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# taz.de -- Spätkauf
> Letzte, wirklich allerletzte Empfehlungen aus der Kulturredaktion. Für
> Unentschlossene, Kurzentschlossene und Menschen, die Weihnachten dieses
> Jahr aber mal wirklich ignorieren wollten
Bild: Trotz Krieg bleibt die Ballettschule von Svetlana Antipova in Odessa geö…
## Trost und Sorge
Der Sonnenhut (Rudbeckia triloba) ist bereits vergeben, genauso wie der
Pfauenradfarn (Adiantum pedatum), die Zungenkratzdistel (Cirsium ligulare),
die Chinesische Zaubernuss (Hamamelis mollis) und das Wandelröschen
(Lantana camara). Sie alle wachsen im Botanischen Garten von Berlin und
haben bereits einen Paten oder eine Patin. Aber das sind ja auch nur fünf
Pflanzenarten von über 20.000, die auf dem 43 Hektar großen Gelände in
Berlin-Dahlem gepflegt werden. Viele andere sind noch frei, man kann sich –
die Adresse findet sich auf der Homepage – beraten lassen und dann eine
Patenschaft verschenken. Nicht ganz billig, zwischen 250 und 1.500 Euro
kostet das, je nach Größe und Wert der jeweiligen Pflanze, aber doch eine
gute Sache. Der Botanische Garten selbst ist sowieso einen Besuch wert (in
anderen Städten gibt es selbstverständlich auch schöne). Entworfen nach dem
Konzept „Die Welt in einem Garten“ marschiert man gerade noch durch einen
Mischwald mit Eichen und Buchen, biegt einmal um die Ecke und erklettert
die Flora der Pyrenäen und gleich daneben des Himalaja, und die riesigen
Gewächshäuser sind sowieso wild – eine Jahreseintrittskarte könnte man
natürlich auch verschenken. Aber so eine Pflanzenpatenschaft vermittelt
doch zusätzlich noch dieses Gefühl, dass es gut ist, auch dann noch einen
Apfelbaum zu pflanzen (oder sich eben um eine Pflanze zu kümmern), selbst
wenn morgen die Welt untergehen sollte. Vielleicht nicht das coolste
Geschenk aller Zeiten, aber gerade jetzt passend, meine ich. Ich stelle
fest, dass ich am Ende dieses anstrengenden Jahres, das durch den Krieg
gegen die Ukraine wirklich schrecklich geworden ist, einen gewissen Trost
gut gebrauchen kann. Der durch so eine Patenschaft verschenkte Wille, sich
weiter um die Vielfalt der Welt zu bemühen, kann ihn immerhin ein bisschen
bieten.
Dirk Knipphals
## Stulpen an die Beene
Die Kälte und die Sorge um die Energie arbeiten den Geschenkideen in
diesem Jahr munter zu. Weiche Leggins aus Baumwolle und wollene Stulpen in
bunten Mustern, wahlweise über oder unter der Jeans zu tragen, können
helfen, die Kälte vom Körper fernzuhalten. Wie sich Wertschätzung und
Freude über die Jahre ändern. Als Kind, in den sechziger Jahren, waren
warme Strumpfhosen (oft kratzig) und Nachthemden aus Flanell auf dem
Gabentisch nicht so gut angesehen. Jedes Bilderbuch stach sie aus. Aber
heute könnte das durchaus wieder anders sein.
Katrin Bettina Müller
## Wegbegleiter
Letztens stieß ich im Internet auf ein Meme (eine Bild-Text-Kombination mit
humoristischem oder kritischem Inhalt). Zu sehen war ein Leopard und eine
Schnecke. In dem Meme ging es um den Handyakku, der in seiner Langsamkeit
des Aufladens an eine Schnecke erinnert und in seinem rasanten Akkuverlust
an die Geschwindigkeit eines Leopards. Ein paar Wochen später spülte mir
mein Algorithmus das gleiche Bild noch mal in meinen Feed. Vielleicht als
Erinnerung, mir eine Powerbank anzuschaffen, ein kleines, mobiles
Aufladegerät. In seinem kleinen Format passt es in jede Art von Tasche. Das
Meme erinnerte mich an die Momente der Orientierungslosigkeit und
Unerreichbarkeit, die einem leeren Akku in der Vergangenheit hin und wieder
geschuldet waren. Die bewusste Unerreichbarkeit an sich finde ich angenehm.
