# taz.de -- Bernd Begemann über seine Karriere: „Jemand wird dich scheiße f… | |
> Am 1. November ist Bernd Begemann 60 geworden. In seiner Hamburger | |
> Wohnung erzählt der Singer-Songwriter vom Musikmachen früher und heute. | |
Bild: Auf der Bühne ist alles gut: Bernd Begemann im Hamburger Club Indra | |
taz: Bernd Begemann, was ist so schlimm an [1][gestreamter Musik?] | |
Bernd Begemann: Das Album war 50 Jahre lang eine kulturelle Kraft – und | |
jetzt ist es weg. Du schreibst kein Lied mehr, damit es sich wundervoll in | |
ein Album einfügt. Du schreibst es, damit es in eine Playlist aufgenommen | |
wird. Das ist, als ob man Schriftstellern sagt: ihr dürft nur noch | |
Kurzgeschichten schreiben, und zwar für Idioten. | |
Viel Geld verdient man auch nicht, oder? | |
Es ist schrecklich: Man macht Musik und sofort gehört sie Jeff Bezos und | |
diesen [2][schwedischen Kriegsgewinnlern]. | |
Sie meinen, dass Spotify-Gründer Daniel Ek 2021 [3][Geld in Militärtechnik | |
investiert hat.] | |
In den glorreichen Indierock-Zeiten, in den Neunzigern und Nuller Jahren, | |
hattest du was, was nur dir gehörte. Die Labels mussten zu dir kommen. | |
Jetzt musst du Leute bestechen, damit es in ihre bescheuerten Playlists | |
kommt. | |
Also geben Sie selbst Konzerte, wo immer Sie können. | |
Mir ist klar geworden, dass die Bühne der Raum ist, wo ich mich am | |
sichersten fühle. Deshalb sind meine Konzerte so lang. Die Zeit vergeht auf | |
der Bühne anders. Jede Sekunde ist gedehnt, es gibt ein höheres Bewusstsein | |
für dich selbst und den Raum. Du kannst keine Show spielen, ohne den Raum | |
zu lesen. Manchmal sage ich etwas in einer Alltagssituation und werde | |
angeguckt, als hätte ich jemandem auf den Teppich gekackt. Und dann singe | |
ich denselben Menschen dasselbe, was ich eben gesagt habe, und sie finden | |
es super! | |
Was ist das Schöne an Konzerten? | |
Ich will andere mit reinziehen in die Magie der Popsongs, die ich liebe. | |
Ich liebe die Songs dafür, dass sie aufgehen und simpel sind. Dass sie eine | |
Auflösung bieten und nicht wirklich aufhören. | |
Welche Songs lieben Sie selbst? | |
[4][Buddy Holly] zum Beispiel. Ich höre ihn, und alles wird hell. Es ist | |
alles in Dur, sehr optimistisch. Da ist eine große Schlichtheit enthalten, | |
die mir entgegenkommt. Das hat für mich einen reinigenden Effekt. | |
Vielleicht erklärt sich das mit der Empfänglichkeit für Optimismus | |
biografisch: Sie wurden in Braunschweig geboren, sind aber bei | |
Adoptiveltern in Bad Salzuflen aufgewachsen. | |
Ich bin mit vier Monaten aus dem Waisenhaus gerupft worden, wofür ich | |
meinen Eltern sehr dankbar bin. Ich wäre mindestens Autodieb geworden. | |
Haben Sie mal eine Dokumentation über deutsche Waisenhäuser in den | |
Sechzigern gesehen? Höllische Orte. Ich konnte meine leiblichen Eltern | |
später nicht aufspüren. Das Einzige, was ich weiß: Der Vater stammt aus dem | |
Mittelmeerraum. Es dabei zu belassen, war ein großer Schritt meiner | |
Erwachsenwerdung. | |
Es hat Sie nie gewurmt? | |
Meine Erkenntnis war: Leute machen Sachen aus Gründen. Hinter jeder | |
Auflösung liegt ein neues Geheimnis. Irgendwann wollte ich meinen | |
Seelenfrieden haben. Es ist keine Feigheit, etwas auf sich beruhen zu | |
lassen, ich sehe darin eine tiefe Weisheit. | |
Wie hat es sich angefühlt, als Sie Ende der Siebziger mit Ihren ersten | |
Bands spielten? | |
Als ich angefangen habe, Musik zu machen, machte das niemand. Das kann man | |
sich kaum vorstellen. Ich hörte, dass es 50 Kilometer jemanden gab, der | |
Lieder schreibt – das war eine Sensation! Heute bekommt man Popkultur | |
nachgeschmissen, meine Tochter hatte schon in der Grundschule eine | |
Rockband. Niemand denkt: Was für seltsames Zeug singt Ed Sheeran da? Die | |
Leute nehmen Lieder immer noch ernst, besonders Heranwachsende. Meine | |
Tochter seziert Lieder und sucht leidenschaftlich danach. | |
Was ist Ihr Rat an aufstrebende MusikerInnen? | |
Ich habe drei Regeln gegen Lampenfieber auf der Bühne. Erstens: | |
Irgendjemand wird dich sowieso scheiße finden, also sorge dich nicht. | |
Zweitens: Du musst nichts machen, was du nicht kannst. Wenn du singen | |
sollst, musst du keinen dreifachen Rückwärtssalto machen. Drittens: Die | |
Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass Menschen ihre Ansichten teilen. | |
Was heißt das? | |
Niemand will sich nachsagen lassen, dass er sich wichtig macht. Aber: Die | |
Bühne ist ein demokratisches Forum. Du leistest einen Beitrag zu einer | |
öffentlichen Diskussion. Du gibst dein Bestes, sagst, was du zu sagen hast | |
und gehst wieder. | |
Sie haben gerade ein Buch mit Songtexten veröffentlicht. Woran erkennt man | |
einen guten Song? | |
Wenn man anfängt, ist man immer begeistert. Aber jetzt ist mein Kriterium: | |
will ich damit leben? Du musst so ein Lied lange mit dir rumtragen. Wer ein | |
Buch schreibt, haut es irgendwann raus. Aber ein Lied osmosiert. Du bist | |
wie ein alter Wal, an dir kleben Pockenmuscheln, die dich entstellen. Das | |
verändert einen Song. Manche sagen: Wir spielen die alten Hits nicht mehr. | |
Ich sage: Ich hatte nie Hits, kann also alles spielen. | |
War das einfach schlechtes Timing? In „Berlin war stärker“ heißt es: „I… | |
war schön als niemand hinsah, ich war brillant als es egal war“. | |
Ich war immer zu früh dran. Der erste auf dem Minenfeld. Olli Schulz | |
meinte, er sei richtungslos gewesen, bis er auf meine Konzerte ging. | |
Element of Crime haben gesagt, dass sie wegen mir auf Deutsch singen. Und | |
[5][Tocotronic] haben auf einem meiner Konzerte zum ersten Mal zu dritt | |
zusammengefunden. Dirk von Lowtzow … | |
… deren Sänger … | |
… schreibt, dass es für ihn eine neue Perspektive war, über eigentlich | |
uninteressante Dinge zu singen und sie interessant zu machen. Ich sage | |
dazu: Expeditionen ins Bekannte. | |
Kommt denn Ihr großer Hit noch? | |
Wenn du „Anton aus Tirol“ schreibst, dann hast du ausgesorgt. Das bleibt | |
mir vielleicht verwehrt. Ich habe mein Glück gefunden: mich in Lieder zu | |
versenken und dieses Gefühl mit anderen zu teilen. Das ist alles, was ich | |
je wollte, fürchte ich. | |
29 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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