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# taz.de -- Freispruch nach Tierschutz-Skandal: Abwesenheit schützt vor Strafe
> In Niedersachsen wurden zwei Tierärzte freigesprochen. Sie waren zur
> Anlieferung von Schlachthoftieren, die gequält wurden, nicht vor Ort.
Bild: Vor dem Amtsgericht Bad Iburg: Protest gegen Tierquälerei
Osnabrück taz | Das Ende des Prozesses kam am Mittwoch doppelt
überraschend: Dem vierten Verhandlungstag sollte eigentlich noch ein
fünfter mit weiteren Zeugenvernehmungen folgen. [1][Doch am Amtsgericht Bad
Iburg] blieb Richter Edmund Jahner am Mittwoch nichts anderes übrig, als
den Prozess zu beenden und Herbert E. und Eva S. kurzerhand freizusprechen.
Den beiden amtlichen Tierärzten war vorgeworfen worden, Rindern durch –
teils vorsätzliches – Unterlassen, länger anhaltende oder sich
wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zugefügt und bei der
Verwertung bereits tot angelieferter Tiere Beihilfe zu Verstößen gegen die
Tierische Lebensmittel-Hygieneverordnung geleistet zu haben.
Nachdem Undercover-Videomaterial der Münchner Tierrechtsorganisation „Soko
Tierschutz“ den Horror ans Licht gebracht hatte, der sich im Bad Iburger
Rinderschlachthof Temme abgespielt hatte, waren sie 2018 vom Landkreis
Osnabrück ihrer Tätigkeit enthoben worden; der Schlachthof wurde
stillgelegt.
Herbert E. und Eva S. waren für die Lebend- wie die Fleischbeschau
zuständig – freiberuflich. Und bei beiden traten im Prozess
Pflichtverletzungen zutage, die ihnen jetzt halfen: Beide machten geltend,
sie seien bei der Anlieferung der Tiere [2][oft gar nicht anwesend
gewesen.]
## Tierschützer halten das Urteil für eine Katastrophe
Den Angeklagten habe nicht nachgewiesen werden können, dass sie in den
angeklagten Fällen Kenntnis „von der tierschutzrechtswidrigen Abladepraxis“
hatten „oder diese zumindest geahnt, gleichwohl aber billigend in Kauf
genommen haben“, sagt Susanne Kirchhoff, Direktorin des Amtsgerichts Bad
Iburg. Festgestellt werden konnte nur, so das Gericht in der mündlichen
Urteilsbegründung, dass sie „bei ordnungsgemäßer Erbringung ihrer
geschuldeten Arbeit“ diese Abladepraxis hätten verhindern können.
„Das Urteil ist eine Katastrophe“, sagt Friedrich Mülln, Leiter der Soko
Tierschutz. „Es legt massive Schwachstellen in der Gesetzgebung und
Fleischüberwachung offen.“ Seit dem Freispruch wisse jeder amtliche
Tierarzt, „dass er seinen Job im Schlachthof einfach nur nicht ausüben
muss, um selbst aus dem schlimmsten Tierschutz- und Hygiene-Desaster heil
herauszukommen“.
Mülln empört das. „Die Devise ‚Nichts hören, nichts sehen, nichts
aufschreiben und am besten nicht da sein‘ schützt offenbar vor
Strafverfolgung.“ Da die Justiz nicht in der Lage sei, „skrupellose
Tierärzte zu stoppen, die selbst einen angelieferten Kadaver als wohlauf
bescheinigen“, sei nun die Politik gefragt. „Es ist traurig, dass wir
Tierschützer mit versteckten Kameras offenbar die letzte Brandmauer gegen
die Fleischmafia und unfähige Behörden darstellen.“
Dem Veterinäramt des Landkreises Osnabrück macht Mülln schwere Vorwürfe.
Die Verantwortlichen dort dürften „nicht in Amt und Würden bleiben“,
schließlich habe sich hier „der größte Fleisch- und Tierschutzskandal der
letzten Jahrzehnte“ ereignet.
## Ministerin will Staatsanwaltschaften evaluieren
Bernhard Lucks, Oberstaatsanwalt bei der niedersächsischen
Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Landwirtschaftsstrafsachen in Oldenburg,
hatte den Freispruch am Ende selbst gefordert. [3][Mülln sieht Lucks als
„Skandalstaatsanwalt“.] Sein Auftritt im Prozess habe von dem Versuch
gezeugt, „das lästige öffentliche Verfahren schnell los zu werden“.
„In Fällen krimineller Energie kommt es insbesondere auf eine konsequente
Strafverfolgung an“, sagt Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Miriam
Staudte (Grüne) der taz. „Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, wollen wir
die Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Niedersachsen evaluieren. Wir sind
dazu bereits im Austausch mit dem Justizministerium.“
Das Ministerium habe das Bad Iburger Verfahren verfolgt, ergänzt Andrea
Zaldivar Maestro, Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums, „um zu
schauen, inwiefern über bereits in Niedersachsen eingeleitete Maßnahmen
hinaus weitere Konsequenzen für die künftige Aufsicht in Schlachthöfen
abgeleitet werden können“.
Nach Bekanntwerden der Missstände bei Temme seien das Schulungssystem für
amtliche Tierärzt:innen an Schlachthöfen intensiviert und
risikoorientierte Schwerpunktkontrollen durchgeführt worden. „Politisch ist
wichtig zu prüfen, wo gegebenenfalls Lücken im Tierschutzrecht dazu führen,
dass Sanktionen unterbleiben“, sagt Staudte.
In Schlachthöfen sei die Begutachtung der lebenden Tiere durch amtliche
Tierärzt:innen verpflichtend, bestätigt das Ministerium. „Kranke Tiere
dürfen nicht geschlachtet und verarbeitet werden“, sagt Maestro. Dass diese
Untersuchung in Bad Iburg in nachgewiesenen Fällen nicht ordnungsgemäß
durchgeführt wurde oder unterblieben sei, sei ein grober Verstoß gegen
geltendes Recht. „Alle Ebenen müssen kritisch ihre Rolle bei diesem
Systemversagen hinterfragen.“
26 Jan 2023
## LINKS
[1] /Tierrechtsverfahren-in-Bad-Iburg/!5906225
[2] /Urteil-gegen-Schlachthofmitarbeiter/!5874817
[3] /Soko-Tierschutz-zeigt-Staatsanwalt-an/!5898923
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
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