Ich schätze auch immer wieder die pädagogischen Maßnahmen meines Handys,
wenn es beschließt, dass genug Lebenszeit mit Scrollen und Klicken
verschwendet worden ist und sich dann einfach ausschaltet. Unangenehm wird
es jedoch an unbekannten Orten, ohne Karte und ohne jemanden erreichen zu
können. Letztens kämpfte ich mich mit den letzten 4 Prozent durch
Berlin-Charlottenburg, einem mir fremden Kiez. Den Bildschirm verdunkelt,
alle Tabs geschlossen, bahnte ich mir so sparsam wie möglich mit BVG-App
und Google Maps meinen Weg nach Hause. Im Sekundentakt leerte sich der
Akku. Stille kann schön sein, nachts alleine im Dunkeln aber eher weniger.
Für Menschen mit schwachen Handys empfehle ich als Geschenk eine Powerbank!
Paula Marie Kehl
## Little Sun
Ja, Sie haben schon recht. In der Ukraine brauchen sie jetzt eher warme
Winterbekleidung oder Kompressoren. Dennoch scheint auch irgendwann mal
wieder die Sonne. Und dort, wo sie scheint, kann die tragbare Solarlampe
Little Sun unschätzbare Dienste leisten. Sie ist sehr praktisch, sieht gut
aus und lädt sich über das Sonnenlicht auf. Sie wurde vor einigen Jahren
vom dänischen Künstler Ólafur Elíasson zusammen mit dem Ingenieur Frederik
Ottesen entwickelt. Die Idee dahinter: Für die Little Sun zahlen wir in
Industrieländern einen leicht erhöhten, aber immer noch günstigen Preis.
Und so subventionieren wir einen billigeren Abgabepreis für Menschen in
Gebieten des ländlichen Afrikas ohne Stromversorgung. Also nicht nur
sauber, sondern auch fair. Mir hat diese Solarlampe auf einer einsamen
finnischen Insel ohne Anschluss ans Stromnetz nachts das Licht zum Lesen
gespendet.
Andreas Fanizadeh
## Satinträume
Ich bin großer Fan von Upgrade-Geschenken. Nicht alle Jahre wieder Platz
für neue Kategorien von Gegenständen in der Wohnung schaffen zu müssen, das
entspannt, ist besinnlich. Ein gutes Messer in der Schublade statt drei
stumpfen. Schöne Bienenwachskerzen statt billigem Paraffinlicht. Garantiert
genutzt wird das Upgrade-Geschenk, wenn es auf das Allerheiligste abzielt:
Schlaf. Seidenkissenbezüge müssen nicht teuer sein, sorgen aber durchaus
für das kleine Luxusgefühl am Abend. Sowieso kühlend in Sommernächten, ist
Seide auch gut zu heizungsluftgeschockter Winterhaut. Doch da der Gedanke
an die vielen für den Bezug getöteten Seidenraupen dem Beschenkten
womöglich schlaflose Nächte bereitet (im Kokon lebend gekocht!), greife man
besser zu Satin. Fühlt sich eigentlich genauso an und gibt’s überall, zum
Beispiel auf avocadostore.de. Jetzt müssen Sie nur noch herausbekommen, wie
groß der Beschenkte träumt: Eher Typ 80x80 oder 40x60?
Julia Hubernagel
## Gegen das apokalyptische Denken
Die christliche Idee der Entsagung habe sich verbreitet wie eine
ansteckende Krankheit, schrieb Heinrich Heine. Auch unter säkularen
Vorzeichen geht sie um wie eine Krankheit: „In diesem Jahr verzichten wir
auf Geschenke“, schallt es einem allerorten aus selbstgerechten Gesichtern
entgegen. Ja, es war ein beschissenes Jahr, Krieg und Krisen, alles
schlimm, aber wem in dieser Welt geht es besser, wenn ihr euch nichts
schenkt, welches Problem wollt ihr auf diese Weise lösen? In der großen
Krise der 1970er baute die Mittelschicht sich Partykeller und Heimbars in
die Häuser, was das Zeug hielt. Es ist vielleicht nicht die beste Idee, in
den Keller statt in die Kneipe zu gehen, aber immerhin haben sie dort
gesoffen und gefeiert, als gäbe es kein Morgen. Richtig so. Deshalb:
Discokugel. Verschenken Sie Discokugeln, eine, zwei, drei, viele und tanzen
Sie bis zum Umfallen. Nicht bloß an Weihnachten, denn: Kein Glam ist auch
keine Lösung.
