| # taz.de -- Nach dem Putschversuch in Brasilien: Mob und Machtprobe | |
| > Die Attacke auf Kongress, Gericht und Präsidentenpalast in Brasilien ist | |
| > gescheitert. Was bleibt, ist eine fanatische und gewaltbereite Bewegung. | |
| Bild: Grün-gelber Gipfelsturm: Bolsonaro-Anhänger*innen in Brasília am Sonnt… | |
| Rio de Janeiro taz | Das Video zeigt einen rennenden Mann. Er filmt sich | |
| selbst und ruft aufgeregt in die Kamera: „Wir haben immer gesagt, dass wir | |
| nicht aufgeben werden.“ Und dann brüllt er: „Der Kongress ist unser. Wir | |
| haben die Macht.“ Der Mann war einer von Hunderten Anhänger*innen des | |
| brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro, die am Sonntag die | |
| Hauptstadt Brasília in stundenlanges Chaos versetzten. Das Video postete er | |
| in den sozialen Medien. | |
| In den Nationalfarben Grün und Gelb gekleidet, stürmten Bolsonaro-Fans am | |
| späten Nachmittag das Kongressgebäude, den Obersten Gerichtshof und den | |
| Präsidentenpalast. Sie randalierten, plünderten und griffen | |
| Journalist*innen an. Später kletterten sie im Plenarsaal des Senats auf | |
| Tische und Bänke, richteten einen erheblichen Sachschaden an. Erst am Abend | |
| konnte die Polizei die Attacke beenden. | |
| Der Sturm auf Brasília zeigt, wie gespalten das größte Land Lateinamerikas | |
| ist – und dass große Herausforderungen auf die neue Regierung zukommen. Die | |
| Angriffe vom Sonntag waren die heftigsten Attacken auf Brasiliens | |
| Demokratie seit dem Ende der Militärdiktatur 1985. Seit Wochen hatten | |
| Bolsonarist*innen zum Sturm auf Brasília aufgerufen. Warum konnte es | |
| trotzdem geschehen? War man einfach schlecht vorbereitet? Oder war das so | |
| gewollt? | |
| Es wird noch lange dauern, bis die Ereignisse aufgearbeitet sind. Was jetzt | |
| aber schon klar ist: Teile der Sicherheitskräfte haben die rechtsextremen | |
| Fanatiker*innen nicht aufgehalten, im Gegenteil: Videos zeigen | |
| Polizeibeamte, die gut gelaunt für Selfies mit Demonstrant*innen | |
| posieren. Es ist kein Geheimnis, dass viele Sicherheitskräfte mit Bolsonaro | |
| sympathisieren. Der rechte Rowdy startete seine politische Karriere als | |
| Interessenvertreter für Polizist*innen und Militärs. | |
| ## Bolsonaro hat immensen Schaden angerichtet | |
| Der Putschversuch vom Sonntag hat eine Vorgeschichte. Am 30. Oktober verlor | |
| Bolsonaro die Stichwahl gegen den Sozialdemokraten Luiz Inácio „Lula“ da | |
| Silva. Seitdem gehen die Anhänger*innen des Rechtsradikalen auf die | |
| Straße. Ähnlich wie in den USA klammern sie sich an wirre | |
| Verschwörungsmythen über ein düsteres System und linke Eliten, die mit | |
| allen Mitteln ihren aufrichtigen Präsidenten entmachtet hätten. Viele | |
| zweifeln ganz offen die Wahlergebnisse an, sprechen von einem „großen | |
| Betrug“. Einige Bolsonaro-Anhänger*innen fordern ganz ungeniert ein | |
| Eingreifen der Streitkräfte. | |
| Dass nun einige den Aufstand wagten, zeigt, welchen Schaden Bolsonaros | |
| Amtszeit angerichtet hat. Dem Rechtsextremen ist es tatsächlich gelungen, | |
| eine überaus aktive – und auch gewaltbereite – Bewegung hinter sich zu | |
| scharen. Es ist eine Bewegung, die von Hass, Wahn und Verschwörungsglauben | |
| angetrieben wird, dennoch durchaus Rückhalt in Teilen der Bevölkerung | |
| besitzt. | |
| Bolsonaro äußerte sich noch am Sonntag auf Twitter. „Friedliche | |
| Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Überfälle auf | |
| öffentliche Gebäude, wie sie heute stattgefunden haben, fallen jedoch nicht | |
| darunter“, schrieb er. Während seiner Amtszeit habe er sich stets an die | |
| Verfassung gehalten und die Demokratie verteidigt. | |
| ## Wahlniederlage nicht anerkannt | |
| Allerdings beschuldigen ihn viele, die Proteste angestachelt zu haben. | |
