# taz.de -- Entertainer Bernd Begemann: Melancholie im Neubürger-Leben | |
> Sänger Bernd Begemann präsentiert sich auf seinem neuen Album "Ich | |
> erkläre diese Krise für beendet" als egalitärer Beobachter der | |
> neubürgerlichen Gesellschaft. | |
Bild: Hält den Druck aus: Bernd Begemann. | |
BERLIN taz | Bernd Begemanns neues Album trägt den Titel: "Ich erkläre | |
diese Krise für beendet". Meint er die Geldkrise, die Klima- und | |
Energiekrise? Eine persönliche Mittlebenskrise oder gar einige Jahre | |
künstlerischer Stagnation? | |
Begemann tut jedenfalls den Teufel, sich wegen eines neuen Vizekanzlers als | |
Vorsänger eines künstlerischen oder gar politischen Projekts "Klassenkampf" | |
zu positionieren. Ein Schlüsselsong heißt "Sie redet Revolution" hat eine - | |
für seine und die Verhältnisse seiner Band - harte Gitarre. Er endet in | |
einer Explosion. Aber der Ich-Erzähler ist von der sozialengagierten und | |
wütenden Frau nicht für diese "Revolution" zu agitieren. "Sie fragt: Hältst | |
Du den Druck aus? Ich sag: Ich denke schon." Er hat kein defensives | |
Verhältnis zu Einmischung, er steht einfach nicht auf die Parolen von | |
gestern ("Zerstört den Alltag oder so, hat sie gesagt"). Auch, weil er sich | |
mit fröhlicher Melancholie in einem guten, bequemen, neubürgerlichen Leben | |
eingerichtet hat. Vor allem aber, weil er weiß, dass die Parolen sinnlos | |
sind. | |
Begemann ist kein wohlfeiler Kritiker der "anderen". Wenn überhaupt, ist er | |
egalitärer Beobachter der neubürgerlichen Gesellschaft ("Du bist mein | |
Niveau"). Er ist Teil davon und übrigens einer ihrer sogenannten | |
Leistungsträger. Einer, der einer unbequemen, freischaffenden Erwerbsarbeit | |
nachgeht in einer digitalisierten Musikwelt der Zumutungen, in der | |
weitgehende Teile der Kunst und Arbeit brutal ausgebeutet werden - | |
allerdings nicht nur von Kapitalisten, sondern von Mitbürgern, die den | |
freien Download als demokratisches Grundrecht interpretieren. | |
Wollte das jemand, so könnte er Argumente dafür finden, dass die | |
"Weiterentwicklung" stockt, dass manche Songs in den 90ern hängengeblieben | |
sind. Cui bono? Es ist so: Begemann arbeitet unverdrossen an der | |
Vergrößerung eines gesellschaftlichen Schatzes, der großen | |
Begemann-Jukebox. Dieser Kanon ist erneut um einige Songs erweitert worden. | |
Um die geht es. | |
Es sind nicht die ironisch veredelten Zustandsbeschreibungen des Lebens und | |
Denkens jener 40-50jährigen, die gut in einer durch 1968 aufgeklärten | |
Gesellschaft leben. Nein, am besten ist Begemann, wenn es ihm gelingt auf | |
der Rasierklinge jener Kunst zu balancieren, die auf beiden Seiten von den | |
Abgründen des Kitsches bedroht wird. "Sie gehört den Sternen" ist so ein | |
Song oder "Zurück an einen wundervollen Ort". Während man sich im Fall des | |
ehemaligen Blumfeld-Sängers Jochen Distelmeyer selbst beim Anhören der | |
aktuellen Single "Lass uns Liebe sein" wie im Colloquium "Liebe heute" | |
fühlt, vereint Begemann die Kunst einer leichten, solitären Sprache mit | |
einer richtigen Melodie. Ba-ba-ba-ba-ba-ba: "Die neuen Mädchen sind da". | |
Was für ein Song. Was für ein Versprechen. Die Weltmädchenkrise ist | |
überwunden. Endlich. Das ist nicht Eskapismus, das ist Schwerpunktsetzung. | |
Und genau dafür hat Gott die Popmusik erschaffen. | |
Bernd Begemann & Die Befreiung. Ich erkläre diese Krise für beendet (tapete | |
records). Erscheint am 16. Oktober. | |
16 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Pop | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bernd Begemann über seine Karriere: „Jemand wird dich scheiße finden“ | |
Am 1. November ist Bernd Begemann 60 geworden. In seiner Hamburger Wohnung | |
erzählt der Singer-Songwriter vom Musikmachen früher und heute. |