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# taz.de -- Warum der Fußball so gern familiär ist: Eine schrecklich normale …
> Die Familie ist ein zentraler Bestandteil im Selbstverständnisbaukasten
> des Fußballs. Dabei wird natürlich nur das konservative Modell bejubelt.
Bild: Gefeiertes Bild: Sofiane Boufal feiert mit seiner Mutter das Weiterkommen…
[1][Nach jedem großen Finale] werden die Männer plötzlich Mensch. Das gilt
besonders bei Individualsportarten oder, im Fußball, nach Elfmeterschießen.
Eben noch sah man die Spieler mit eingeeisten Gesichtszügen, den Körper von
Anspannung ganz steif, der Atem schwer und die Gesten entweder vage oder
aggressiv. Aber kaum ist der letzte Ball geschossen, fällt alle Last von
allen ab und für eine kurze Zeit sind sie ganz Empfindung: die Verlierer,
indem sie kraftlos zusammensacken, das Gesicht in den Händen, den Blick in
eine weite Leere. Manche weinen, manche – die gefestigteren – trösten.
Und die Gewinner, die ausgelassen jubeln, tanzen, schreien, herumrennen.
Auch unter ihnen gibt es jene die weinen, aber es sind Tränen der Freude
und der Rührung. Es werden die Teamkameraden geknufft und geknuddelt, es
wird sich in die Arme geworfen und all das. Da schlägt das Individuum
Funken.
Gleich danach erweitert sich der Kreis der Feiernden um Familienmitglieder.
In angefassten Postmatch-Interviews wird den Eltern gedankt (den Müttern
häufiger als den Vätern) und stolze Väter tragen ihre Kinder aufs Feld.
Meist hat sich da die Ekstase aus ihren Mienen zu einer zufriedenen
Glückseligkeit gedimmt.
Die Familie ist ein zentraler Bestandteil im Selbstverständnisbaukasten des
Fußballs. Vereine begreifen sich als solche, Fans auch, aus den
Mannschaftshotels siegreicher Teams hört man immer von familiärer
Atmosphäre, Trainer sind Vaterfiguren, und kaum ein Verein kommt ohne eine
treue Seele aus, die sich um alles kümmert, was sonst so liegenbleibt (also
eine traditionelle Mutterrolle einnimmt, die aber nicht geschlechtlich
gebunden ist, [2][wie zum Beispiel HSV-Physiotherapeut Hermann Rieger
bewies]).
## Fortschritt verkriecht sich
Von den meisten Vereinen kennt diese Menschen nur ein eingeweihter Kreis.
Der Fußball (jeder Hochleistungssport) behauptet ein soziales Gefüge zu
sein und presst es aus, bis Geld rausfällt. Er befällt diese Bereiche wie
diese Ophiocordyceps-Pilze, die aus Ameisen Zombies machen. Wann immer im
Hochleistungssport ein gerechter Fortschritt zur Freiheit behauptet wird,
verkriecht sich dieser Fortschritt unter ein Blatt, um dort zu verenden;
dann sucht sich der Hochleistungssport einen neuen Wirt. Ist der ein
bisschen resilienter, sieht es vielleicht eine kurze Zeit länger so aus,
als wäre alles gut.
Die Familienwerte im Hochleistungssport sind konservative,
antiemanzipatorische. Dazu drei Schlaglichter: Als Anthony Martial 2018,
statt irgendein Showspiel in den USA bei einer Promotour von ManU zu
absolvieren, lieber abreiste, um bei der Geburt seines Kindes dabei zu
sein, wurde er von seinem [3][Trainer José Mourinho] angezählt und mit
einer Strafzahlung von 180.000 Pfund belegt. Das entsprach einem halben
Monatsgehalt.
Bei dieser WM wurde Sofiane Boufal gefeiert, weil er auf dem Rasen mit
seiner Mutter tanzte. Nicht gefeiert wurde Raheem Sterling, der während des
Turniers nach England zurückreiste, weil seine Familie überfallen worden
war. Gefeiert wurde er, weil er nach kaum ein paar Tagen wieder zum
englischen Team nach Katar zurückkehrte.
Von Fußballprofis in Deutschland haben bisher Elternzeit in Anspruch
genommen: null. Niemand. Keiner. Matthias Ginter sagte im Sommer 2021 in
einem Interview, er könne sich vorstellen, dass er Profis, die das
möglicherweise täten, nicht verurteilen würde; hat das aber natürlich, als
sein Kind geboren war, nicht getan.
Von Pavel Nedvěd ist die Anekdote überliefert, dass er sich seiner Frau
gegenüber weigerte, eine kaputte Glühbirne auszutauschen: schließlich sei
er Fußballer und kein Elektriker. Das fasst die Haltung des Profifußballs
insgesamt zu allen Themen ganz gut zusammen.
22 Dec 2022
## LINKS
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[3] /PR-Kampagne-von-Mourinho/!5645121
## AUTOREN
Frédéric Valin
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