# taz.de -- Singer-Songwriter Bernd Begemann: "Ich bin der Anti-Tocotronic-Typ" | |
> Er summt mit Mitte 40 neuerdings die Nationalhymne mit, möchte nirgendwo | |
> anders leben als in Deutschland, hat nichts gespart für das Studium | |
> seiner Tochter, respektiert Helmut Kohl und weiß heute, dass Helmut | |
> Schmidt nur unser Bestes wollte. Hallo? | |
Bild: Mal ehrlich, Bernd Begemann: "Irgendwann ist es einem egal, was mit den a… | |
taz.mag: Herr Begemann, gibt es etwas, was Sie gerade ärgert? | |
Bernd Begemann: Ja. Wenn ich mir bewusst mache, dass meine Lieder | |
Volkslieder sein könnten, aber es nicht sind, das ärgert mich. Ein | |
bisschen. Wenn einen das nicht zwicken würde, wäre man wohl nicht mehr | |
produktiv. All die kleinen Zufälle und Missgeschicke, die passiert sind, im | |
Laufe des Lebens … wenn es anders gelaufen wäre, dann könnten Sie beide | |
jetzt Top-Romanciers sein und vielleicht … mit Thea Dorn schlafen! | |
Wäre das möglich? | |
Also, unter uns: Das ist ein knallhart kalkulierender Knochen, diese Thea | |
Dorn. Sie erkennt zum Beispiel, dass Alice Schwarzer keine richtige | |
Gegnerin hat, also übernimmt sie das. | |
Respekt? | |
Klar. Ich respektiere auch Helmut Kohl, sogar fast mehr als die, die ich | |
dann gewählt habe. Man sieht doch heute, dass alle, die sich über Kohl | |
lustig gemacht haben, Idioten waren, die nicht verstanden haben, wie tough | |
der in Wirklichkeit war. Die haben sich von seinem Äußeren blenden lassen. | |
Über Merkel macht sich kaum einer mehr lustig. Haben wir dazugelernt? | |
Sie kommt auch ziemlich entschlossen rüber. Ich glaube schon, dass sie eine | |
respektierte Kanzlerin sein wird. Aber sie ist ein bisschen … na ja. Ich | |
weiß nicht, ich bin viel unterwegs. Und neulich stellte ich bei mir so eine | |
Art "hilflosen Patriotismus" fest. | |
Wie das? | |
Ich fuhr von einem Club zurück ins Hotel, fühlte mich ein bisschen müde und | |
einsam. Dann hörte ich auf Deutschlandfunk die Nationalhymne. Da fühlte ich | |
mich beruhigt, aufgehoben. | |
Von der Nationalhymne!? | |
Mein Gott, ja, ich habe diese Hymne mitgesummt! Die dritte Strophe. Ich | |
fühle mich zumindest ein bisschen zugehörig. Und als Songschreiber muss ich | |
sagen: Das ist ein schönes Lied. | |
Warum fühlten Sie sich aufgehoben? | |
"Aufgehoben" ist vielleicht das falsche Wort. Aber zumindest wusste ich, | |
dass ich bei etwas mitmachen darf. Weil ich gewählt habe, weil ich Steuern | |
bezahle, weil ich die Institutionen in Anspruch nehme. Wenn ich gegen einen | |
Baum fahre, wird ein Krankenwagen kommen und mich in ein Krankenhaus | |
fahren. Dort werde ich vermutlich gut versorgt werden. Das ist beruhigend. | |
Gerade für einen fahrenden Poeten. | |
Sie mögen Deutschland? | |
Ich habe mit Ted Gaier von den Goldenen Zitronen, die ich sehr respektiere, | |
darüber gesprochen. Die haben so einen Song: Diese alte Geschichte mit dem | |
faschistischen Terrorregime Deutschland. Ich sagte: Mann, ich weiß nicht, | |
wovon ihr sprecht. Leute, die heute in einem faschistischen Terrorregime | |
leben, würden ihren linken Arm hergeben, um in Deutschland leben zu dürfen! | |
Buchstäblich. Danach hat er nicht mehr mit mir gesprochen, weil er es | |
faschistisch findet, die faschistische Kontinuität nicht zu sehen. | |
Wie verhalten Sie sich zu den gesellschaftlichen und globalen | |
Entwicklungen? | |
