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# taz.de -- Proteste gegen das Regime in Iran: U18 und gegen das System
> In Iran protestieren die Minderjährigen mit. Das Regime steht vor einer
> Herausforderung und läuft Gefahr, die Kontrolle über die Schulen zu
> verlieren.
Bild: Nicht immer sieht Protest so aus, an iranischen Schulen geht es subtiler …
Berlin taz | „Tod den USA“, ruft der Schuldirektor über den Lautsprecher.
Normalerweise würden die Schulmädchen mit einem lauten „Tod den USA“
antworten. Vielleicht würden ein oder zwei, die sich damit nicht
wohlfühlen, leise bleiben. Doch dieser Tage läuft das anders: “Tod dem
Diktator“, [1][antworten die Schülerinnen] im Chor. Der Direktor probiert
es erneut. Vergeblich: „Tod dem Diktator“.
Die Szene ist eine von Tausenden Protestaktionen an Schulen in Iran, der
seit mehr als zwei Monaten von Protesten erschüttert wird. Vergangene Woche
erlebte der Aufstand mit weiteren Massenprotesten einen erneuten Höhepunkt;
am Freitag verbreiteten sich sogar Videos im Netz, die offenbar das Haus
des Gründers der Islamischen Republik, Ajatollah Chomeini, zeigten. Laut
Regierungskritikern wurde es in Brand gesteckt.
Für den Sicherheitsapparat ist es eine neue Herausforderung, dass sich
diesmal auch an den Schulen Protest regt. Sogar Lehrkräfte beteiligten
sich, berichtet eine Lehrerin, die in mehreren Mädchengymnasien in einem
ärmeren Viertel Teherans unterrichtet, der taz. Viele ihrer Kolleginnen
würden Anweisungen des Bildungsministeriums einfach ignorieren.
Ihre Unzufriedenheit äußern die Schulmädchen auch, indem sie ihre
Kopftücher ablegen. In etlichen Fotos von Schulhöfen ist zu sehen, dass ein
großer Teil der Schülerinnen ohne Kopftuch unterwegs ist. Geistliche,
hochrangige Beamte von Schulbehörden und andere Regimevertreter werden von
den von Schüler*innen teils mit Buhrufen empfangen.
Einige Lehrkräfte hätten sich auch entschieden, die Lektionen über den
Hidschab und andere ideologische Themen in den Lehrbüchern auszusetzen,
sagt die Lehrerin. „An einer Schule hat die Schulleitung die Teilnahme am
gemeinsamen Gebet für freiwillig erklärt, woraufhin keine einzige Schülerin
mehr den Gebetsraum betrat.“
## Spezialkräfte vorm Schultor
Das iranische Regime stellt das vor ein Dilemma: An den Schulen hart
durchzugreifen, wäre kaum zu rechtfertigen. Aber auch breitflächige
Schulschließungen kommen nicht infrage, denn um diese zu begründen, müsste
der Staat die Krise zunächst einmal anerkennen, was die Protestierenden im
ganzen Land als Sieg für sich verbuchen könnten.
Ein weiteres [2][Video] kursiert in den sozialen Medien. Es ist vom 4.
November, dem Jahrestag der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran im
Revolutionsjahr 1979. Der Clip zeigt, wie in einer Schule in Täbris eine
US-Flagge auf dem Boden liegt, damit die Schülerinnen sie symbolträchtig
mit den Füßen treten. Doch feinsäuberlich umgehen die Mädchen die Flagge.
Der Protest dringt auch aus den Schulen heraus: [3][Berichte] über kleine
Demonstrationen nach der Schulzeit häufen sich dermaßen, dass die
Schuldirektor*innen die Anweisung bekommen haben, die Schüler*innen
nicht gleichzeitig und wenn möglich nur durch unterschiedliche Türen gehen
zu lassen.
Ein Lehrer in Teheran berichtet der taz: „Jeden Tag sehen wir Dutzende
Autos voller Zivilmilizen vor der Schule. In den Pausen haben wir die
Sorge, dass die Kinder vor den Fenstern Sprüche rufen und die Milizen auf
sie schießen. Die Lehrkräfte versuchen, die Kinder von den Fenstern
fernzuhalten.“ Ein Schüler aus einem anderen Bezirk Teherans bestätigt:
„Auf dem Weg nach Hause sehen wir oft Spezialkräfte der Polizei vor der
Schule.“
## 47 getötete Minderjährige
Gewalttätige Auseinandersetzungen hat es bereits gegeben: Am 11. Oktober
wurden die Schulen in Ardebil im Nordwesten des Landes angewiesen, die
Schüler*innen zu einer staatlich organisierten Kundgebung ins
Stadtzentrum zu bringen. Dort aber riefen viele nicht die erwünschten
Parolen, sondern Protestslogans.
Die Zivilmilizen der Revolutionsgarden drängten die Schülerinnen eines
Gymnasiums daraufhin zurück an deren Schule, wo sie einige verprügelt haben
sollen. Mindestens drei landeten im Krankenhaus; [4][die 15-jährige Asra
Panahi] starb am Folgetag. Auch aus den kurdischen Gebieten in Iran, wo der
Druck auf die Protestierenden insgesamt höher ist, gibt es Berichte vom
Einmarsch von Spezialkräfte in die Schulen, zum Beispiel [5][in Bukan].
Insgesamt sind mindestens 47 Minderjährige in den letzten zwei Monaten ums
Leben gekommen. Meist wurden sie erschlagen oder erschossen. Damit machen
Kinder und Jugendliche einen bedeutenden Teil der bislang [6][378
Todesopfer] des Aufstands aus. Die Zahl beinhaltet nur diejenigen, die
identifiziert werden konnten. Die Dunkelziffer liegt womöglich deutlich
höher.
Ein besonders dramatisches Beispiel ist die Geschichte von Nika Shahkarami.
Laut [7][Recherchen von CNN] hatte die 16-Jährige am 20. September andere
Protestierende angeführt und Steine in Richtung von Sicherheitskräften
geworfen. Diese verfolgten sie stundenlang und nahmen sie fest. Erst zehn
Tage später durfte die Familie ihre Leiche sehen. CNN zufolge war sie mit
Schlagstöcken zum Tode geprügelt worden.
Während frühere Proteste in Iran vor allem von Studierenden getragen
wurden, ist der Widerstand gegen die Islamische Republik aktuell nicht nur
schichten-, sondern auch generationenübergreifend. Das Regime läuft Gefahr,
die Kontrolle über die Schulen des Landes zu verlieren – und das den 43
Jahren zum Trotz, in denen strenge Auswahlverfahren für Lehrkräfte
herrschten und ein durch und durch ideologisch durchsetztes Bildungssystem
aufgebaut worden ist.
21 Nov 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/MonirehKazemi/status/1588847000665337857?s=20&t=pRn…
[2] https://twitter.com/araznews_org/status/1588196301690343427
[3] https://twitter.com/RadioZamaneh/status/1587369111939604480
[4] https://www.iranintl.com/en/202210160115
[5] https://twitter.com/HengawO/status/1571794199250456577
[6] https://www.iranhr.net/en/articles/5594/
[7] https://edition.cnn.com/2022/10/27/middleeast/iran-nika-shahkarami-investig…
## AUTOREN
Omid Rezaee
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Jugendliche
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