Tania Martini
## Verinnerlichter Weihnachtsbaum
Zum Christfest stellt sich mitunter die Frage, ob in der Wohnung ein
Weihnachtsbaum aufgestellt und geschmückt werden soll oder nicht. Für viele
Leute wäre allein der Gedanke auf Verzicht ein Sakrileg, andere aber wägen
jedes Jahr das Für und Wider ab, bevor sie sich für das eine oder das
andere entscheiden. Und dann gibt es ja noch den Aspekt, dass so ein
Gewächs nicht unbedingt ökologisch ist. Wer davor zurückschreckt, eine
abgesägte Konifere zu erwerben, doch ebenso wenig geneigt ist, zu einer
künstlichen Alternative aus Plastik (nachhaltig?), bemaltem Holz oder
sonstigem Material zu greifen, kann sich den Wunsch nach anlassgerechter
Nadeldekoration womöglich auf indirektem Weg erfüllen. Ein essbarer
Weihnachtsbaum landet nicht hinterher auf dem Sperrmüll, sondern früher
oder später in den Mägen der Beteiligten. Zum Selbermachen finden sich
online verschiedene Rezepte, vom „Bûche de Noël mit Kaffeecreme-Füllung“
über einen Blätterteig-Weihnachtsbaum bis zu Weihnachtsbaum-Cupcakes,
letztere selbstverständlich mit grünem Icing obendrauf. Wer das zu
aufwendig findet, kann auf ein Angebot von Fertigprodukten wie
Schoko-Tannenbäume mit Mousse zurückgreifen.
Tim Caspar Boehme
## Digitale Bilderrahmen
Alt werden, da wird absolut nicht zu viel verraten, ist kein Pappenstiel,
denn die Gebrechen machen verdrießlich. Dazu kommt noch, dass alle Welt
erwartet, es müsse nun endlich die Reinfuchsung in Technikgadgets
angegangen werden. Da möchte man den Alten zurufen: „Ihr müsst gar nichts!
Sitzt einfach da und schaut!“ Fotos zum Beispiel. Ein Album
zusammenzustellen, für diejenigen, die weit entfernt wohnen und trotzdem am
Leben der anderen teilnehmen möchten, das geht immer. Auf Fotopapier
ausdrucken und in ein Fotoalbum einkleben, ist schön, aber braucht viel
Zeit. Mit dem digitalen Rahmen (oder auch Digicadre), einem elektronischen
Gerät in der Diagonale zwischen 7 (17 cm) und 15 (38 cm) Zoll Größe, lassen
sich Fotos leicht zusammenstellen. Beim digitalen Bilderrahmen können dank
einer Speicherkapazität von 8 Gigabyte abertausende Fotos überspielt und
von mehreren Nutzer:innen gleichzeitig per App zur Verfügung gestellt
werden. Keine Sorge, es gibt Geräte, bei denen nichts in die Cloud geht!
Die Fotos können mit Untertiteln versehen und in Diashows mit
Wiederholungseffekten und Bilderläufen eingebaut werden. Ein weiteres Plus,
das Gerät lässt sich permanent von außen mit neuen Fotos aktualisieren.
Wenn etwas nicht gleich klappt, Ausschalten und Neustarten. Oder die
13-jährige Enkelin fragen, wie das Ding funktioniert. Verschiedene
Hersteller, zwischen 60 und 180 Euro.
Julian Weber
## Was Christliches
Die große Frage ist: Muss man etwas zu Weihnachten verschenken? Und wenn
ja, wem schenkt man etwas? Im Laufe der letzten Jahre hat sich der Kreis
der Auserwählten sehr reduziert – und siehe, keine/r ist beleidigt, weil
alle den Zwang gehasst haben, sich im Dezember in den Kaufrausch in
überfüllte Kaufhäuser zu stürzen, Gutscheine auszudrucken oder hektisch im
Internet Angebote und Preise zu vergleichen. Alles Stress. Und
Fremdbestimmtheit. Ja, auch wenn ich es besser wusste: Ich habe meinen
inneren Widerstand immer wieder ignoriert und mich dem Konsumzwang
unterworfen; einfach, weil ich dachte, ohne Geschenk geht es nicht. Und
siehe da: Es geht ohne Probleme. Allen geht es besser damit. Und wenn ich
jemandem ein besonderes Geschenk machen möchte: selbstgemachter Humus,
selbstgemachte Plätzchen, selbstgemachte Marmelade … Das kann ich in Massen
produzieren, schön verpacken, noch ein selbst gebasteltes Origami-Tierchen
dazu, und fertig. Ich habe schon oft solche Geschenke bekommen von
Freund*innen und mich ehrlich darüber gefreut. Meine Devise: Nichts Neues
kaufen, nur Sachen, die man essen kann, oder secondhand. Das hat voll was
Christliches: die Erde vor der Ausbeutung zu bewahren.
Elke Eckert
20 Dec 2022
## AUTOREN
Dirk Knipphals
Katrin Bettina Müller
Paula Marie Kehl
Andreas Fanizadeh
Julia Hubernagel
Tania Martini
Julian Weber
Tim Caspar Boehme
Elke Eckert
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