# taz.de -- Boxentürme als Refugium: Wie Soundsysteme in England Teil der Migr… | |
> Auf Jamaika dienten Soundsysteme vor allem zum Feiern. In England waren | |
> sie für Jamaikaner*innen Fluchtpunkt vor Diskriminierung und Armut. | |
Bild: Ikonisches Möbel der Dub-Szene: Soundsystem | |
Hamburg taz | Beim Wort „Soundsystem“ denken viele an industrielle | |
Musikanlagen, wie man sie in Clubs oder Konzertlocations findet. Hinter dem | |
Begriff versteckt sich aber eine Subkultur, die dem Mainstream größtenteils | |
unbekannt bleibt. | |
Hier ist Soundsystem ein fester Begriff für riesige, mobile Boxentürme, | |
meist größer als Autos. Die Anlagen sind selbst gebaut und sollen vor allem | |
starken Bass bieten. Gespielt werden basslastige Musikrichtungen, die vom | |
Reggae abstammen. | |
„Eine Art Holzwand mit Lautsprechern“, erklärt es Helmut Philipps. Er ist | |
Tontechniker, seit den 70er-Jahren international im Reggae aktiv und Autor | |
des Buchs [1][„Dub Konferenz: 50 Jahre Dub auf Jamaika“]. Dafür hat er | |
jahrelang recherchiert, mit zahlreichen Personen aus der Szene gesprochen | |
und mehrfach Jamaika bereist. | |
Dort beginnt in den 1940er-Jahren die Geschichte der Soundsystems. „Ganz am | |
Anfang steht die Idee, dass man draußen auf freien Flächen Partys feiert“, | |
sagt Philipps. So hatten Alkoholverkäufer ihre Verkäufe steigern wollen. | |
Für Partys braucht es Musik, und so entstanden erste – damals noch kleinere | |
– Soundsystems. | |
## Ein Altar für die Szene | |
„Es gab zwei Sorten Rum und Bier, da kann eben kein Wettbewerb sein. Das | |
heißt, der Lockstoff müssen die Musik und das Entertainment darum sein.“ | |
Über die Jahre wurden die Soundsystems deshalb immer größer, um möglichst | |
viel Publikum zur eigenen Party zu bringen. | |
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verbreiteten sich die Soundsysteme | |
auch in England. [2][Damals kamen viele Jamaikaner*innen dorthin], um | |
beim Wiederaufbau zu helfen. „Die Regierung hatte sie geholt, aber das | |
englische Volk wollte die Leute nicht haben. Da gab es dann an den Häusern | |
Schilder: ‚No dogs, no irish, no blacks‘“, so Philipps. Armut und Rassism… | |
dominierten das migrantische Leben. Um dem zu entkommen, entstanden in den | |
jamaikanischen Communitys Soundsystems. | |
Mit diesen konnten die Jamaikaner*innen zumindest für einen Abend der | |
harten Realität entfliehen. „Eine Art spirituelle Antibewegung“, so | |
Philipps. „Auf Jamaika ist es eine Volkskultur. In England war es ein | |
Refugium gegen die Welt der englischen Gesellschaft, die sie nicht haben | |
will.“ | |
In Deutschland gab es ursprünglich keine große Reggae-Szene, weshalb Fans | |
nach London geflogen sind, um Platten zu kaufen. In den 90ern haben sich | |
dann auch in Deutschland Soundsystems etabliert. Die Szene ähnelt eher der | |
aus England als der Jamaikas. Nicht weil ihre Mitglieder ähnliche | |
Diskriminierungserfahrungen wie jamaikanische Migrant*innen gemacht | |
haben – schließlich wirkt die Szene in Deutschland nach außen überwiegend | |
weiß. | |
Eher, weil die Soundsysteme hierzulande Teil des Undergrounds ist, „eine | |
Gegenwelt gegen die normale Gesellschaft“, sagt [3][Philipps]. „Dieses | |
Gefühl, Outsider zu sein und einen Fluchtpunkt zu haben, das gibt es auch | |
bei uns.“ | |
Technisch gesehen sind die [4][Soundsystems mittlerweile überholt]. Aber | |
darum geht es in der Szene eben nicht – das sieht auch Philipps so. „Was da | |
vorne steht, ist ein Altar, ein ikonisches Möbel in der Szene. Das kann man | |
nicht ersetzen.“ Der Reiz sei der starke Bass. „Man darf das Körperliche | |
nicht unterschätzen. Da werden Frequenzen auf die Reise geschickt, die man | |
nicht nur hört, sondern auch spürt.“ | |
29 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Buch-zur-Geschichte-des-Dub/!5904248 | |
[2] /Koloniale-Vergangenheit-des-Empire/!5938958 | |
[3] https://www.helmut-philipps.de/ | |
[4] /Neue-Musik-aus-Berlin/!6039912 | |
## AUTOREN | |
Louisa Eck | |
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