# taz.de -- Soko Tierschutz zeigt Staatsanwalt an: „Hunderte Verfahren einges… | |
> Die Soko Tierschutz stellt Strafanzeige gegen den Oldenburger | |
> Oberstaatsanwalt Bernhard Lucks. Er habe Tierschutz-Verstöße nicht | |
> konsequent verfolgt. | |
Bild: Angeklagt wurden nur 58 von 168 Fällen: Protest im August 2022 vor dem A… | |
OSNABRÜCK taz | Oberstaatsanwalt Bernhard Lucks aus Oldenburg ist ein Mann | |
mit Einfluss. Er gehört der niedersächsischen Schwerpunktstaatsanwaltschaft | |
an, die sich um Straftaten in der Landwirtschaft kümmert. Wenn es in einem | |
Stall oder auf einem Schlachthof zu Tierquälerei kommt, landet das auf | |
Lucks’ Schreibtisch. | |
Aber jetzt hat Lucks selbst Probleme. Friedrich Mülln, Leiter der Münchner | |
Tierrechtsorganisation [1][Soko Tierschutz], wirft ihm vor, nicht kritisch | |
und nachdrücklich genug zu ermitteln und fordert seine Entlassung: | |
„Nachweislich wurden hunderte Verfahren eingestellt und die Verfahren, die | |
zu schwerwiegendes Beweismaterial und öffentliches Interesse mit sich | |
brachten, über Jahre verschleppt“, sagt Mülln. Dadurch seien Täter mit | |
milderen Strafen davongekommen. Ermittlungen seien schludrig geführt und | |
Beweismittel unzureichend gesichert worden. Auch die Justiz könne zum | |
Mittäter werden – durch Untätigkeit. | |
Derzeit läuft gegen Lucks eine Strafanzeige der Soko Tierschutz wegen des | |
Verdachts auf Strafvereitelung im Amt und Rechtsbeugung. Auslöser war die | |
Aufarbeitung der [2][Vorfälle um den Bad Iburger Rinderschlachthof Temme]. | |
Die Soko hatte den Fall [3][2018 aufgedeckt], durch das Material | |
versteckter Videokameras. 168 Fälle, in denen Rinder beispielsweise mit | |
einer Seilwinde aus dem Transporter in den Schlachthof gezogen wurden, weil | |
sie selbst nicht mehr laufen konnten, seien dokumentiert worden. Es seien | |
aber nur 58 zur Anklage gekommen. | |
Zudem habe Lucks „schwerwiegende Straftatsbestände“ ignoriert, etwa die | |
Möglichkeit, dass tote Tiere verarbeitet wurden. Wegen des Verstoßes gegen | |
die Tierische Lebensmittel-Hygieneverordnung sei gar nicht erst | |
ermittelt worden, sagt Mülln, obwohl der Verdacht nahe gelegen habe, dass | |
in Bad Iburg auch Kadaver zu Lebensmitteln wurden und, so Mülln, „keine | |
Lebendbeschau stattfand“. | |
Die drei Haupttäter, der damalige Chef des Schlachthofs und zwei | |
Mitarbeiter, wurden [4][Ende August 2022 zu Bewährungsstrafen zwischen neun | |
Monaten und zwei Jahren verurteilt] – vier Jahre nach Bekanntwerden der | |
Vorwürfe. Tierschützer kritisierten das Urteil als zu milde. Anfang Oktober | |
erstattete die Soko in Oldenburg Strafanzeige gegen Heinrich Wilhelm B., | |
den ehemaligen Temme-Geschäftsführer, wegen gewerbsmäßigen Betrugs. | |
Ihre Hoffnung, dem Verdacht im zweiten Anlauf doch noch gerichtliches Gehör | |
zu verschaffen, scheiterte jedoch: Die Staatsanwaltschaft erließ eine | |
Einstellungsverfügung. Anfang November legte Mülln gegen sie Beschwerde | |
ein. Er beantragte, Lucks vom Verfahren abzuziehen. | |
