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# taz.de -- Beerdigung des emeritierten Papstes: Die ihn liebten
> Auch wenn die Trauerfeier für den emeritierten Papst Benedikt
> verhältnismäßig klein ausfällt: Tausende sind am Donnerstag auf den
> Petersplatz in Rom gekommen.
Bild: Gläubige bei der Messe
Rom taz | Es ist wenige Minuten vor neun, als sich der Nebel über dem
Petersdom lichtet, just zu dem Zeitpunkt, zu dem der Sarg in hellem
Zypressenholz auf den Platz vor der Kathedrale getragen wird, empfangen von
langanhaltendem Applaus der Gläubigen.
Zu Tausenden sind sie gekommen, um dem Requiem für [1][Benedikt XVI].
beizuwohnen, haben seit dem frühen Morgen an den Sicherheitsschleusen unter
den Kolonnaden geduldig die Kontrollen über sich ergehen lassen, bei denen,
ganz wie am Flughafen, auch Mineralwasserflaschen und Parfumflacons
eingezogen werden.
Eine derer, die in der Schlange warten, ist Elvira. Die etwa 30-jährige
junge Frau fallen die gewellten roten Haare auf die Schultern. Sie trägt
einen Lederrucksack von „Victoria’s Secret“ auf dem Rücken. Sie habe hier
einfach nicht fehlen können, sagt Elvira, aus Catania ist sie angereist.
Schließlich werde hier „der wohl größte Papst aller Zeiten“ zu Grabe
getragen, erklärt sie dann, und ihre Augen leuchten. „Etwas ganz
Besonderes“ sei Joseph Ratzinger gewesen, ein großer Theologe, zugleich
aber auch „ein Mann von tiefer Demut“. Und Franziskus, der ihn heute zu
Grabe trägt? Elviras Mund verzieht sich leicht, sie zuckt die Achseln. „Gar
kein Vergleich“, befindet sie, offenkundig kann sie mit dem gegenwärtigen
Papst nicht viel anfangen, „der will doch bloß allen gefallen, es allen
recht machen“.
Auch eine sportliche, schlanke Dame in Trachtenjacke outet sich als
Ratzinger-Fan. Anders als die Tracht vermuten ließe, kommt sie nicht aus
Bayern, sondern aus Köln. Die Katholikin ist extra aus dem Rheinland
eingeflogen, weil sie an diesem Tag einfach nicht fehlen mochte, „Benedikt
war ein ganz Großer“ in ihren Augen. Während sie sich die kurz
geschnittenen grauen Harre zurückstreicht, bringt sie, ganz ohne Nachfrage,
ihr Bedauern darüber zum Ausdruck, „dass jetzt alles, auch Benedikts
Wirken, auf die Missbrauchsfälle reduziert wird, so als sei er ganz allein
daran schuld gewesen“, Missbrauch gebe es schließlich „in allen
Vereinigungen“. Anders als die junge Frau aus Catania aber mag die Kölnerin
höchstens „eine klitzekleine Spannung“ zwischen Ratzinger und dem
gegenwärtigen Papst Jorge Mario Bergoglio ausmachen.
## Bei Johannes Paul II. waren es mehr
An ihr vorbei kommt ein junger Bayer auf den Platz, er träge kurze
Lederhosen, dicke Wollstrümpfe, ein buntgesticktes Wams. Auf dem Fuß folgt
ihm ein Mann mit französischer Fahne über den Schultern, ein junges Paar
aus Polen, aus Warschau, gekommen, um einen Mann zu würdigen, „der als
Papst, als Theologe ungeheuer viel für die Kirche geleistet hat“. Und dann
sind da noch zu Hunderten die Mönche, die Nonnen, die Priester – 3.700 von
ihnen haben sich als „Mitzelebrierende“ der Messe angemeldet – die auf den
Platz streben, von einem Vatikan-Gendarm in Uniform in den ihnen
reservierten Block dirigiert.
Doch so rege der Andrang ist, so deutlich bleibt er doch hinter dem
Massenansturm zurück, als am 8. April 2005 Papst Johannes Paul II. beerdigt
wurde. Als etwa drei Millionen Menschen dem aufgebahrten Wojtyla im
Petersdom die letzte Ehre erwiesen und dafür teils auch bis zu 20 Stunden
angestanden hatten, als Hunderttausende der Totenmesse beigewohnt und Rom
in den Ausnahmezustand versetzt hatten.
Als am Donnerstag dagegen das Requiem für Ratzinger begann, pünktlich um
9.30 Uhr, war der Petersplatz noch nicht komplett gefüllt. Selbst im
Vatikanstaat war, anders als bei früheren Papstbegräbnissen, kein Feiertag
verfügt worden – den dort Beschäftigten wurde lediglich freigestellt,
„während der Arbeitszeit“ an den Trauerfeierlichkeiten teilzunehmen, sofern
die „Funktionsfähigkeit der Büros“ gewährleistet sei.