Ähm. Ich persönlich bin immer dann extrem unzufrieden, wenn ich mich | |
nirgends mehr hinwenden kann. Wenn ich keinen Ort mehr erblicke, den | |
anzustreben sich lohnt. Diesen Zustand hatte ich schon ein paarmal in | |
meinem Leben. Ich glaube fast, der ist losgelöst von allgemeinen | |
Entwicklungen. | |
Was ist Ihr Traum von Heimat oder Zuhause? | |
Eigentlich habe ich immer von einer Gemeinschaft geträumt, die ihre | |
Mitglieder nicht beschneidet. Ich glaube das ist ein Traum, den wirklich | |
viele Menschen hatten. Man hat die Gemeinschaft immer als etwas Schützendes | |
erlebt und immer auch als etwas Beschränkendes. Ich möchte Teil einer | |
Gemeinschaft sein, die mich nicht beschränkt, sondern erhöht. Das war eine | |
Utopie. Ich dachte immer, die Band sei eine Utopie. Ich dachte immer, eine | |
Band sei die Familie, die man sich aussucht. Und nicht eine, die das | |
Schicksal für einen sucht. | |
2004 sangen Sie dann ein desillusioniertes Lied: "Unsere Band ist am Ende". | |
Das meint aber nicht meine aktuelle Band. Wir sind sehr glücklich | |
miteinander! Alle sind sehr klug, wir haben zum Beispiel anregende | |
Diskussionen über griechische Mythologie im Tourbus. Mit den Bands davor | |
habe ich fast ausschließlich Ingmar-Bergman-artige Psychodramen erlebt. Da | |
liefen quälende, sadomasochistische Sachen. Es war nicht nur schön! Aber | |
ich habe meinen Frieden gemacht. | |
Mit wem? | |
Von einem Mann wird erwartet, dass er seinen Frieden macht. Dass du dich | |
einfach wohlfühlst an einem Ort und es auf sich beruhen lassen kannst. Auf | |
eine Art sind deshalb alle Künstler die armseligsten Würstchen überhaupt. | |
Weil es Menschen sind, die es nicht auf sich beruhen lassen können. Die | |
können es nicht einfach schlucken und die Klappe halten. Nein! Die müssen | |
reagieren! Einen Roman schreiben, eine flammende Anklage, irgendwas, oder | |
sie müssen es ästhetisieren. | |
Das Leben? | |
Das, was für die anderen Menschen nur Schmerz ist, müssen Künstler | |
ästhetisieren. Was für andere Menschen eine stille Freude ist, muss für | |
Künstler eine laute Freude werden. Au Mann! Aber - wir verachten Künstler | |
nicht. Wir wissen, ohne sie würden wir gar nichts erkennen. Es gibt nur | |
Fortschritt, weil Leute etwas nicht auf sich beruhen lassen können. | |
Was lassen Sie denn mittlerweile auf sich beruhen? | |
Das, was mich ausmacht, der Teil, mit dem ihr sprecht, das ist der Teil, | |
der es nicht so stehen lassen konnte. Die richtigen Menschen, das Salz der | |
Erde, die Leute, die neben uns in der U-Bahn sitzen, das sind Menschen, die | |
buddhistischer sind als ich. Die alles hinnehmen konnten. Die gesehen | |
haben, wie es ist, und nicht empört waren. Ich weiß nicht, kann man da | |
biologistisch argumentieren? Ist es angeboren? Es wird immer welche geben, | |
für die es okay so ist. Die ruhig bleiben können. Und andere, die das beim | |
besten Willen nicht können. Auch wenn sie wissen, dass es besser wäre. | |
Treibt Sie das um? | |
Es macht mich nicht wirklich rasend. Aber ich sehe, dass ich mich nicht | |
wirklich einreihen kann. Ich habe es versucht. Deshalb besteht ein Teil | |
meiner Musik darin: Ich will ihnen sagen, dass ich nicht komplett fremd | |
bin. Will ihnen sagen: Ich habe dieselben Probleme wie ihr. Ich bin der | |
Anti-Tocotronic-Typ. | |
Was heißt das? | |
Bei Tocotronic geht es um das Sichabgrenzen. Bei Tocotronic hast du einen | |
