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# taz.de -- Weltgebetstag der Frauen 2024: Nahostkonflikt in der Kirche
> Auf der ganzen Welt beten Christ:innen am ersten Freitag im März die
> gleichen Gebete. 2024 kommen die Texte aus den palästinensischen
> Gebieten.
Bild: Vertritt die christlichen Frauen Palästinas: Pfarrerin Sally Ibrahim Aza…
Berlin-Müggelheim taz | Beim zweiten Mal kommt der palästinensische Gesang
schon sicherer über die Ostberliner Lippen: „[1][Ya rabba salaami, amter
alayna salaam].“ Auf den Liedblättchen, die Pfarrerin Anke
Schwedusch-Bishara ausgeteilt hat, steht auch eine Übersetzung: „Du Gott
des Friedens, gieß deinen Frieden auf uns.“
Zwölf Frauen sind an diesem Januarabend ins evangelische Gemeindezentrum
Müggelheim am östlichen Rand Berlins gekommen. Auf den Tischen vor ihnen:
Datteln, Kerzen, Deckchen mit palästinensischen Stickereien. Es duftet nach
Kaffee mit Kardamom, an die Wand hat Schwedusch-Bishara eine Kalligrafie
gehängt. Es ist das Vaterunser auf Arabisch.
Auch drei ältere Herren sind hier, um sich zu informieren über den
„Weltgebetstag der Frauen“ am ersten Freitag im März. Allein in den
deutschen Kirchengemeinden treffen sich jedes Jahr 800.000 Christ:innen zu
diesem überkonfessionellen Event. Der Weltgebetstag (WGT) gilt als größte
ökumenische Frauenbewegung, in 150 Ländern weltweit feiern ihn die
Christ:innen. Jährlich steht ein anderes Land im Fokus. 2024 ist es
Palästina.
Schon 2017 hat das internationale Komitee des Weltgebetstags in New York
diesen Schwerpunkt festgelegt. Der Hamas-Terror des 7. Oktober 2023 und die
folgende Bombardierung Gazas lassen ihn nun in neuem Licht erscheinen.
Insbesondere in Deutschland wird heftig debattiert. Im Zentrum des Streits:
das Gottesdienstheft, das Frauen aus der christlichen Minderheit Palästinas
zusammengestellt haben.
## Antisemitismusvorwürfe
Aus diesem Heft stammt das Lied, das sie in Müggelheim zum Klavier in der
Zimmerecke singen. Pfarrerin Schwedusch-Bishara hat selbst Familie im
Westjordanland, verbringt jedes Jahr einige Wochen in der mehrheitlich
christlichen Stadt Bait Dschala, spricht Arabisch. Sie erklärt der kleinen
Versammlung: „ 'Ya rabba’, das kommt euch vielleicht bekannt vor. Es hat
dieselbe Wurzel wie das hebräische Wort Rabbi.“
Falsche und tendenziös politische Aussagen hatte der Deutsche
Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit
den Materialien des palästinensischen WGT-Komitees [2][Ende Oktober
vorgeworfen]. Im Zusammenhang seien sie „als antisemitisch zu
klassifizieren“. Der evangelische Theologieprofessor Günter Thomas sprach
von einer „tendenziösen Auswahl und Ikonografie“ der Texte und Bilder, die
einen israelbezogenen Antisemitismus enthielten.
Als Beispiel wurde etwa die Comicfigur Handala genannt, die das
palästinensische Komitee als Ausmalbild für die WGT-Kindergottesdienste
ausgewählt hatte. Der barfüßige Junge Handala wird in den palästinensischen
Gebieten als Symbol des Widerstands gegen die israelische Besatzung
verwendet; und von der Boykottbewegung BDS.
Kritik gab es auch an faktischen Fehlern in den Materialien. Palästina
umfasse das Westjordanland, Ostjerusalem und den Gazastreifen, heißt es im
ursprünglichen [3][WGT-Flyer]. Und weiter: „Alle drei Gebiete sind seit
1967 unter israelischer Besatzung.“ Israel hatte sich allerdings 2005 aus
dem Gazastreifen zurückgezogen.
## Christliche Mitverantwortung für die Shoah
Der kleine Vortrag, den eine pensionierte Informatiklehrerin für den
Infoabend in Müggelheim vorbereitet hat, beginnt mit Bildern der aktuellen
Zerstörung im Gazastreifen, mit den 26.000 Toten. „Die Zahl kommt von der
Hamas“, sagt sie.
