# taz.de -- Christen im Westjordanland: Reise nach Bethlehem | |
> Für Christen in Palästina sind es oft nur wenige Kilometer bis zur | |
> Geburtskirche in Bethlehem. Doch Genehmigungen und Checkpoints erschweren | |
> den Weg. | |
Bild: Der Weihnachtsbaum wird eingeweiht: Ramallah, Westjordanland, am 5. Dezem… | |
RAMALLAH taz | Als erstes kommen die älteren Menschen. Viele tragen Kreuze | |
um den Hals, manche goldfarben und dick, andere silbern, besetzt mit | |
Steinen. Kurz vor Beginn des Gottesdienstes rücken schließlich die Familien | |
an. Ein Mädchen kaut noch an seinem Frühstück, während es auf die | |
Kirchenbank klettert. Der Chor singt, die Gemeinde erhebt sich, der | |
Priester beginnt: „Bismi Allah …“ – im Namen Gottes. | |
Während in Deutschland selbst in der Adventszeit viele Kirchen sonntags | |
leer bleiben, ist in der katholischen Kirche der Heiligen Familie in | |
Ramallah im palästinensischen Westjordanland an diesem vierten Advent jeder | |
Platz besetzt. Wer zu spät kommt, muss stehen. | |
Ihr Glaube ist vielen der knapp 50.000 christlichen Palästinenser und | |
Palästinenserinnen wichtig. Doch an Feiertagen wird deutlich, wie schwierig | |
es sein kann, diesen auch zu leben – mit der ganzen Familie zu feiern oder | |
den Gottesdienst in der Geburtskirche in Bethlehem zu besuchen. Schuld | |
daran ist für viele der israelische Staat. | |
Georgette, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung sehen möchte, lebt in | |
Ramallah. Jeden Sonntag besucht sie den Gottesdienst. Sie freut sich auf | |
Weihnachten, doch nach Bethlehem zu fahren – Sehnsuchtsort vieler Christen | |
zu Weihnachten –, komme für sie nicht in Frage: „Bei langen Autofahrten | |
wird mir schlecht.“ | |
Dabei liegen nur rund 25 Kilometer Luftlinie zwischen Ramallah und | |
Bethlehem. Doch für die Fahrt brauchen Palästinenser wie Georgette | |
mindestens zwei Stunden, denn die kürzeste Strecke führt durch Jerusalem | |
und damit durch israelisches Gebiet. Palästinenser, die einen | |
Aufenthaltstitel für [1][das von Israel annektierte Ostjerusalem] besitzen | |
und ohne Sondergenehmigung zwischen Israel und dem Westjordanland hin- und | |
herreisen dürfen, schaffen die Strecke bei ruhigem Verkehr in gut einer | |
Stunde. | |
Um nach Jerusalem zu fahren, müssen sie einen israelischen Checkpoint | |
passieren, der kurz vor Weihnachten mit roten und goldenen Lichtern | |
geschmückt ist. Obwohl die Kontrollen dort oft mit einem Blick auf den | |
Aufenthaltstitel und einem ins Gepäck erledigt sind, kostet das Zeit. Wer | |
dagegen wie Georgette keine Genehmigung hat, hat es schwerer und muss | |
Jerusalem weiträumig umfahren. | |
Ein anderer Gottesdienstbesucher erklärt: „Jerusalem existiert für mich | |
nicht mehr.“ Um dort Freunde, Verwandte oder die Grabeskirche zu besuchen, | |
bräuchte er eine Genehmigung, die er bei der israelischen | |
Ziviladministration für [2][das Westjordanland] beantragen müsste. Er habe | |
zwar auch einen US-Pass und könnte Jerusalem einfach so als Tourist | |
besuchen – doch das wolle er nicht, sagt er. Aus Prinzip. | |
Viele Palästinenser haben eine weitere Staatsbürgerschaft. Die Diaspora ist | |
groß. Das palästinensische Zentralbüro für Statistik gibt an, dass 2022 | |
etwa sieben Millionen Palästinenser außerhalb der palästinensischen Gebiete | |
sowie des Staates Israel lebten. Weitere rund sieben Millionen leben im | |
Westjordanland, Gaza und Israel. | |
Auch Georgettes Schwestern sind in die USA ausgewandert. Für sie selbst kam | |
das nie in Frage: „Palästina ist meine Heimat.“ Zuletzt habe sie die eine | |
Schwester vor mehr als sechs Jahren gesehen, die andere noch länger nicht | |
mehr. Auch eines ihrer Kinder lebt mittlerweile im Ausland, in | |
Großbritannien. Für ein gemeinsames Weihnachten, sagt sie, seien die Flüge | |
zu teuer. | |
## Zerrissene Familien | |
Auch Fahdi, der seinen Nachnamen ebenfalls nicht veröffentlicht sehen | |
