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# taz.de -- Zeitungen ohne Medienjournalismus: Medien verschwinden aus Medien
> Der „Tagesspiegel“ hat seine Medienseite abgeschafft und durch eine
> Fernsehrezensionsseite ersetzt. Ist das das Ende des Medienjournalismus?
Bild: In den 80er Jahren entstand im Tagesspiegel die erste Medienseite überha…
Medienseiten wirken auf Leser*innen mitunter manchmal schräg: eine Seite
in der Zeitung, auf der über andere Zeitungen geschrieben wird. Oder über
andere Medien, und das jeden Tag, und nicht nur, wenn ARD-Intendantinnen zu
große Autos fahren oder Jan Böhmermann den türkischen Präsidenten
beleidigt.
Politik-, Wirtschafts-, Kultur-, und Sportjournalismus sind etablierte
Fachbereiche in Redaktionen. Aber Medienjournalismus, ist das nicht
Nestbeschmutzung? Nabelschau?
Mitte November vermeldete die Nachrichtenagentur epd, dass [1][der Berliner
Tagesspiegel seine Medienseite abschaffe]. Die Meldung rutschte so durch im
täglichen Nachrichtenstrom. In den sozialen Medien, also da, wo Medienleute
gerne sind, schaffte sie es gerade einmal zu einem kleinen Aufreger. Dabei
hat gerade die Medienseite des Tagesspiegel eine besondere Geschichte:
Dort entstand Mitte der 80er Jahre eine der ersten Medienseiten überhaupt.
Der Tagesspiegel ist, kann man sagen, so etwas wie die Wiege des
Medienjournalismus.
Der Chefredakteur des Tagesspiegel, Lorenz Maroldt, wollte die epd-Meldung
im November auch nicht einfach so stehen lassen. Sie sei falsch, sagte
Maroldt damals der taz. Zwar würde der Tagesspiegel bald in neuem Format
und Design erscheinen, aber die Medienseite würde bleiben.
## Fokus auf Serien statt Kritik am Journalismus
Als dann kurz darauf der neue Tagesspiegel erschien, zeigte sich: beides
stimmte. Die Medienseite ist geblieben, aber anders als zuvor. Sie
beschäftigt sich nur noch mit dem, was im Fernsehen läuft, enthält
ausschließlich Filmkritiken und Serientipps. Die medienpolitischen Themen
dagegen, also zum Beispiel Entwicklungen beim Springer-Verlag,
[2][Berlusconis Griff nach dem Sender Prosieben] – das alles hat nun keine
eigene tägliche Seite mehr.
Lorenz Maroldt sagt, er habe nie etwas davon gehalten, Themen in Ressorts
einzusperren. Medienthemen sollen künftig in den anderen Ressorts aufgehen,
im Wirtschafts- oder Kulturteil etwa. Das Personal dafür ist geblieben: Die
drei Medienredakteure sind weiter Teil des Kulturressorts.
Maroldts Argument ist nicht neu. Auch die Springer-Zeitung Welt hat 2007
ihre Medienseite abgeschafft, Berichte über Medien erscheinen je nach
Relevanz in anderen Ressorts. Genauso arbeitet der Spiegel. Und auch der
Norddeutsche Rundfunk verpackte sein Sparprogramm an seinem Medienmagazin
„Zapp“ in eine zunächst schmeichelhafte Meldung. Zunächst klang sie, als
gebe es bald noch mehr Medienjournalismus im NDR: „auf NDR.de, in der
ARD-Mediathek, auf dem eigenen Youtube-Kanal und verschiedenen sozialen
Netzwerken“. Am Ende hieß das aber letztlich: weniger Medienjournalismus im
NDR, zumindest im linearen Fernsehen.
## Demokratie hängt am Journalismus
Die andere Seite ist: Beide, die Welt und der Spiegel, bringen auch ohne
feste Medienseite weiter relevante Mediengeschichten. Und der größte
Medienscoop des vergangenen Jahres – [3][die Vetternwirtschaft im rbb] –
erschien in einem Magazin, Business Insider, das nie eine tägliche
Medienseite hatte.
Und so stellt sich die Frage, ob der Schritt des Tagesspiegels der
Untergang oder die Rettung des Medienjournalismus ist?
Einer, der das wissen muss, ist Hektor Haarkötter. Er ist Professor für
Kommunikationswissenschaft an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und forscht
seit Jahren zu Medienjournalismus. Um zu erklären, wozu es den braucht,
wird Haarkötter erst einmal grundsätzlich: „Am Journalismus hängt die
Demokratie.“ Doch der Beruf der Journalist*innen sei einem extremen
Wandel unterzogen.
Dieser Wandel müsse kritisch begleitet werden – und das mache Medienseiten
relevant. „Wir müssen uns klarmachen, dass wir in einer Mediengesellschaft
leben“, sagt Haarkötter. Der Erklärungsbedarf sei groß. Wie unser
Mediensystem funktioniert, das wüssten bisweilen sogar politische
Entscheider nicht genau. Dazu kämen Themen wie Fake News und
Digitalisierung, all das gehört für Haarkötter zu gutem Medienjournalismus.
