| # taz.de -- Der Hausbesuch: Hansjürgen Guck-in-die-Luft | |
| > Auf Helgoland betreibt Hansjürgen Köhler eine Ufo-Meldestelle. Polizei, | |
| > Sternwarten und ESA leiten Anrufer an ihn weiter – er forscht nach. | |
| Bild: Seit fast 50 Jahren beobachtet Hansjürgen Köhler, was am Himmel tanzt | |
| Meistens ist es einfach ein flackernder Stern. Oder ein Fettfleck auf der | |
| Linse. Oder Elon Musk, der mal wieder was ins All geschossen hat. Seit fast | |
| 50 Jahren erklärt Hansjürgen Köhler den Menschen, dass sie mit aller | |
| Wahrscheinlichkeit kein Ufo gesehen haben. | |
| Draußen: Die Nordsee ist unruhig, Hansjürgen Köhler gelassen. Sturm ist | |
| erst dann, wenn die Schafe im Oberland keine Locken mehr haben, sagt man | |
| sich auf Helgoland. Mittlerweile spricht Köhler von „unseren Schafen“, | |
| dabei ist er noch gar nicht so lange auf der Insel. Und vielleicht der | |
| einzige Mannheimer unter den knapp 1.300 Einwohner:innen, seine Herkunft | |
| hört man ihm an. Die Helgoländer:innen seien anfangs reserviert, aber | |
| „wenn du dich normal verhältst, Moin sagst, dann beginnt der Schnack, dann | |
| ist die Welt in Ordnung“, sagt er. Die 256 Stufen von der Hafenebene ins | |
| Oberland nimmt Köhler wie immer zu Fuß, die Touristen stehen mit ihren | |
| Trolleys Schlange am Aufzug. | |
| Drinnen: Vor den Häusern wehen die grün-rot-weißen Flaggen im Wind, auch | |
| bei Hansjürgen Köhler. Grün ist das Land / rot ist die Kant’ / weiß ist d… | |
| Sand. Die „Kant’“, das ist die Felsküste im Norden, der Buntsandstein l�… | |
| sie rot wirken. Helgoland macht mit seinen Fähnchen ein bisschen auf | |
| Königreich, ist aber genau genommen nur eine Gemeinde im Kreis Pinneberg. | |
| Eine schmale Treppe führt in Köhlers Dachgeschosswohnung. Nicht viel Platz, | |
| aber es reicht. Und wenn er hochschaut, durchs Fenster: der Himmel. | |
| Bruch: „Insel? Da fällt dir die Decke auf den Kopf!“, hatte ihn seine | |
| Familie gewarnt. Aber Köhler zögerte nach der Zusage keine Sekunde. 40 | |
| Jahre war er Einkäufer in einer Mannheimer Firma gewesen, 2014 ging sie | |
| pleite. Mit seinen Kolleg:innen zog er vors Arbeitsgericht, erklagte | |
| sich eine Abfindung. Danach schreibt Köhler monatelang Bewerbungen, | |
| „bestimmt 400“. Die dreieinhalb Jahre bis zum Rentenalter möchte er | |
| unbedingt voll machen. Die Absagen lesen sich alle gleich: „Bewerbung toll, | |
| Zeugnisse tipptopp, aber wir würden die Stelle gerne langfristig besetzen.“ | |
| Neustart: An einem Regentag im Herbst 2016 zwingt er sich, noch eine halbe | |
| Stunde die üblichen Portale zu durchforsten, und findet die Anzeige einer | |
| Helgoländer Schiffsbedarfsfirma. Dann geht alles ganz schnell. Die | |
| dreieinhalb Jahre sind seit anderthalb Jahren vorbei, er ist immer noch da. | |
| Es mache ihm Spaß und sie hätten ihn bekniet, noch ein bisschen zu bleiben. | |
| Mit Schiffen hatte er nie was zu tun, war als Junge mit Freunden vielleicht | |
| mal auf dem Dorfteich segeln. Und was ist mit denen im All? Er lacht. Die | |
| stattet sein Arbeitgeber leider nicht aus. | |
| Armstrong und Aldrin: Seine Astronomiebegeisterung begann mit der | |
| Mondlandung. Da war er 13, durfte länger wachbleiben, „denn das sei eine | |
| Sache, die die Welt verändern wird“, hatte sein Vater gesagt. Auf dem | |