Dann müht die ältere Dame sich ab, auf einer an die Wand projizierten Karte
den Flickenteppich der israelischen Besatzungszonen A, B und C im
Westjordanland zu erklären. Pfarrerin Schwedusch-Bishara hilft mit, wo die
Frau unsicher ist. Auch die Gäste bringen sich ein, erzählen von eigenen
Reisen ins „Heilige Land“, korrigieren und ergänzen sich gegenseitig.
Pfarrerin Schwedusch-Bishara erinnert schließlich an die Mitverantwortung
der Christ:innen für die Shoah und ihre Folgen im Nahen Osten.
„Informiert beten, betend handeln“ ist das Motto des Weltgebetstags. Die
Idee stammt aus den USA, dort versammelten sich 1887 erstmals Frauen
verschiedener christlicher Konfessionen. 1927 wurde der erste
internationale Gebetstag gefeiert, seit rund 70 Jahren gibt es ihn auch in
Deutschland. 2,5 Millionen Euro bringt die deutsche WGT-Kollekte jährlich
zusammen. Sie fließen in rund 100 Frauenprojekte weltweit.
1994, vor genau 30 Jahren, stand Palästina schon einmal im Fokus des WGT.
Schon damals gab es den Vorwurf einseitiger Schuldzuweisungen an Israel.
Den bekommt die ökumenische Bewegung immer wieder zu hören. Etwa als sich
der Ökumenische Weltrat der Kirchen 2009 das sogenannte Kairos-Dokument zu
eigen machte, das den wirtschaftlichen Boykott Israels propagiert. Auch
Papst Franziskus ist vielen zu nah an der palästinensischen Sache. Nach dem
7. Oktober hatte er die Hamas lange nicht namentlich verurteilt.
## Änderungen nicht mit Palästina abgesprochen
Die deutschen Kirchen haben dies schnell und entschlossen getan. Auch das
deutsche WGT-Komitee reagierte nach dem 7. Oktober sehr schnell mit einem
entsprechenden Gebet. Zur Erklärung des Internationalen Komitees in New
York, das nach dem Angriff zwar „bösartige Gewalt“ gegen israelische
Zivilisten und die Geiselnahmen verurteilte, die Täter aber nicht benannte,
schrieben die deutschen WGT-Frauen, dass sie „eine deutliche Verurteilung
der Terroranschläge der Hamas-Terroristen“ vermissten.
Die Texte im Gottesdienstheft bearbeitete das deutsche Komitee. Handala
verschwand aus der deutschen Version, die verwendeten Psalmen wurden als
„alte jüdische Gebete“ kontextualisiert, die „gemeinsamen Wurzeln von
Christentum und Judentum“ hervorgehoben. [4][Zwei Fürbitten wurden
ergänzt]: „Wir beten für alle, die seit dem 7. Oktober 2023 in Israel und
Palästina in unvorstellbarem Ausmaß unter Terror, Not und Krieg und
sexualisierter Gewalt leiden.“ Und: „Wir beten für Jüdinnen und Juden, die
sich hier in Deutschland nicht sicher fühlen, die Drohungen und Anschlägen
ausgesetzt sind.“
Auch die Selbstzeugnisse von palästinensischen Frauen wurden von den
Deutschen ergänzt. Mit den palästinensischen Urheberinnen des Heftes wurde
das nicht abgesprochen. „Wir haben durch die Presse erfahren, dass es zu
diesen Veränderungen kommt“, sagt Sally Azar am Telefon. Azar, 27 Jahre
alt, ist die erste weibliche Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche
in Jordanien und im Heiligen Land.
Sie hat in Deutschland Theologie studiert, arbeitet jetzt an der
Erlöserkirche in Ostjerusalem und ist Vorsitzende des palästinensischen
WGT-Komitees. Azar sagt: „Es wurde in unsere Geschichten eingedrungen. Das
hat uns verletzt.“ Sie könne verstehen, dass es in Deutschland dieses
Problem gebe. Verstehen sei aber etwas anderes als akzeptieren. „Wir sind
gegen jede Art Änderung“, sagt Azar.
– Was ist mit der Korrektur des Fehlers zur Besatzung Gazas? Da „ging es um
Besatzung in Form der Blockade“, sagt die Pastorin.
– Und was ist mit den 1.200 israelischen Opfern und den Geiseln der Hamas?