Kurz zuvor hatten sich auch die niedersächsischen Grünen für den Fall stark | |
gemacht, mit einer Kleinen Anfrage bei der Landesregierung. Sie wollten | |
wissen: Ist die Schwerpunktstaatsanwaltschaft überlastet? Wurden im Fall | |
Temme aufgrund der langen Verfahrensdauer keine Höchststrafen | |
ausgesprochen? | |
Das Justizministerium antwortete, dass die Zentralstelle „personell | |
hinreichend aufgestellt und nicht überlastet“ sei. Mängel in der | |
Verfahrensführung seien nicht festzustellen. Ein Kausalzusammenhang | |
zwischen Personaleinsatz und Strafzumessung werde nicht gesehen. | |
Eine der Autorinnen der Anfrage ist Miriam Staudte. Heute ist die Grüne | |
Niedersachsens Landwirtschaftsministerin. „Bundesweit ist die [5][faktische | |
Straflosigkeit bei Tierschutz-Verstößen] ein in wissenschaftlichen Arbeiten | |
diskutiertes Problem“, sagt sie. „Ich sehe es als Aufgabe für die neue | |
Landesregierung, dass die zuständigen Ministerien dieses Thema strukturell | |
beleuchten und neue Wege aufzeigen.“ Das Justizministerium sehe das | |
genauso. | |
Eine dieser Studien ist „Strafrechtliche Verfolgung von | |
Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft“ von Johanna Hahn und Elisa | |
Hoven, 2022 erschienen. Sie enthält Sätze wie: „Eine Vielzahl der | |
Tierschutzstraftaten an landwirtschaftlich genutzten Tieren wird nicht | |
abgeurteilt.“ | |
Aktenuntersuchungen und [6][Experteninterviews] legten nahe, dass das | |
Tierschutzstrafrecht vielfach nicht oder nicht angemessen angewendet werde. | |
Einige Amtstierärzte nähmen von Strafanzeigen Abstand, „weil sie die | |
Erfahrung gemacht haben, dass die Staatsanwaltschaften die Fälle nicht | |
ernsthaft verfolgen“. | |
Oft würden Strafanzeigen als Gefahr für eine funktionierende Landwirtschaft | |
angesehen, heißt es in der Studie weiter. Ergehe ein Strafbefehl oder ein | |
Urteil, seien die Sanktionen „am unteren Ende des Strafrahmens“. Auch die | |
Oldenburger Zentralstelle kommt in Hahns und Hovens Studie vor. Zu ihr | |
heißt es, in Fällen der Leidenszufügung sei nicht ermittelt worden. | |
Lucks, von der taz um Kommentierung gebeten, schweigt. Sämtliche | |
Sachverhalte würden „strafrechtlich überprüft und einer Entscheidung | |
zugeführt“, sagt Staatsanwalt Matthias Rennecke, Sprecher seiner Behörde. | |
Dabei sei die Prüfung nicht auf bestimmte Straftatbestände beschränkt, | |
sondern „vollumfänglich“. Zu Lucks selbst hält er sich bedeckt. | |
Dieter Ruhnke, Vorsitzender des Landestierschutzverbands Niedersachsen, | |
sagt über die Schwerpunktstaatsanwaltschaft: „Manchmal bleiben Akten sehr | |
lange liegen.“ Was man dazu wissen muss: Tierschutzfälle verjähren schnell. | |
13 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.soko-tierschutz.org/ | |
[2] /!5767198/ | |
[3] /Horror-Schlachthof-Bad-Iburg/!5548990 | |
[4] /Urteil-gegen-Schlachthofmitarbeiter/!5874817 | |
[5] /Tierschutzskandale-in-Niedersachsen/!5767213 | |
[6] /Tierschutz-in-Niedersachsen/!5901920 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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