Sprecher, der fühlt sich mitten unter den anderen und will da nicht | |
wirklich dazugehören. Und ich stehe außerhalb und will dazugehören. Ich | |
weiß, dass es nicht geht, aber ich möchte, dass sie mich nicht unheimlich | |
finden, damit ich nicht an einem Laternenmast baumle. | |
Plagen Sie Dämonen? | |
Ich war immer recht ausgeglichen. Ich habe nie eine Therapie gebraucht. | |
Glückliche Kindheit? | |
Ich bin ein Adoptivkind, ich war ein bisschen dunkelhäutiger als die | |
anderen um mich herum. Das waren Musterwestfalen. Und ich habe mich für | |
andere Sachen interessiert. Das Erste, was ich gelesen habe, war die | |
Jugendversion der Ilias. Eine gewalttätige Geschichte. Und die andern haben | |
eben "Die Jungen von Burg Schreckenstein" gelesen. | |
Wir auch. | |
Ja, ich habe das dann auch gelesen, ich habe alles gelesen. Aber Odysseus | |
war mein Held. Oder diese Leute, die aus völlig sinnlosen Gründen einen | |
Krieg beginnen, aus denen dann wieder tolle Geschichten entstehen: sinnlose | |
Irrfahrten machen. Ich meine, das Mittelmeer ist echt nicht so groß, wieso | |
dauerte das 20 Jahre? Weil die sich ein bisschen amüsieren wollten, ist | |
doch klar. | |
Sie kommen aus Bad Salzuflen? | |
Ja, ich bin Mittelständler … | |
… also FDP-Wähler? | |
Nö, das wäre schon oberer Mittelstand. Mein Vater ist Tierarzt, eigentlich | |
so das Stamm-CDU-Publikum. Mein Vater hat erlebt, dass in der | |
Nachkriegszeit praktisch über Nacht alles besser wurde. Durch den klugen | |
Ludwig Erhard. Deshalb ist er emotional mit der CDU verbunden. Das ist eine | |
Affinität, die ich respektiere und nachvollziehen kann. Aber sein Herz ist | |
grün. Er ist extrem naturverbunden und mag Atomkraftwerke nicht und auch | |
Industrien nicht wirklich. Mein Vater war im Prinzip schon immer ein | |
verkappter Schwarz-Grüner. | |
Die Freie und Hansestadt Hamburg wird nun von Schwarz-Grün regiert. Sind | |
Sie gespannt, was passieren wird? | |
Nein, ich bin nicht gespannt. Es wird ein bisschen was passieren und ein | |
bisschen was schiefgehen. | |
Eine Frage an den Wahlhamburger: Wie hat sich das Schanzenviertel in Ihrer | |
Wahrnehmung verändert? | |
Alle haben Kinder, und alle sorgen sich um ihre Kinder. Und viele mussten | |
sogar Kredite abbezahlen. Und irgendwann ist einem dann egal, was mit den | |
armen Menschen in Südamerika passiert. Okay, jetzt habe ich es gesagt. | |
Sie sind auch Vater geworden. | |
Meine Tochter ist eine große Freude und eine exquisite Verantwortung und | |
eine Zumutung. Man ist verantwortlich für jemanden, der sich völlig | |
unverantwortlich benimmt! | |
Was hat sich verändert? | |
Ich toure nicht mehr drei Monate am Stück, sondern vielleicht nur noch eine | |
Woche oder zehn Tage am Stück. Unterm Strich heißt das: mehr Fahrerei, mehr | |
Ferngespräche. Aber ich habe jetzt so eine Mobil-Flatrate, und das ist eine | |
wirklich große Verbesserung im Touralltag! | |
Sie sind der Held Ihrer Tochter? | |
Sie hat mich ein paarmal auf der Bühne gesehen. Oh, mein Gott, ich habe | |
sogar begonnen, Kinderlieder zu schreiben. Und einmal auf der Bühne, da | |
habe ich ein Duett gesungen, mit einer wirklich fantastischen Sängerin. Und | |
da haben wir so ein bisschen … so Cindy&Bert-mäßig, Kopf an Kopf gesungen. | |
Meine Tochter Belinda war total eifersüchtig! Ich meinte dann zu ihr, hey, | |
das ist Showbusiness … | |
Kinder sind ja gern mal sehr konservativ und würden vermutlich CDU wählen. | |
