# taz.de -- Buch zur Geschichte des Dub: Dub-Musik ist Tonhandwerk | |
> Klangsprachen am Mischpult: Helmut Philipps hat mit dem Buch „Dub | |
> Konferenz“ ein unverzichtbares Kompendium der jamaikanischen Musikkultur | |
> verfasst. | |
Bild: Lee „Scratch“ Perry, Reggae-Godfather und „Salvador Dalì“ des Du… | |
In einer anderen Welt hieße die Millionen-Frage [1][bei Günther Jauch]: Wer | |
dieser vier Toningenieure hat nicht in King Tubbys Aufnahmestudio die hohe | |
Kunst am Mischpult gelernt? A) [2][King Jammy] B) Pat Kelly C) Errol | |
Johnson D) Scientist. | |
Genau, die Antwort lautet Errol Johnson, den gab es nämlich gar nicht in | |
dieser Funktion. Dafür gibt es aber zwei andere Errols, die an der | |
Entwicklung der jamaikanischen Dub-Ästhetik maßgeblich beteiligt waren: | |
Errol Thompson und Erroll Brown. | |
Der erste zählte zu den Pionieren des Dub, der schon ein, zwei Jahre vor | |
King Tubby Ende der 1960er Jahre eine eigene Klangsprache am Mischpult | |
entwickelt hat – und etwa mit dem Produzenten Joe Gibbs Mitte der 1970er | |
Jahre auf zahlreichen Single-B-Seiten (daher stammte ursprünglich auf | |
Jamaika die Dubversion auf Tonträgern) und Dub-Alben (etwa die African | |
Dub-Reihe) für den globalen Markt verbreitet hat. | |
Wo immer wir heute in der Tiefton- und Echokultur namens Dub eingestreute | |
Umwelt-, Natur- oder Klospülungsgeräusche hören – Errol Thompson ist der | |
Name ihres Erfinders. Der andere Errol mit Nachnamen Brown hat eine weniger | |
auffällige, aber nicht minder effektive Klangsprache entwickelt, die vor | |
allen bei seinen Remixen von Rock-Steady-Material aus den späten 1960er | |
Jahren Glanz entfachte. | |
## Zehn Jahre Interviewarbeit | |
Über zehn Jahre hat der Dortmunder Autor Helmut Philipps mit Produzenten, | |
Musikern und noch lebenden Dub-Toningenieuren Interviews geführt und | |
diese als Basismaterial für [3][„Dub Konferenz. 50 Jahre Dub aus Jamaika“] | |
verwendet. Die Arbeit hat sich gelohnt. Es ist tatsächlich ein | |
unverzichtbares Nachschlagewerk des Dub geworden und überhaupt erst das | |
dritte seriöse Werk zum Thema, nach Michael E. Veals „Dub“ (2007) und | |
Christopher Partridges „Dub in Babylon“ (2010). | |
Es gibt inzwischen eine umfangreiche multimediale Dub-Publizistik in | |
Zeitschriften, Blogs, Podcasts und Dokumentarfilmen, die zur Verbreitung | |
einstigen Geheimwissens über Dub beiträgt. Insofern sind einige der hier | |
mit einzelnen Kapiteln bedachten Toningenieure wie Sylvan Morris, Barnabas, | |
Soljie Hamilton und Groucho Smykle keine unbekannten Namen mehr. Dass ihre | |
Arbeit und Dub-Philosophie aber ausführlich über mehrere Seiten bei | |
Philipps dargestellt wird, ist schon eine Besonderheit. | |
Selbstverständlich kommen auch die Big Five (King Tubby, Scientist, Errol | |
Thompson, King Jammy, Errol Brown) nicht zu kurz. Darüber hinaus liefert | |
der Dortmunder Autor sorgfältig recherchiertes Detailwissen zu Hunderten | |
von Dub-Alben, aber auch zu Tonstudios und ihren Mischpulten. | |
Er erklärt auf verständliche Weise, wie King Tubby mit dem legendären | |
High-Pass-Filter an seinem kleinen Mischpult eine so immense Wirkung | |
entfachen konnte, und berichtet, welch wichtige Rolle der australische | |
Toningenieur Grame Goodall in der Frühphase der jamaikanischen | |
Musikproduktion spielte. | |
## Lee „Scratch“ Perry als Höhepunkt | |
Moment mal, [4][was ist eigentlich mit Lee Perry?] Philipps Kapitel über | |