## Zunahme von neuen Medienthemen
Ob es dafür eine tägliche Seite brauche, da will sich auch Haarkötter nicht
festlegen. „Medienseiten waren die Seiten der klassischen Medien, aber
Medien sind nicht mehr klassisch“, sagt er. „Beim Netz, beim Digitalen, da
haben die Medienseiten zum Teil eine Entwicklung versäumt.“ Netflix und dem
Streaming haben sich die Medienseiten zwar geöffnet, aber Themen der
Digitalisierung, Netzpolitik, Datensicherheit oder künstliche Intelligenz
finden meist in anderen Ressorts statt.
Das mag auch an der Geschichte der Medienseiten liegen. Entstanden sind sie
in den 1980er Jahren, als das Privatfernsehen gegründet wurde, und
Zuschauer*innen plötzlich eine Orientierungshilfe fürs TV-Programm
brauchten. Die Berichterstattung über Presse und Rundfunk entstand eher als
Nebenprodukt, entwickelte sich aber zu einem eigenen Fachgebiet: dem
Medienjournalismus.
Dieser hatte auf den Medienseiten eine gewisse Autonomie – war aber
natürlich nie konfliktfrei. Medien und ihre Mächtigen zu kontrollieren, ist
keine ganz einfache Sache, wenn die berufliche Zukunft von diesen Mächtigen
abhängt. Oder wenn der eigene Chefredakteur mit dem, der kritisiert werden
soll, golfen geht. Oder die eigene Zeitung in Konkurrenz mit der anderen
steht.
## Die Presse muss auch auf Kolleg*innen schauen
Wie merkwürdig dieses Verhältnis ist, wird immer mal wieder offensichtlich:
Zum Beispiel [4][als der Zeitungs-Verleger Dirk Ippen eine Recherche seines
eigenen Investigativ-Teams kippte], in der Vorwürfe gegen den damaligen
Bild-Chef Julian Reichelt erhoben wurden. Ippen verhinderte den Text und
begründete seine Entscheidung damals mit dem Satz: Es sei nicht gut, wenn
eine Redaktion über die andere schreibt, „ein sogenannter Pressekrieg“.
Zur Wahrheit gehörte aber auch, dass es wirtschaftliche Verflechtungen
zwischen dem Springer- und dem Ippen-Verlag gab. Von Pressefreiheit bei
Medienthemen kann in diesem Fall also nicht die Rede sein.
Zwar haben auch nicht alle Zeitungen des Ippen-Verlags eine tägliche
Medienberichterstattung, aber der Fall zeigt: Medienjournalismus hat auch
die Funktion eines Kontrollorgans für Rundfunk und Presse. Um die ausführen
zu können, braucht er eine Verankerung in der Redaktion, den Rückhalt der
Verleger*innen und Chefredakteur*innen. Eine feste Medienseite kann
dabei helfen.
## Mitmachen, statt nur vorgesetzt bekommen
Dazu kommt, dass das Interesse der Leser*innen an Medienthemen durch die
Digitalisierung größer geworden ist. Über die sozialen Medien haben
Leser*innen einen direkteren Draht zu Redaktionen, mit Onlinekampagnen
können sie Redaktionen dazu bewegen, ihre Berichterstattung zu
reflektieren, sich zu entschuldigen und Formulierungen zu überdenken.
Leser*innen haben mehr denn je das Gefühl, die Medien mitzumachen,
anstatt sie nur vorgesetzt zu bekommen. Entsprechend hat das Interesse an
medienjournalistischen Themen zugenommen. Das zeigt sich auch daran, dass
im Internet unabhängige Medienblogs und Webseiten entstanden sind:
Bild-Blog, Übermedien oder das Projekt Topf voll Gold, das die
Regenbogenpresse beobachtet.
Warum also sollte eine Zeitung diesem Fachbereich die feste Seite
wegnehmen?
Andererseits – wenn Sie diesen Artikel lesen, dann lesen Sie ihn vielleicht
gar nicht auf der taz-Medienseite aus Papier. Sondern auf der taz-Webseite,
auf Instagram oder in der App.
## Unterbringen, ohne es zu benennen
Medienforscher Hektor Haarkötter versteht den Impuls, Medienthemen den
anderen Ressorts der Zeitung unterzumischen. Allerdings warnt er davor,
dass der Medienjournalismus darunter leiden könnte, wenn er künftig mit
anderen Themen um Relevanz kämpfen müsse. „Wenn ich Ressorts auflöse und
Themen mische, kann es sein, dass ich den Fachjournalismus aufgebe.“
Lorenz Maroldt glaubt, dass es Medienthemen sogar guttun könnte, wenn sie
mit anderem vermischt erscheinen. Weil manch eine*r sonst die Medienseite
gar nicht erst aufschlage. „Wenn wir Wirtschaftsthemen online spielen, ohne
sie explizit als Wirtschaftsthemen auszuweisen, werden sie mehr gelesen.
Dasselbe gilt für Sport.“
Die Ressorts „Wirtschaft“ und „Sport“ hat der Tagesspiegel allerdings n…
dem Relaunch beibehalten. Sie füllen auch in den neuen Ausgaben jeweils
mehrere Seiten.
Was erwarten Sie von Medienjournalismus? Haben Sie Themenwünsche für diese
Seite? Schreiben Sie uns: [email protected]
13 Jan 2023
## LINKS
[1] /Tagesspiegel-streicht-Medienseite/!5897766
[2] /Medienpolitik-im-Jahr-2023/!5903490
[3] /Vorteilsnahme-und-Verschwendung/!5871761
[4] /Dirk-Ippen-und-der-Springer-Verlag/!5807209
## AUTOREN
Peter Weissenburger
Anne Fromm
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