Ach, die CDU ist ja nicht mal so richtig konservativ. Kommunisten sind sehr | |
konservativ. | |
Irgendwann müssen Sie das Studium Ihrer Tochter finanzieren. | |
Hm, na ja. Mal gucken! Meine Güte. Ich habe jetzt nicht wirklich was | |
gespart. Das wird schon irgendwie gehen | |
Ist das Leben schön? | |
Ja, natürlich. Weil: Was ist die Alternative? Nicht leben? Ist das schön? | |
Nääh! | |
Glauben Sie an einen Gott? | |
Hm. | |
Herr Begemann? | |
Ich bin ein altmodischer Agnostiker. Ich glaube auf jeden Fall an die Kraft | |
der biblischen Geschichten. Das sind fantastische Geschichten. Die sind | |
immer noch die Basis für fast alles, was wir so im Fernsehen und im Kino | |
sehen. Auf jeden Fall glaube ich an das Bedürfnis nach Gott. Jeder Mensch | |
glaubt definitiv an irgendwas. Glaubt ihr an Gott? | |
Wir glauben an die Liebe. | |
Na ja, das haben alle Poeten irgendwann mal gesagt. Goethe hat gesagt: | |
Glücklich ist allein das Herz, das liebt. Und ich sang in irgendeinem Lied: | |
Ich habe fast nichts zu sagen, außer dass man erst dann lebt, wenn man | |
liebt. | |
Also, woran glauben Sie? | |
Ich glaube an eine Sache: die geistige Evolution. Ich glaube, dass Menschen | |
sich verändern, dass der menschliche Geist sich verändert. Wir sind | |
physisch größer als die Menschen im Mittelalter, und unsere geistige | |
Kapazität verändert sich auch. Wir müssen heute mit so viel mehr Dingen | |
klarkommen als unsere Großeltern. Und wenn du das erst vergleichst mit dem, | |
was Menschen vor 20.000 Jahren gemacht haben. Und wie beschränkt deren Welt | |
war, und wie reich unsere Welt ist. Wie reich könnte die Welt in 20.000 | |
Jahren sein? Der Mensch wird wahrscheinlich wachsen. Er wird empathischer, | |
als er es je zuvor war, klüger, fähiger. | |
Das glauben Sie? | |
Das sind Sachen, die man noch nicht weiß, also muss man an sie glauben. Ein | |
charmanter Gedanke. Der charmanteste Gedanke ist, dass Leute als | |
Wissenschaftler oder Künstler oder vielleicht sogar Polizisten an unserer | |
geistigen Evolution mitarbeiten und sie fördern auf ihrem jeweiligen | |
kleinen Acker. | |
Können Sie das vertiefen? | |
Wir brauchen einen Plan. Eine Idee. Und diese Idee bekommen wir nur an | |
einem Ort. Dieser Ort heißt: Liebe. Wenn ihr Liebe erlebt habt, dann wisst | |
ihr, dass das ein einzigartiger Zustand war, der sich nicht wiederholen | |
lässt. Sogar wenn ihr mit dem Menschen zusammenbleibt, mit dem ihr dieses | |
Liebeserlebnis hattet, wird es nicht fassbar, nicht wirklich greifbar. Ihr | |
wisst, dass ihr eine erhöhte Existenz erleben durftet, für eine kurze Zeit. | |
Vielleicht. Was die ganze Tragik und den Schmerz der Liebe ausmacht: Man | |
kann durch die Tür blicken, aber nicht wirklich hineingehen. Man sieht, wie | |
großartig Menschen sein könnten, aber man kann dieser Mensch noch nicht | |
werden. Das ist das Problem, das wir mit uns rumschleppen. | |
Und nun? | |
Dafür haben wir das Lied. Das Lied tröstet uns, begleitet uns, sagt uns, | |
dass es okay ist, dass wir nicht das werden können, was für uns schon | |
vorstellbar ist. Ich glaube an das Lied. Lieder sind für mich wichtiger als | |
jede andere Kunst, weil sie uns auch das bewahren können, was uns ausmacht. | |
Ihr Song "Bist du dabei" bewahrt tatsächlich die zentralen Stunden meiner | |
Spätjugend. | |
Willkommen! "Bist du dabei" ist ein deutscher Provinz-Autofahrsong. Du bist | |
