| # taz.de -- „Der Spiegel“ und der Fall „Maria“: Das tote Kind gab es nu… | |
| > Der „Spiegel“ gesteht Fehler ein. Seine Berichte über das angeblich an | |
| > der türkisch-griechischen Grenze verstorbene Mädchen ließen sich nicht | |
| > belegen. | |
| Bild: Recherchiert gerne die eigenen Recherchen nach: der „Spiegel“ in Hamb… | |
| Nach erheblichen Zweifeln an einigen seiner Berichte aus dem | |
| griechisch-türkischen Grenzgebiet hat [1][der Spiegel] Fehler eingestanden. | |
| Zu seiner Berichterstattung über Geflüchtete in der Region hat das | |
| Wochenmagazin eine Nachrecherche veröffentlicht. Ernsthafte Zweifel bleiben | |
| demnach unter anderem an der Richtigkeit einer Geschichte über den Tod | |
| eines syrischen Mädchens namens „Maria“. | |
| „Der Spiegel sah in dem Kind eine Symbolfigur für das Leiden der | |
| Geflüchteten an den EU-Außengrenzen und stellte dies in seiner | |
| Berichterstattung entsprechend dar“, heißt es in [2][einem nun | |
| veröffentlichten Bericht zur Nachrecherche]. Dieser ist aus einer internen | |
| Prüfung hervorgegangen. Dass das Mädchen „Maria“ existiert hat, kann darin | |
| erneut nicht belegt werden. | |
| Im Sommer 2022 wurden im Spiegel drei Beiträge und ein Podcast über eine | |
| Gruppe von Geflüchteten veröffentlicht, die auf dem Weg nach Griechenland | |
| am [3][Grenzfluss Evros] nicht weiterkam. Die griechische Regierung helfe | |
| der Gruppe nicht, obwohl sie hierzu verpflichtet sei, hieß es darin. Die | |
| Rede war auch vom Tod eines fünfjährigen Mädchens. | |
| Daraufhin begann eine Debatte über den Wahrheitsgehalt der | |
| Spiegel-Berichterstattung, vor allem in Griechenland. Der griechische | |
| Migrationsminister Notis Mitarachi soll sich sogar mit einem Brief an die | |
| Chefredaktion des Hamburger Magazins gewandt haben. Der Spiegel nahm die | |
| betreffenden Texte von der Website mit dem Vermerk, dass die Berichte | |
| geprüft und gegebenenfalls in korrigierter Form veröffentlicht würden. | |
| ## „Angeblich“ wurde „tatsächlich“ | |
| Nun schreibt das Magazin, es sei nach erneuter Prüfung zum Schluss | |
| gekommen, dass es die Beiträge zu dem angeblich gestorbenen Flüchtlingskind | |
| Maria nicht mehr online stellen werde, auch nicht in überarbeiteter Form. | |
| Die Begründung: „Zu vieles darin müsste korrigiert werden.“ | |
| In dem am Abend des 30. Dezember veröffentlichten Bericht heißt es, dass | |
| ein Team von Spiegel-Journalisten noch einmal in die Recherche eingestiegen | |
| sei. Die Ombudsstelle des Magazins habe interne Dokumente, Videos und Fotos | |
| mit Metadaten, Chatprotokolle, E-Mails, Audiodateien, Satellitenaufnahmen | |
| und andere Unterlagen ausgewertet, mit vielen Beteiligten gesprochen – und | |
| sei zu dem Schluss gekommen, dass das Magazin „tatsächlich Fehler gemacht“ | |
| habe. | |
| „Die Spiegel-Beiträge erwecken den Eindruck, die Flüchtlingsgruppe sei fast | |
| einen Monat lang immer wieder auf derselben griechischen Insel gestrandet“, | |
| steht im aktuellen Bericht. „Doch: Weder waren die Migranten immer auf | |
| derselben Insel, noch waren sie immer auf griechischem Boden. Tatsächlich | |
| lässt sich nur für wenige Tage belegen, wo sich die Geflüchteten genau | |
| aufhielten.“ Auch die Existenz des angeblich toten Mädchens Maria konnte | |
| der Spiegel nach erneuter Recherche nicht zweifelsfrei belegen. Mitarbeiter | |
| des Magazins hätten sich dafür in Griechenland mit den angeblichen Eltern | |
| des Mädchens getroffen. Diese hätten sich aber nicht mehr genau erinnern | |