den „Upsetter“ kommt im Buch als drittletztes Kapitel und ist sein | |
Höhepunkt. Perrys umfangreiches Œuvre als Produzent und Künstler wird hier | |
angemessen gewürdigt, seine Rolle als Toningenieur allerdings geschmälert. | |
Wie Philipps anhand vieler Details belegt, hat Lee „Scratch“ Perry als | |
Dub-Engineer nahezu ausschließlich in seinem legendären Black Ark Studio in | |
Kingston von 1974 bis 1979 gewirkt. Davor war er Produzent und Künstler, | |
danach nur noch Künstler, das heißt Sprechsänger. | |
Seit 1980 haben also immer andere in Lee Perrys Namen einen Dubsound oder | |
einzelne Dub-Versions am Mischpult kreiert. Es wäre an der Zeit, die weit | |
verbreitete These von Lee Perry als Erfinder von Dub nun endlich ad acta zu | |
legen. Entmythologisierung ist dem Autor ein dringliches Anliegen und so | |
setzt sich seine „Dub Konferenz“ deutlich von etablierten Interpretationen | |
des Genres ab: | |
Es geht hier weder um Dub als ozeanische Erlebniswelt, wie Mitte der 90er | |
Jahre bei David Toop, oder um eine afrofuturistische Verklärung von Dub als | |
black secret technology, noch um die musikwissenschaftliche Analyse | |
diverser Dub-Klangsprachen, wie sie bei Michael E. Veals Grundlagenwerk | |
„Dub“ im Mittelpunkt stehen. | |
Zentral ist bei Philipps stattdessen ein materialistisch orientiertes | |
Verständnis der teils sehr unterschiedlichen Dubstile verschiedener | |
Toningenieure: Der von ihnen jeweils entfachte Zauber der Kreationen hing | |
immer auch vom musikalischen Material, der zur Verfügung stehenden | |
Technologie und sonstiger Produktionsbedingungen ab. Und ein wichtiger | |
Aspekt, der bei Michael E. Veal schon vorkam, wird bei Philipps noch | |
verstärkt: Ohne Sound-System-Betreiber, die die Toningenieure erst zum | |
Mischen außergewöhnlicher Remixe anspornten, hätte es Dub auf Tonträgern | |
wahrscheinlich nie gegeben. | |
Nicht zuletzt hilft Philipps’ enge, aber richtige Definition Fans und | |
Interessierten bei der Umschiffung schwarzer Löcher im Dub-Universum: „Dub | |
steht immer in Relation zu etwas, das bereits existiert. Dub ohne | |
vorgeschaltetes Original ist Instrumentalmusik.“ | |
4 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /DIE-WAHRHEIT/!5135384 | |
[2] /Reggae-Klassiker-wiederveroeffentlicht/!5606635 | |
[3] https://www.perlentaucher.de/buch/helmut-philipps/dub-konferenz.html | |
[4] /Nachruf-auf-Lee-Scratch-Perry/!5796802 | |
## AUTOREN | |
Olaf Karnik | |
## TAGS | |
Dub | |
Jamaika | |
Reggae | |
Reggae | |
Jamaika | |
Reggae | |
Filmreihe | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sunrise Reggaefestival in Burtenbach: Some Drum and Bass in Bayern | |
Das Sunrise Festival in Burtenbach ist eine Institution. In diesem Jahr | |
gaben sich die Skatalites aus Jamaika die Ehre, aber auch Polizei in Zivil. | |
Debütalbum von Jamaikanerin Koffee: Heile-Welt-Blase kaputt stechen | |
Mit „Gifted“ veröffentlicht die junge Jamaikanerin Koffee ihr Debütalbum. | |
Sie verbindet amtlichen Dancehallsound mit Afrobeats und R&B. | |
Nachruf auf Lee „Scratch“ Perry: Kosmische Echospulen | |
Lee „Scratch“ Perry ist gestorben. Der jamaikanische Produzent und | |
Experimentator am Mischpult begründete im Studio den Dubreggae. Er wurde | |
85. | |
Renaissance von Dubreggae: Die Musik in der Hauptrolle | |
Steve McQueen zeigt es in der Filmreihe „Small Axe“, Fabienne Miranda und | |
Junior Loves in ihrer Musik: Dubreggae klingt besser denn je. |