# taz.de -- Debatte um Speicherung: Wohin mit dem CO2? | |
> EU und Bundesregierung sehen die Abscheidung und Speicherung von | |
> Kohlendioxid als Chance. Doch die Debatte wird für alle Beteiligten | |
> unbequem. | |
Bild: In Norwegen gibt es noch Schnee | |
Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck sieht CO2 lieber im Boden als | |
in der Atmosphäre. Während seines Norwegen-Besuchs dokumentierte er damit | |
die Renaissance eines in Deutschland umstrittenen Themas: [1][die | |
Abscheidung und Speicherung von CO2] (Englisch: Carbon Capture and Storage, | |
CCS). | |
Mit dem Ziel, bis Mitte des Jahrhunderts Treibhausgasneutralität zu | |
erreichen, hat sich in den letzten Jahren ein grundlegender Wandel in der | |
deutschen und europäischen Klimapolitik vollzogen. Dies wirft die politisch | |
unbequeme Frage auf, wie mit den schwer vermeidbaren Emissionen im | |
Industrie-, Landwirtschafts- und Verkehrssektor umgegangen wird. Gerade in | |
einer Zeit, in der die Angst vor einer Deindustrialisierung den politischen | |
Wettbewerb prägt, gewinnt dieses Thema an Brisanz. | |
Auch deshalb ist gerade viel die Rede von CCS. In Brüssel treibt die | |
Europäische Kommission das Thema mit dem Strategiedokument „Nachhaltige | |
Kohlenstoffkreisläufe“ und politischen Initiativen voran. Ähnliche Impulse | |
gehen in Deutschland vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz | |
aus, das mit dem Evaluierungsbericht zum Kohlenstoffspeichergesetz einen | |
Wandel der deutschen Position zu CCS initiierte. | |
Der [2][Besuch Habecks in Norwegen] und die für dieses Jahr geplante | |
Carbon-Management-Strategie sind die nächsten Schritte in der | |
Wiederbelebung des Themas. CCS, das jetzt als ein Bestandteil des | |
Oberbegriffs „Carbon Management“ firmiert, wird an der Schnittstelle von | |
Industrie- und Klimapolitik offensiv angegangen. CCS ist nicht gleich CCS: | |
Es ist Teil unterschiedlicher Prozessketten, deren klimapolitische Funktion | |
vom Ursprung des CO2 abhängt. Die folgende Unterscheidung wird in der | |
Debatte oft vernachlässigt. | |
Zum einen gibt es Prozessemissionen, die ohne CCS nicht vermieden werden | |
können. Dazu gehören zum Beispiel die Emissionen aus der Zement- und | |
Kalkherstellung. Hier wird unabhängig von der Verbrennung fossiler | |
Brennstoffe CO2 freigesetzt. Auch durch den Umstieg auf erneuerbare Energie | |
könnten diese Emissionen nicht vermieden werden. Diese Prozesse werden nur | |
dann nahezu CO2-neutral, wenn das CO2 abgetrennt und dauerhaft gespeichert | |
wird. Zweitens kann CCS zur Speicherung des bei der Verbrennung fossiler | |
Brennstoffe freigesetzten CO2 eingesetzt werden. Im Rahmen der | |
angekündigten Kooperation zwischen Deutschland und Norwegen steht die | |
Anwendung von CCS bei der Nutzung von Erdgas in Prozessketten für „blauen“ | |
Wasserstoff im Vordergrund. | |
Drittens ist CCS Bestandteil verschiedener Negativemissionstechnologien. | |
Ein Beispiel ist die Abscheidung aus der Umgebungsluft (Direct Air Capture) | |
in Kombination mit CCS. Negative Emissionen werden in Zukunft benötigt, um | |
Restemissionen – zum Beispiel aus der Landwirtschaft – auszugleichen und so | |
Netto-null-Emissionen im Jahr 2045 und Netto-negativ-Emissionen nach 2050 | |
zu ermöglichen. | |
Wenn über CCS gesprochen wird, sollten diese drei Bereiche unterschieden | |
werden. Sammelbegriffe wie Carbon Management sind politisch attraktiv. Sie | |
unterschlagen aber die unterschiedlichen Einsatzbereiche, Regulierungen | |
sowie politische Allianzen. | |
Im Zuge des neuen Vorstoßes der Bundesregierung haben sich einige | |
Umweltverbände dem Thema CCS als Lösung für den Umgang mit den | |
Restemissionen angenähert, andere hingegen lehnen CCS unter Verweis auf | |
mögliche Risiken strikt ab. Wie auch bei politischen Parteien und | |
Ministerien bergen das Thema und der steigende Positionierungsdruck | |
erhebliches Konfliktpotenzial innerhalb und zwischen Organisationen. | |
Die Debatte wird jedoch für alle Beteiligten unbequem. Auch für die | |
Industrie, die ihre Restemissionen glaubwürdig darlegen muss und so | |
Verteilungsfragen zwischen den Branchen, aber auch innerhalb der | |
Unternehmen klären muss. Wer darf im Jahr 2045 noch wie viel emittieren, | |
und wer bezahlt die Investitionen in Lösungen zum Ausgleich dieser | |
Restemissionen? Diese Frage wird in den kommenden Jahren zu erheblichen | |
politischen Konflikten führen. | |
Nur wenn es eine offene Debatte darüber gibt, welche Emissionen in | |
Deutschland im Jahr 2045 als unvermeidbar gelten, kann eine glaubwürdige | |
Auseinandersetzung über den Einsatz von Carbon Management erfolgen. Für | |
eine ernsthafte und umfassende Debatte braucht es deshalb eine klare | |
Taxonomie für Restemissionen. | |
## Vier Grundpfeiler beim CCS | |
Vier Grundpfeiler sollten der Ausgangspunkt für die Klassifizierung sein: | |
1) Restemissionen dürfen den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern nicht | |
verzögern. Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger sollten | |
nicht als Restemissionen gelten. 2) Die Grundversorgung mit Energie und | |
Nahrungsmitteln, sicherheitsrelevante Infrastrukturen und andere | |
strategische Ziele können Emissionen als Restemissionen legitimieren. 3) | |
Prozesse, die derzeit als Restemissionen angesehen werden, haben keinen | |
Freifahrtschein: Anreizstrukturen für weitere Anstrengungen zur | |
Emissionsvermeidung müssen bestehen bleiben. Das Verursacherprinzip und | |
Preissignale sollten für Emittenten weiterhin gelten. 4) Für alle | |
Restemissionen muss ein Ausgleich durch negative Emissionen initiiert | |
werden, andernfalls bleiben Klimaziele unerreichbar. | |
Die neue Diskussion im Rahmen der Netto-null-Klimapolitik zeigt: | |
Klimavorreiter ist, wer sich auch mit Restemissionen und Carbon Management | |
beschäftigt und die zu erwartenden Konflikte nicht scheut. Das bedeutet | |
harte Debatten darüber, wie sie reguliert werden können, damit die | |
notwendigen Emissionsreduktionen nicht ausgebremst werden. Carbon | |
Management in all seinen Facetten ist kein Ersatz für eine grundlegende | |
Transformation. Es ist eine zusätzliche Herausforderung, um die Klimaziele | |
zu erreichen. | |
Felix Schenuit ist Wissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und | |
Politik in Berlin und arbeitet zum Themenkomplex „Carbon Management“. | |
18 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
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