
Migration
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