nicht Chuck Berry, du bist nicht mit diesem Fünfzigerjahreschlitten | |
unterwegs, aber du hast zumindest einen Volkswagen und möchtest | |
irgendwohin. Hier geht es um diese zusammengewürfelte | |
Schicksalsgemeinschaft von jungen Männern, die etwas losmachen wollen, doch | |
überhaupt keinen Plan haben. Das ist meine Herkunft, was ich erlebt habe. | |
Und das hat niemand für mich bewahrt. Also musste ich es für mich bewahren. | |
Und ich war mir sicher, dass es vielen so geht! Das macht uns aus, das hat | |
uns geformt. Man wächst an verschiedenen Orten auf, aber man kommt im | |
Grunde aus einem Ort. Na ja. Ich hoffe, ein paar von den Sachen haben wir | |
jetzt mit den Neuaufnahmen klarer gemacht. Das ist die Idee der neuen CD: | |
dass man etwas klarer macht. | |
In einem früheren Interview mit uns sagten Sie, sie müssten zugunsten der | |
Kunst auf Kinder verzichten. | |
Vielleicht war das die entscheidende Hybris. Vielleicht ist das der Punkt, | |
wieder an Gott zu glauben. Vielleicht sagte er an diesem Punkt: So, so | |
Bernd … das wollen wir doch mal sehen! Lektion gelernt. Aber früh aufstehen | |
ist immer Scheiße, egal in welchem Alter. Zum richtigen Zeitpunkt ist immer | |
zum falschen Zeitpunkt. Ich bin aber froh, dass ich nicht mit Mitte sechzig | |
gezeugt habe. Mit einem Ex-Playmate. Aber das ist nicht wirklich unsere | |
Welt, oder? | |
Wieso Ex-Playmate? | |
Du kannst sie ja nicht als Playmate heiraten. Weil die sind ja in ihrer | |
Playboy-Welt drin. Du musst sie dir greifen, wenn sie aus der Zirkulation | |
rausgefallen sind. Das wäre mein Tipp! | |
Wer war Ihr Lieblingsplaymate ever? | |
Uschi Buchfellner. Miss Oktober 1979 im US-Playboy. Die hat auch in ein | |
paar Filmen gespielt, "Jungfrau unter Kannibalen", glaube ich. Den habe ich | |
mal auf VHS geguckt. Da tat sie mir immer so leid. Sie war so ein süßes, | |
argloses Mädchen bei diesen furchtbaren Dreharbeiten, in echtem Schlamm … | |
Schönes Äußeres gleich schönes Inneres. Richtig oder falsch? | |
Richtig. Mein Lieblings-Oscar-Wilde-Zitat lautet: Es ist total | |
oberflächlich, einen Menschen nicht nach seinem Äußeren zu beurteilen. Als | |
ich dieses Bonmot neulich zum Besten gab, sagte Frank Spilker von Die | |
Sterne gleich so Anti-Oscar-Wilde-mäßig: Bei Wilde ist alles so | |
oberflächlich! Die gute alte marxistische Kritik. Aber ich denke, es gibt | |
ein paar Schriftsteller oder Künstler, die Befreier sind. Und Oscar Wilde | |
gehört dazu, er hat bestimmt mehr Menschen befreit als Karl Marx. In | |
Deutschland hat das, in abgemilderter Form, Hermann Hesse erreicht. Für die | |
Nachkriegsgeneration war das der Mann. | |
Warum Hesse? | |
Weil er sagte: Du bist dir gegenüber verantwortlich. Nicht einer Idee oder | |
dem Staat oder dem Vaterland. Das hat gesessen, das musste man erst mal | |
verdauen. Das ist ein schwieriges Vermächtnis. Es ist eigentlich einfacher, | |
dem Vaterland gegenüber verantwortlich zu sein, als sich selbst. Man kann | |
im Grunde die 68er auch so sehen, dass sie diese Aufforderung ernst | |
genommen haben und dass sie sie eingefordert haben. Verantwortlich zu sein | |
ist in Wirklichkeit die schwerste Sache. | |
Sie sind eigentlich ein Anti-68er, weil Sie von niemandem verlangen, dass | |
er sich ändert. Stimmt das? | |
Jeder soll machen, was er macht. Meine Güte! Warum sollte man von jemand | |