„Wir leugnen nicht das Leid der anderen, sondern sprechen über unser Leid.“
Damit meint Azar das Leben unter Israels Besatzung, die Übergriffe
jüdischer Siedler auf Palästinenser:innen im Westjordanland. „Das
Leid geht weiter als Gaza.“
## Schrumpfende Minderheit in Palästina
Mit den deutschen WGT-Frauen bleibe das palästinensische Komitee im
Austausch, sagt Azar. Man sei sich einig, dass man sich uneinig sei. Es
gebe aber auch deutsche Gemeinden, die am ursprünglichen Gottesdienstheft
festhielten. Verschiedene Perspektiven, politische und theologische,
auszuhalten und trotzdem miteinander zu beten, „darum geht es beim
Weltgebetstag“, sagt Azar.
Waren um 1900 noch 30 Prozent der Palästinenser:innen christlich,
sind es heute nur noch etwa 1,2 Prozent. Die größte Gruppe ist
griechisch-orthodox, außerdem gibt es katholische, orientalische und
protestantische Christ:innen, doch immer mehr verlassen das Land. Die
Chance, die Sally Azar im diesjährigen Weltgebetstag sieht: „Viele werden
mehr über unser Land lernen, werden mit uns beten.“
Auch Pfarrerin Anke Schwedusch-Bishara glaubt, dass der WGT in diesem Jahr
mehr Aufmerksamkeit schaffen kann. „Der Krieg ist natürlich eine
Aufmerksamkeit, die bedauerlich ist. Es wäre schön, wenn man genauso
aufmerksam wäre, wenn etwas vorwärtsgeht.“
Anders als ihre Ostjerusalemer Kollegin ist die Ostberlinerin ganz
zufrieden mit dem neuen Gottesdienstheft. „Ich glaube, ich hätte sonst bei
der Fürbitte selbst aktualisiert. Von daher finde ich das angemessen und
finde auch das neue Heft angemessen.“ Wenn sie es als Zensur empfunden
hätte, wäre sie im Konflikt gewesen. „Aber so habe ich es nicht empfunden.�…
## Erinnerungen an die Berliner Mauer
Schwedusch-Bishara kennt beide Kontexte. Ihre erste Auslandsreise nach dem
Fall der Mauer führte sie 1991 nach Genf als freiwillige Helferin beim
Ökumenischen Weltrat der Kirchen. Dort traf sie auf einen jungen
Palästinenser, auch er zum ersten Mal im Ausland. Die beiden heirateten,
bekamen ein Kind zusammen.
Im Gemeindehaus zeigt Schwedusch-Bishara jetzt Fotos von ihren
Familienbesuchen im Westjordanland. Als die israelische Mauer zu sehen ist,
die Jerusalem von Bethlehem trennt, sagt eine der Müggelheimerinnen: „Wie
bei uns damals.“
Die Christ:innen in Palästina säßen zwischen allen Stühlen, sagt
Pfarrerin Schwedusch-Bishara später beim Einsammeln der Dekoration. „Weil
sie eine so kleine Zahl sind und sich immer rechtfertigen müssen, auch
gegenüber der muslimischen Mehrheit. Wenn es einmal einen palästinensischen
Staat geben sollte: Was ist das für ein Staat?“ In einem islamischen kämen
sie vom Regen in die Traufe. „Das sollte ein säkularer Staat sein.“
Sie habe vergessen, über die Christ:innen in Gaza zu sprechen, sagt
Schwedusch-Bishara noch später an der Bushaltestelle. Auch im WGT-Heft sind
die nicht besonders präsent. 600 bis 1.000 Christ:innen lebten vor dem 7.
Oktober im Küstenstreifen. Wie viele von ihnen umgekommen sind, ist völlig
ungewiss. „Ich denke schon, dass gemeinsames Gebet eine Kraft hat“, sagt
die Pfarrerin. „Zumal ein Gebet, das um die Welt geht. Und dass es eine
Hoffnung stärkt.“
25 Feb 2024
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=BA1l042Lrxg
[2] https://www.deutscher-koordinierungsrat.de/dkr-stellungnahme-Weltgebetstag-…
[3] https://weltgebetstag.de/fileadmin/user_upload/downloads/WGT2024/webseite_d…
[4] https://weltgebetstag.de/fileadmin/user_upload/downloads/WGT2024/webseite-d…
## AUTOREN
Stefan Hunglinger
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