| # taz.de -- Urteil gegen Schlachthofmitarbeiter: Milde für die Berufstierquäl… | |
| > Beim Strafverfahren gegen Mitarbeiter eines Schlachthofs sorgte die Milde | |
| > des Urteils für Empörung. Videoaufnahmen zeigen unfassbares Tierleid. | |
| Bild: Ein kranke Kuh wird an einer Kette auf den Schlachthof Bad Iburg geschlei… | |
| Bad Iburg taz | Am Ende war klar: Tiere sind nicht viel wert. Als das | |
| Urteil verkündet war, wartete vor der Treppe des kleinen niedersächsischen | |
| Amtsgerichts Bad Iburg ein Trauerkranz. Auf seiner Schleife stand: „In | |
| stillem Gedenken an das deutsche Tierschutzgesetz“. | |
| Für viele war schwer zu verdauen, was am Montag in Saal 126 des Gerichts | |
| ablief, in einem der Höhepunkte des „größten Tierschutzprozesses der | |
| deutschen Geschichte“, wie Friedrich Mülln sagt, der Leiter der Münchner | |
| Tierrechtsorganisation „Soko Tierschutz“. | |
| Es ging um den Skandal im Bad Iburger Rinderschlachthof der Vieh- und | |
| Fleisch Karl Temme GmbH & Co. KG, 2018 ans Licht gekommen durch | |
| Undercover-Videomaterial der Soko. Ohne sie wäre dieser Ort des Grauens | |
| wohl nie stillgelegt worden, hätte die Kreisverwaltung vielleicht nie die | |
| zuständigen VeterinärmedizinerInnen entlassen. Viele Tiere haben dort | |
| [1][unfassbares Leid erfahren]. | |
| An diesem Montag ist Saal 126 Schauplatz der Hauptverhandlung gegen den | |
| ehemaligen Geschäftsführer und fünf weitere Mitarbeiter des Schlachthofs. | |
| Es ist primär ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen § 17 Nr. 2b des | |
| Tierschutzgesetzes: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit | |
| Geldstrafe wird bestraft, wer einem Wirbeltier länger anhaltende oder sich | |
| wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt.“ | |
| Anfangs hofft Mülln noch auf die Maximalstrafe für den | |
| Hauptverantwortlichen und Geschäftsführer, Heinrich Wilhelm B., | |
| ironischerweise zugleich einer der Tierschutzbeauftragten seines Betriebs. | |
| Diese Hoffnung teilt er mit dem guten Dutzend Aktivisten, die vor dem | |
| Gerichtsgebäude mit blau-weißen Schildern „Gefängnis für den Tierquäler!… | |
| eine Mahnwache halten. | |
| ## „Massive Gewalt“ | |
| Die sechs Angeklagten, von denen am Montag nur drei erschienen waren, | |
| sollen im August und September 2018 Rinder angenommen und abgefertigt | |
| haben, die laut Amtsgericht „infolge von Verletzungen und/oder Erkrankungen | |
| nicht mehr transportfähig und deshalb bei Ankunft am Schlachthof nicht mehr | |
| in der Lage gewesen seien, das Transportfahrzeug selbständig zu verlassen“. | |
| Dabei sollen sie „massive Gewalt“ angewandt, Schmerzen der Tiere | |
| „mindestens billigend in Kauf genommen haben“. | |
| Angeklagt sind über 70 Fälle. Heinrich Wilhelm B. wird die Beteiligung in | |
| rund 60 davon vorgeworfen. Und das Videomaterial ist erdrückend. Die drei | |
| Angeklagten wissen, dass sie keine Chance haben: Sie gestehen die Verstöße | |
| ein. Es fallen Sätze wie: „Zum damaligen Zeitpunkt war ich in dem Glauben, | |
| dass man das so machen muss.“ Oder: „Da sind Fehler gelaufen.“ | |
| Die Angeklagten sind wortkarg, Antworten sind teils so leise, dass selbst | |
| der Richter sie nicht versteht. Warum der Staatsanwalt ihnen „starke“ Reue | |
| zugute hält, ist nicht erkennbar. Nur der Hauptangeklagte rechtfertigt | |
| sich. Zwei Jahre Haft auf Bewährung bekommt er am Ende, plus 3.000 Euro | |
| Geldstrafe. Seine beiden Angestellten kommen mit neun Monaten auf Bewährung | |
| davon, mit 2.000 beziehungsweise 1.500 Euro Geldstrafe. | |
| Mülln empört das. Schon als der Staatsanwalt seine milden Anträge stellt, | |
| stellt er sich fassungslos vor die ZuhörerInnen, stürmt türenknallend aus | |
| dem Saal. „Lächerlich!“, sagt er der taz. „Mutlos! Das ist ein Schlag ins | |
| Gesicht für jeden Tierfreund! Und für jeden Verbraucher auch!“ | |
| Ihn schockiert nicht nur das geringe Strafmaß. Ihn macht zornig, dass der | |
| Tatvorwurf des Verstoßes gegen die Tierische Lebensmittel-Hygieneverordnung | |
| komplett gestrichen wird. Wurden bereits tot angelieferte Tiere | |
| geschlachtet, obwohl sie hätten entsorgt werden müssen? Dass dieser | |
| Vorwurf, hätte er nachgewiesen werden können, für die Bemessung der Strafe | |