| Während seiner Amtszeit attackierte er immer wieder die demokratischen | |
| Institutionen, beschimpfte Journalist*innen und verherrlichte die | |
| Verbrechen der Militärdiktatur. Seine Wahlniederlage hat er bisher nicht | |
| ausdrücklich eingeräumt, er sprach von „Gefühlen der Ungerechtigkeit“ ü… | |
| den Ausgang der Wahl. Und er rief zum Widerstand gegen die neue Regierung | |
| auf. Bolsonaro befindet sich derzeit in den USA und nahm – entgegen den | |
| Gepflogenheiten – nicht an der Amtsübernahme Lulas teil. | |
| Vor seinem Abflug gab er sich jedoch zurückhaltender, kritisierte zaghaft | |
| die Proteste seiner Fans und erklärte: „Niemand will ein Abenteuer.“ Doch | |
| seine Fans ignorierten ihn. Der Bolsonarismus scheint größer als Bolsonaro | |
| zu sein. Es geht längst nicht mehr nur um das Amt des Präsidenten. Viele | |
| Bolsonarist*innen wähnen sich in einem Endkampf von epischen Ausmaßen. | |
| Und es droht eine weitere Radikalisierung. Kurz vor Neujahr hatte die | |
| Polizei in Brasília einen Mann verhaftet, der Bombenanschläge geplant | |
| hatte. | |
| Im Bolsonarismus vereinen sich ganz unterschiedliche reaktionäre Gruppen | |
| und Ideen. Religiöser Fanatismus, Ultranationalismus, Militarismus. Was sie | |
| zusammenhält, ist die Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen, und | |
| eine Haltung, sich hermetisch nach außen abzuschirmen. Zweifel? Gibt es | |
| nicht. Kritik? Wird nicht toleriert. Es gibt nur zwei Kategorien: für uns | |
| oder gegen uns. Freund oder Feind. Wir gegen die. Während seiner Amtszeit | |
| nährte Bolsonaro diese Wagenburgmentalität, indem er ständig Konflikte mit | |
| den demokratischen Institutionen provozierte. | |
| Besonders der Oberste Gerichtshof entwickelte sich so zur Zielscheibe der | |
| Bolsonarist*innen. Das hängt damit zusammen, dass Richter*innen der | |
| Regierung immer wieder die Grenzen aufzeigten. So ist es nicht | |
| überraschend, dass einige der marodierenden Demonstrant*innen am | |
| Sonntag zum Obersten Gerichtshof vordrangen. Sie zerstörten Scheiben und | |
| Möbel, stürmten die Lobby. | |
| ## Gericht lässt Protestcamp räumen: 1.200 Festnahmen | |
| Die Angreifer*innen gelangten auch in den Regierungssitz Palácio do | |
| Planalto, den offiziellen Arbeitsplatz des Staatsoberhaupts. Präsident Lula | |
| befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht in dem Gebäude, er war auf | |
| Dienstreise im Bundesstaat São Paulo. Der ehemalige Gewerkschafter | |
| bezeichnete die Angriffe als „Barbarei“ und nannte die Eindringlinge | |
| „Faschisten“. Er versprach lückenlose Aufklärung und verkündete: Die | |
| Hintermänner der Angriffe werden zur Rechenschaft gezogen. Lula ordnete | |
| zudem per Dekret an, dass die Regierung die Verantwortung für die | |
| öffentliche Sicherheit in der Hauptstadt übernimmt. | |
| Am Montagmorgen ließ Richter Alexandre de Moraes ein Protestcamp von | |
| Bolsonaro-Unterstützer*innen vor dem Hauptquartier der Streitkräfte in | |
| Brasília räumen. Rund 1.200 Personen sollen dabei festgenommen und in ein | |
| Gebäude der Bundespolizei gebracht worden sein. Bereits am Sonntag waren | |
| etwa 400 Angreifer*innen festgenommen worden. | |
| In rechtsradikalen Netzwerken werden die Angriffe gefeiert. Und | |
| Bolsonaro-Anhänger*innen wollen weiterhin Widerstand gegen die neue | |
| Regierung leisten. In mehreren Städten begannen Demonstrant*innen | |
| damit, Autobahnen zu blockieren, und setzten Barrikaden in Brand. Am Montag | |
| wollen Bolsonaro-Gegner*innen wiederum auf die Straße gehen, um für die | |
| Demokratie zu demonstrieren. Brasilien stehen heiße Tage bevor. | |
| 9 Jan 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Niklas Franzen | |
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