möchte, kann nicht einfach spontan mit seiner Familie feiern. Er ist | |
griechisch-orthodoxer Christ, stammt aus Gaza, lebt aber im Westjordanland. | |
Möchte ihn seine Familie aus Gaza besuchen, muss sie eine Genehmigung beim | |
israelischen Staat beantragen. | |
Für viele Christen aus Gaza – noch etwa 1.000 leben in dem Küstenstreifen �… | |
sind die Reisegenehmigungen besonders an Weihnachten wichtig. Denn während | |
Palästinenser aus dem Westjordanland nach Bethlehem zur Geburtskirche | |
fahren können, ohne eine Grenze überqueren zu müssen, haben die Menschen | |
aus Gaza keine andere Wahl. | |
Sie müssen sogar zwei Grenzen passieren: Von Gaza nach Israel und von | |
Israel ins Westjordanland. Wer eine Genehmigung bekommt, obliegt den | |
israelischen Behörden. Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa | |
berichtet, dass für Weihnachten 2022 von etwa 800 Beantragenden aus Gaza | |
rund 200 keine Einreisegenehmigung erhalten hätten. | |
Auch an Ostern, wenn statt der Geburtskirche die Grabeskirche in Jerusalem | |
der Sehnsuchtsort vieler Christen ist, und somit die Palästinenser im | |
Westjordanland eine Erlaubnis brauchen, um nach Jerusalem einzureisen, | |
sorgt die Vergabe der Genehmigungen für Spannungen. Während Israel zum Ende | |
des Ramadan normalerweise die Einreiseregeln lockert und Frauen, Kinder und | |
einige Männer aus dem Westjordanland so auch ohne Genehmigung die | |
Al-Aksa-Moschee in Jerusalem besuchen dürfen, gibt es für Christen keine | |
solchen Lockerungen. | |
Georgette wird Weihnachten in Ramallah verbringen: Sie möchte die Kirche | |
der Heiligen Familie besuchen und mit denjenigen Familienmitgliedern, die | |
noch im Westjordanland leben, gemeinsam feiern. Trotz aller | |
Schwierigkeiten, sagt sie, gebe ihr die Weihnachtszeit Hoffnung. | |
21 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Kommentar-Wahlen-in-Ostjerusalem/!5547527 | |
[2] /Palaestinaflaggen-bei-WM-in-Katar/!5899028 | |
## AUTOREN | |
Lisa Schneider | |
## TAGS | |
Gaza | |
Westjordanland | |
Jerusalem | |
Palästina | |
Israel | |
IG | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Kolumne Stadtgespräch | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Zweistaatenlösung | |
Fußball-WM 2022 Katar | |
Israel | |
Gaza | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Israelischer Militäreinsatz im Westjordanland: Neun Palästinenser getötet | |
Mindestens neun Menschen wurden bei einer Razzia im Westjordanland | |
palästinensischen Angaben zufolge getötet. Laut Israel sollten Soldaten | |
Militante festnehmen. | |
Weihnachten in Israel: Lametta als Akt zivilen Ungehorsams? | |
Feiern oder lieber doch nicht? Das Christfest sorgt in Israel für Streit. | |
Einige sehen darin eine Möglichkeit, gegen die neue Regierung zu | |
protestieren | |
Jurist über israelische Regierung: „Gewaltenteilung ist bedroht“ | |
Die neue Regierungskoalition in Israel steht. Adam Shinar sorgt sich um | |
geplante Rechtsreformen. Liberale Werte stehen auf dem Spiel. | |
Regierungsbildung in Israel: Es den Rechten recht machen | |
Netanjahu bildet die extremste Regierung, die Israel je hatte. Seinen | |
rechtsextremen und ultraorthodoxen Partnern macht er große Zugeständnisse. | |
Palästinaflaggen bei WM in Katar: Solidarität ist legitim | |
Es ist falsch, Marokkos Nationalelf für das Zeigen der Flagge | |
Antisemitismus anzudichten: Die Palästinenser:innen haben Solidarität | |
verdient. | |
Koalitionsbildung in Israel: Immunität um jeden Preis | |
In Israel verhandelt Ex-Ministerpräsident Netanjahu noch immer mit | |
rechtsreligiösen Parteien. Beobachter sehen die Demokratie im Land | |
gefährdet. | |
Israelische und palästinensische Luftangriffe: Die Gewalt nimmt weiter zu | |
Israel bombardiert Ziele der militant-islamistischen Hamas im Gazastreifen. | |
Am Samstagabend wurde ein palästinensischer Raketenangriff gemeldet. |