| nicht ins Gewicht gefallen wäre, ist für Mülln kein Grund, ihn nicht zu | |
| verfolgen: „Dadurch hat das Gericht den Verbraucherschutz gleich | |
| mitbeerdigt!“ | |
| ## Ein paar matte Mahnungen | |
| Richter Jahner führt harte Videos vor. In ihnen werden Tiere geschlagen, | |
| ohne Betäubung an Ketten vom Viehtransporter gezogen, mit Elektroschocks | |
| traktiert. Aber was am Ende bleibt, sind ein paar matte Mahnungen an die | |
| Angeklagten, laue Entschuldigungen der glimpflich Davongekommenen, die | |
| allesamt noch im Gerichtssaal auf Rechtsmittel verzichten. | |
| „Kommt nicht wieder vor!“, versichert der Hauptangeklagte B. knapp, und das | |
| war’s dann. Von der Verteidigung kommt Medienschelte und Veganer-Bashing. | |
| Mülln bekommt das schon nicht mehr mit. „Furchtbar!“, sagt er draußen. | |
| „Jetzt knallen in der Fleischbranche die Sektkorken!“ | |
| 48 Verfahren um das, so Mülln, „kriminelle Netzwerk“ der | |
| „Bad-Iburg-Connection“ sind in Bad Iburg schon abgewickelt worden. Keiner | |
| ist mit einem Freispruch geendet, die meisten mit Geldstrafen. 25 | |
| Tagessätze war die geringste, 265 die höchste. Freiheitsstrafen gab es nur | |
| drei – die gegen Heinrich Wilhelm B. und seine Angestellten Markus S. und | |
| Christian E. | |
| Soko-Chef Mülln, für den der Bad-Iburg-Verfahrenskomplex der wichtigste der | |
| 500 Verfahren ist, die er durch seine Tierrechtsarbeit bisher angeschoben | |
| hat, schüttelt den Kopf. „Diese Strafen stehen in keinerlei Relation zu den | |
| Profiten, die die Verurteilten durch ihre Taten erzielt haben. Was muss man | |
| denn Tieren noch alles antun, bis man dafür eingesperrt wird?“ | |
| ## Schlachten lohnt sich | |
| Die Verhandlung in Saal 126 ist fast die letzte des Komplexes. Gegen zwei | |
| TierärtzInnen wird noch verhandelt. „Hier wurde die letzte Chance vertan, | |
| noch ein Zeichen zu setzen!“, sagt Mülln bitter. | |
| Seltsame Argumente waren in Saal 126 zu hören. Etwa: Betäubungen | |
| gehunfähiger Tiere seien aus Tierschutzgründen unterblieben, bevor sie vom | |
| Transporter gezogen wurden, womöglich wäre ja der Bolzenschuss zu unpräzise | |
| gewesen. Oder: Eine Betäubung im Transporter sei aus Arbeitsschutzgründen | |
| unterblieben, manchmal sei der Aufenthalt der Angestellten im | |
| Viehtransporter eben zu gefährlich, so eng zusammen mit dem Tier. Das fand | |
| auch bei Richter Jahner keinen Widerhall: „Das nehmen wir keinem | |
| Angeklagten ab!“ | |
| Was bleibt? Schlachten lohnt sich, auch bei halbtoten Tieren. Und, ja: | |
| Mülln wird weitermachen. | |
| 29 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Urteil-gegen-Fahrer-von-Viehtransport/!5719416 | |
| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
| ## TAGS | |
| SOKO Tierschutz | |
| Schlachthof | |
| Tierquälerei | |
| Niedersachsen | |
| IG | |
| SOKO Tierschutz | |
| SOKO Tierschutz | |
| Landwirtschaftsministerium Niedersachsen | |
| SOKO Tierschutz | |
| Verbraucherschutz | |
| Deutsches Tierschutzbüro | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Freispruch nach Tierschutz-Skandal: Abwesenheit schützt vor Strafe | |
| In Niedersachsen wurden zwei Tierärzte freigesprochen. Sie waren zur | |
| Anlieferung von Schlachthoftieren, die gequält wurden, nicht vor Ort. | |
| Tierrechtsverfahren in Bad Iburg: „Der Richter hat heute geliefert“ | |
| Die Tierrechtsverfahren zum Bad Iburger Schlachthof Temme gehen in die | |
| finale Runde. Die Soko Tierschutz ist überrascht: Das Gericht bohrt nach. | |
| Tierschutz in Niedersachsen: „Können in die Tischkante beißen“ | |
| Seit 25 Jahren steht Tierschutz in Niedersachsens Verfassung. Viele Tiere | |
| haben nichts davon, kritisiert Dieter Ruhnke vom Landestierschutzverband. | |
| Tierquälerei in der Fleischindustrie: Schlachthöfe im Blick | |
| Streit über Video-Überwachung: schleswig-holsteinische Landkreise dafür, | |
| das Landwirtschaftsministerium hat Bedenken. | |
| Sammelklagen sollen möglich werden: Zusammen statt einzeln | |
| Der Justizminister legt einen Entwurf für „Abhilfeklagen“ vor. | |
| Verbraucherverbände sollen den Anspruch von Käufern durchklagen können. | |
| Tierschutzskandal in Niedersachsen: Gequält für Westfleisch | |
| Das Deutsche Tierschutzbüro wirft einem Schweinemäster massive Verstöße | |
| vor. Sieben Westfleisch-Zulieferer sind im Visier. |