| können, wo das Kind begraben sei, und hätten auch keine Fotos vorweisen | |
| können, die die Existenz des Mädchens belegen. | |
| Ein entscheidender Fehler in der Berichterstattung über das angeblich tote | |
| Mädchen ist offenbar in der Hamburger Redaktion des Spiegel geschehen. Ein | |
| Spiegel-Mitarbeiter habe einen auf Englisch verfassten Bericht geschickt. | |
| „Um vor anderen Medien über den Fall berichten zu können, soll der Artikel | |
| schnell online veröffentlicht werden“, heißt es in dem aktuellen | |
| Spiegel-Bericht. | |
| Ein Mitglied der Auslandsredaktion, der als Co-Autor über dem Artikel | |
| steht, habe den Beitrag übersetzt, redigiert und ergänzt. Während in der | |
| englischen Version an mehreren Stellen „vorsichtig im Konjunktiv über den | |
| Tod des Kindes“ berichtet worden sei – „She is reported dead“ und „the | |
| group says, Maria died“ –, sei bei der redaktionellen Überarbeitung in | |
| Hamburg aus dieser mutmaßlichen, nicht endgültig belegten Information eine | |
| Tatsachenbehauptung gemacht worden. Die Berichte seien zudem nicht von der | |
| Dokumentationsabteilung des Spiegel überprüft worden. Aufgrund der großen | |
| Anzahl aktueller Onlinebeiträge könne diese nur einen Teil prüfen. Die | |
| Verantwortlichen im Auslandsressort hätten eine Prüfung nicht beauftragt. | |
| Abschließend heißt es in der Nachrecherche: „Angesichts der Quellenlage | |
| hätte der Spiegel die Berichte über den Aufenthaltsort der Geflüchteten und | |
| vor allem den Tod des Mädchens deutlich vorsichtiger formulieren müssen. | |
| Auch wenn ein letztgültiger Beleg fehlt, deutet doch manches daraufhin, | |
| dass einige der Geflüchteten den Todesfall in ihrer Verzweiflung erfunden | |
| haben könnten.“ Auf die Frage, ob der Spiegel personelle Konsequenzen aus | |
| dem Fall ziehen werde, erhielt die taz am Montag keine Antwort. | |
| 2 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Der-Spiegel/!t5016088 | |
| [2] https://www.spiegel.de/backstage/debatte-ueber-fluechtlingsberichterstattun… | |
| [3] /Flucht-ueber-griechischen-Fluss-Evros/!5540603 | |
| ## AUTOREN | |
| Volkan Ağar | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Zeitungskrise | |
| Der Spiegel | |
| Griechenland | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Der Spiegel | |
| Medienjournalismus | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Griechenland | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Machtkampf beim Nachrichtenmagazin: Aufruhr beim „Spiegel“ | |
| Die Gerüchteküche brodelt: Es soll ein Machtkampf zwischen Chefredaktion | |
| und Geschäftsführung toben. Steht Chef Klusmann vor dem Aus? | |
| Zeitungen ohne Medienjournalismus: Medien verschwinden aus Medien | |
| Der „Tagesspiegel“ hat seine Medienseite abgeschafft und durch eine | |
| Fernsehrezensionsseite ersetzt. Ist das das Ende des Medienjournalismus? | |
| Geflüchtete im Mittelmeer: Rettungsschiff darf ansteuern | |
| Einem Rettungsschiff mit 85 Flüchtlingen ist in Italien ein sicherer Hafen | |
| zugewiesen worden. Eine weitere Rettungsaktion wurde nicht erlaubt. | |
| Griechenlands Migrationspolitik: Strafverfahren gegen Helfer | |
| Zwei prominente Flüchtlingshelfer sollen eine kriminelle Vereinigung | |
| gegründet haben. Die konservative Regierung hatte sie schon lange im | |
| Visier. | |
| Flucht über griechischen Fluss Evros: Nur 50 Meter | |
| Der Evros bildet die Grenze zwischen der Türkei und Griechenland. Rund | |
| 13.000 Geflüchtete überquerten ihn auf ihrem Weg in die EU in diesem Jahr. |