Mancher Primat jedoch ist Ratzinger nicht zu nehmen: Er ist der erste Papst
überhaupt, der von seinem Nachfolger zu Grabe getragen wurde, der erste
auch, auf dessen Begräbnis kein Konklave, keine Wahl des neuen Papstes
folgt. Für dieses Primat hatte Benedikt XVI. selbst gesorgt – mit seinem
Rücktritt im Februar 2013. Der letzte vor ihm, der sich aus diesem Amt
einfach aufs Altenteil zurückgezogen hatte, war im Jahr 1294 Papst
Coelestin V. gewesen. Dafür schickte ihn Dante in seiner Göttlichen Komödie
in die Hölle, während Ratzinger weitere fast zehn Jahre friedlich und
abgeschieden im Vatikan, im Kloster Mater Ecclesiae, verbrachte und jetzt
von Papst Franziskus ausgesegnet wurde.
Erster war Ratzinger auch darin gewesen, dass er seine Rolle als
Zurückgetretener selbst definierte, ohne Franziskus groß zu fragen, dass er
sich den Titel „Papa emeritus“, „emeritierter Papst“ verlieh, dass er a…
eigenen Stücken beschloss, auch im Ruhestand weiter das päpstliche Weiß zu
tragen.
## Söder und Bayrische Fahnen
Jetzt aber, bei den Trauerfeierlichkeiten, war durchaus wahrzunehmen, dass
nicht ein bis zuletzt amtierender, sondern „nur“ noch ein Papst a.D.
beigesetzt wurde. Nur zwei Delegationen, aus Italien und Deutschland, das
mit dem Bundespräsidenten, dem Bundeskanzler, der Bundestagspräsidentin
vertreten war, waren offiziell geladen, nur eine Handvoll weiterer
Staatsoberhäupter – aus Polen, Ungarn, Slowenien, Portugal – hatte sich
eingefunden, ganz anders als seinerzeit für Wojtyla. Für den waren nicht
nur George Bush, Jacques Chirac, Juan Carlos II., Kofi Annan, Tony Blair
oder Lula nach Rom gekommen, sondern auch Ayatollah Khamenei und der
afghanische Präsident Hamid Karzai.
Dafür war diesmal auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder angereist,
wehten am Ende der Messe deutsche und bayrische Fahnen über dem
Petersplatz, wurde ein Transparent mit der Schrift auf Deutsch „Danke Papst
Benedikt“ hochgehalten, denn auch dieses Primat hatte Ratzinger: Er war
spätestens seit dem Tod Hadrians VI. im Jahr 1523 – den wegen seiner Geburt
in Utrecht allerdings auch die Niederländer für sich reklamieren – der
erste Deutsche auf dem Stuhl Petri.
Gewiss nicht der Erste war er jedoch als Papst, der mit der Moderne
fremdelte, der zeitlebens gegen die Säkularisierung und den „Relativismus“
ankämpfte. Allerdings durfte er für sich beanspruchen, dass er wiederum der
Erste war, der sich vor dem Groß- und Dauerskandal [2][sexualisierter
Missbrauch in der Kirche] nicht einfach wegduckte, sondern, wenn auch viel
zu zögerlich, den „Schmutz in der Kirche“ zum Thema machte.
Auch für Thomas Kopka, der zur Beerdigung aus Bielefeld nach Rom gefunden
hat, steht die Missbrauchsfrage im Mittelpunkt. Der wohl 70-Jährige stellt
sofort klar, er sei kein Katholik, sondern bloß „als Beobachter“ hier. Dann
zeigt er auf den Petersdom,“ der wäre doch für Jesus sofort der Tempel
gewesen, aus dem die Pharisäer vertrieben gehörten“. Heute, so Kopka, werde
nicht nur Ratzinger zu Grabe getragen, „heute beerdigt Gott die Kirche“.
Das ganze Zeremoniell erinnert ihn an die Trauerfeierlichkeiten für Königin
Elisabeth II., „das war ja auch das Ende einer Epoche, und genauso ist es
jetzt hier im Vatikan“. Ganz so weit will die Katholikin aus Köln in der
bayrischen Trachtenjacke nicht gehen. So sehr sie Ratzinger bewundert habe,
erklärt sie jedoch, so sehr sei es jetzt höchste Zeit, demnächst „einfach
mal einen viel Jüngeren zum Papst zu wählen, damit sich endlich was tut,
damit endlich frischer Wind in die Kirche kommt“.
Doch erst einmal nimmt der gebrechliche 86-jährige Franziskus von dem
95-jährigen Benedikt Abschied. Zum Ende der Messe legt der sichtlich
bewegte Papst seine Hand auf den Sarg seines Vorgängers, und als der
Sarkophag zurück in die Basilika getragen wird, zur Beisetzung in den
Grotten von Sankt Peter, brandet wieder Beifall auf.
5 Jan 2023
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## AUTOREN
Michael Braun
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