# taz.de -- Tierschutz in Niedersachsen: „Können in die Tischkante beißen“ | |
> Seit 25 Jahren steht Tierschutz in Niedersachsens Verfassung. Viele Tiere | |
> haben nichts davon, kritisiert Dieter Ruhnke vom Landestierschutzverband. | |
Bild: Aktivisten decken Tierschutz-Skandale in Niedersachsen auf – und Medien… | |
taz: Herr Ruhnke, seit nun 25 Jahren ist der Tierschutz in Niedersachsen | |
Staatsziel. Seither geht es [1][den Tieren hier doch prächtig, oder?] | |
Dieter Ruhnke: Legt man den Wortlaut der niedersächsischen Verfassung | |
zugrunde, könnte man das annehmen. Aber Wirklichkeit und Anspruch klaffen | |
weit auseinander. | |
Dort heißt es in Artikel 6b: „Tiere werden als Lebewesen geachtet und | |
geschützt.“ Papier ist also geduldig? | |
Genau. Es stellt aber sich die Frage, für welche Tiere in Niedersachsen der | |
verfassungsmäßige Schutz vorgesehen ist. | |
Dabei ist Niedersachsen doch so stolz darauf, Vorbild gewesen zu sein für | |
die Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung der Bundesrepublik | |
Deutschland. | |
Ja, das Staatsziel Tierschutz wurde erst 2002 in Artikel 20a des | |
Grundgesetzes aufgenommen – in Niedersachsen bereits 1997. | |
Trotzdem jagt ein Tierschutzskandal den nächsten, die Jagd auf Wildtiere | |
wurde ausgeweitet und vereinfacht, in Zoos und privaten Haushalten dämmern | |
Exoten hospitalisiert vor sich hin. Der Ist-Zustand ist alarmierend. | |
Ein Grund dafür ist, dass der Tierschutz lange Jahre nur ein Nischenthema | |
war. Erst die [2][Arbeit der Tierschutzorganisationen] und die mediale | |
Berichterstattung hat ihn in die Mitte der Gesellschaft gebracht. Viele | |
Bürger legen mittlerweile Wert auf eine Verbesserung des Tierschutzes. Die | |
Politik hat die Entwicklung verschlafen. | |
Was ist weiterhin problematisch, obwohl es Artikel 6b gibt? | |
Das Festhalten am Alten! So werden weiterhin Beutegreifer wie etwa der | |
Fuchs massiv gejagt. Dabei leisten die alle ihren Beitrag zu einem gesunden | |
Biosystem. Wird eine vermeintliche Gefährdung durch ein Wildtier | |
ausgemacht, gibt es in Niedersachsen offenbar nur eine einzige Lösung: | |
Töten. Aus dem Tierschutzplan Niedersachsen wurde eine Nutztierstrategie, | |
um den Bestand an Nutztieren zu erhalten. | |
Aber es hat auch Verbesserungen gegeben? | |
Im Haustierbereich hat sich einiges getan. Niedersachsen hat ein | |
Hundegesetz, dass die Gefährlichkeit eines Hundes nicht an der Rasse | |
festmacht und vom Halter eine Sachkunde verlangt. Auch der Umgang mit | |
Hauskatzen hat sich verbessert, Kastrationsaktionen inklusive. Die | |
Wichtigkeit unserer Tierheime wurde erkannt und finanzielle Hilfen gewährt. | |
Alles kleine Schritte nach vorn. | |
Und im Nutztierbereich? | |
Mehr als Tippelschritte gibt es da nicht. Das geht nicht über das hinaus, | |
was die Tierhaltungsindustrie von sich aus zulässt. | |
Für die juristische Aufarbeitung von Tierschutzverstößen ist die | |
Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Oldenburg gebildet worden. Wie streng wird | |
dort gearbeitet? | |
Tierquälerei ist nur bei vorsätzlichem Verhalten strafbar. Fahrlässiges ist | |
nicht strafbar. Fehlt der Vorsatz, wird das Strafverfahren nicht | |
eingeleitet oder einfach eingestellt. Hierzu zählen auch besondere | |
Lebenslagen von Tierhaltern, wie etwa eine unbewältigte Stresssituation. | |
Und das spielt der Staatsanwaltschaft in die Karten. Aus Sicht der Behörde | |
arbeitet sie [3][streng nach Gesetz.] Darum ist eine Verschärfung des | |
Tatbestandes und der Strafandrohung des Tatbestandes der Tierquälerei | |
zwingend erforderlich. | |
Bedeutet Letzteres also, dass der Artikel 6b keine Novelle braucht, sondern | |
dass man den Artikel nur ernst nehmen muss? | |
Genau. Aber die Defizite im Vollzug fangen schon an, wenn der Stall noch | |
gar nicht gebaut ist. | |
Das müssen Sie erklären. | |
Nach dem Verbandsklagerecht wird unser Verband beim Bau und | |
Nutzungsänderungen gewerblicher Tierhaltungsanlagen angehört. Hierbei | |
stellen wir immer wieder fest, dass Vorgaben zur Tierhaltung sich nicht in | |
den Antragsunterlagen wiederfinden. So werden Stallflächen, die für die | |
Tiere versperrt sind, nicht von den vorgeschriebenen Bewegungsflächen | |
abgezogen. Oder: Vorgeschriebene Krankenabteile fehlen. Meist stellt man | |
dann fest, dass die Fläche für die vorgesehene Anzahl an Tieren nicht | |
ausreicht. Vorgesehene Lüftungsanlagen und vorbeugende Brandschutzmaßnahmen | |
sind häufig unzureichend. Die Veterinärämter müssten so etwas eigentlich | |
sehen, die bekommen die Anträge ja auch. Aber die kritisieren das nicht. | |
Niedersachsens Stallanlagen entsprechen häufig nicht der | |
Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. | |
Sind Sie mit dem Verbandsklagerecht zufrieden? | |
Es ist nicht optimal. So werden wir zum Beispiel bei der Erstellung von | |
Erlassen und Verordnungen der Ministerien, die den Tierschutz betreffen, | |
als Verband angehört. Meist stellen wir am Ende fest, dass der Effekt | |
gleich null ist. Klagen können wir aber dagegen nicht; die | |
Rechtsetzungsverfahren sind vom Klagerecht ausgenommen. Wir können da | |
manchmal nur in die Tischkante beißen. | |
Die [4][Tierrechtsorganisation Peta] sagt: „Tiere sind nicht dazu da, dass | |
wir an ihnen experimentieren, sie essen, sie anziehen, sie uns unterhalten | |
oder wir sie in irgendeiner anderen Form ausbeuten.“ Würden Sie das | |
unterschreiben? | |
Ja! | |
12 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Tierquaelerei-in-der-Fleischindustrie/!5886502 | |
[2] /Schlachterei-pfeifft-auf-Tierschutz/!5868038 | |
[3] /Urteil-gegen-Schlachthofmitarbeiter/!5874817 | |
[4] https://www.peta.de/ | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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