verlangen, dass er sich künstlerisch ausdrückt? Dann besucht er einen | |
Töpferkurs, und das macht ihn unglücklich. Soll er doch im eigenen Saft | |
brühen oder Fernseh gucken, das ist doch alles in Ordnung. | |
Die Arbeiter sollten aber doch aufstehen! | |
Ja, da haben sie aber drauf geschissen. Und zwar zu Recht. Was ist das auch | |
bitte für eine unglaubliche Frechheit, Leuten zu sagen, dass sie stumpf | |
sind und dass sie jetzt alles ganz anders machen wollen. Wie Nazi ist das! | |
Sind Sie etwa Götz-Aly-Fan? | |
Da bin ich losgelöst von diesem Diskurs. Aber ich hatte viele Jobs, und ich | |
war in einigen Betrieben. Und jetzt hier, vor Zeugen, vor laufendem Tape, | |
kann ich sagen: Viele Arbeiter, die ich getroffen habe, sind weniger stumpf | |
als viele Studenten, die ich getroffen habe. Und: können auch besser | |
diskutieren. Haben die besseren Argumente, haben sogar einen tieferen | |
Wortschatz. Vor allem sind sie in der Lage, sich in Menschen | |
reinzuversetzen. Was ich gar nicht so schlecht finde, wenn man etwas | |
verändern will. Also, ich fühle für empörte Studenten 1968, und ich fühle | |
für Arbeiter, die wissen, dass deren Probleme nicht ihre Probleme sind. | |
Die marxistisch organisierten Studenten standen in den 70ern sogar früh | |
auf, um in Betrieben zu agitieren. | |
Das verdient Respekt, aber die haben sich ja nur kaputt gemacht. Helmut | |
Schmidt hat dann das Schlimmste verhindert. Mit seiner Erfahrung aus dem | |
Krieg dachte er zu wissen, dass man den Russen nicht zu sehr entgegenkommen | |
sollte … | |
Sie haben wirklich Ihren Frieden mit Deutschland gemacht. Oder? | |
Ich muss sogar noch weiter gehen. Ich glaube, ich werde mit den Jahren | |
immer unfähiger, woanders zu leben. Das ist bestimmt auch ein Anzeichen von | |
geistiger Immobilität und intellektueller Schwäche. In einer Region, in der | |
mit starkem Akzent gesprochen wird, kann ich es nicht lange aushalten. | |
Lassen Sie uns raten: bei den Schwaben? | |
Ich werde schon nervös, wenn ich in Frankfurt bin und höre, wie die Leute | |
dort reden. Die Leute südlich von Hannover sind eh sehr schwer zu | |
verstehen. | |
Wo wollen Sie hin? | |
Mal gucken. | |
Wohin? | |
Wie das bei mir so ist in fünf Jahren. Im Moment ist es so, dass ich mich | |
entweder um mein Kind kümmere oder unterwegs bin. Meine Miete verdienen. | |
Das ist ein ordentlicher Rhythmus. Aber ich bin nicht geneigt, etwas in | |
Stein zu meißeln. Außer: Man muss sich um sein Kind kümmern. Das ist in | |
Stein gemeißelt. | |
Kinder sind auch eine gute Entschuldigung. | |
Ja. Endlich nicht mehr ausgehen müssen. Endlich muss ich diesen Scheiß | |
nicht mehr mitmachen. Endlich muss ich nicht mehr so tun, als würd ich | |
diese Hype-Band so toll finden. Endlich muss ich mich nicht mehr sehen | |
lassen auf diesen Halbevents, die von meinen ermüdenden Freunden aufgezogen | |
werden. Oh … das habe ich schon öfter gehört. | |
Sie gehen noch aus? | |
Ich gehe immer noch gerne aus. Und dass andere Leute gerne ausgehen, ist | |
bei Lichte besehen die Basis meines Gewerbes. Wenn die Leute nicht mehr | |
gerne ausgehen würden, wenn sie keine Hoffnung mehr hätten, dass da | |
irgendwas wartet auf sie, dass da etwas Aufregendes passieren könnte, dann | |
… wars das. Dann wird es keine Musik mehr geben. | |
INTERVIEW: JAN FEDDERSEN UND PETER UNFRIED | |
15 May 2008 | |
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