| Schulhof gab es kein anderes Thema, selbst im Klassenzimmer drehte sich ein | |
| paar Tage alles ums Sonnensystem. In Köhlers Kinderzimmer hängt ab jetzt | |
| ein krisseliges Poster der „Apollo 11“, er fängt an, Artikel über Raumfah… | |
| und das All in schweren Ordnern abzuheften. Es ist ein Hobby, nichts | |
| weiter. Nach der Schule beginnt er eine kaufmännische Ausbildung. | |
| Aliens: Zu der Zeit läuft im ZDF die Science-Fiction-Serie „Invasion von | |
| der Wega“. Es geht um Aliens, die in den USA landen und die Weltherrschaft | |
| an sich reißen. Sein Azubi-Kollege Werner Walter schaut die Serie auch, in | |
| der Kantine diskutieren sie, wie wahrscheinlich das alles wäre. Ob etwas | |
| von der Roswell-Legende zu halten ist. Was es mit dem angeblichen Ufo über | |
| dem Hamburger Michel auf sich hat. Sie wollen gemeinsam in die | |
| [1][Sternwarte] gehen. | |
| Telefondienst: Dort beobachten sie, dass die Hörer im Empfangsbereich nicht | |
| auf der Gabel liegen. „Warum ignoriert ihr die Anrufe?“, fragen sie. Es | |
| würde sonst pausenlos klingeln, entgegnen die Mitarbeiter. Menschen | |
| beobachteten ja alle naselang etwas am Himmel. „Wir wollen aber forschen, | |
| keinen Telefondienst machen“, sollen die vom Planetarium gesagt und den | |
| beiden jungen Männern ihre Plätze angeboten haben. Für Walter und Köhler | |
| der Moment, in dem sie ihr Wissen endlich unter Beweis stellen dürfen. | |
| Sirius: Einen Nachmittag lang beschwichtigen sie aufgewühlte | |
| Anrufer:innen und gehen deren Sichtungen auf den Grund. Köhler erinnert | |
| sich an eine Frau, die von einem „in den schönsten Farben flackernden | |
| herumhüpfendem Licht“ berichtete, „seit einer Stunde schon, Richtung | |
| Westen“. Der Fixstern Sirius, weiß Köhler sofort, der hellste Stern am | |
| Nachthimmel, der durch Lichtbrechung in der Atmosphäre aufleuchtet. Auch | |
| heute noch, 50 Jahre später, ist der tanzende Stern einer der Hauptgründe, | |
| warum sich Menschen bei ihm melden. | |
| Stimuli: Außerdem: „Flugzeuge, Helikopter, Meteore, Wiedereintritt von | |
| Raketenteilen und Weltraumschrott, Heißluftballons, Helium-Luftballons, | |
| Wetterphänomene wie Kugelblitze, Scheinwerferlicht, das von Wolken | |
| reflektiert wird, und natürlich Venus, Jupiter, Saturn und Mars.“ Wenn die | |
| in gutem Winkel zur Erde stehen, „dann weißt du genau: Scheibenkleister, | |
| das wird ein langer Abend.“ Walter und Köhler macht die Detektivarbeit in | |
| der Sternwarte so viel Spaß, dass sie sich professionalisieren wollen. 1976 | |
| gründen sie das „Centrale Erforschungsnetz außergewöhnlicher | |
| Himmelsphänomene“, kurz Cenap. | |
| SpaceX: 2016 starb Werner Walter, seitdem führt Hansjürgen Köhler Cenap | |
| alleine weiter. Schon lange braucht er dafür bloß einen Laptop, den | |
| Meldungen geht er mit einer Astronomie-Software nach. Seit drei Jahren | |
| macht ihm [2][Elon Musk zu schaffen], dessen Starlink-Raketen bisher fast | |
| 2.000 Satelliten im All verteilt haben. Am Nachthimmel hinterlassen sie | |
| Dutzende Lichtpunkte, die aussehen wie eine Perlenkette. Über 500 Meldungen | |
| bekam Köhler 2021, fast die Hälfte gingen auf Musk zurück. Ihm geht auf die | |
| Nerven, was SpaceX da im All veranstaltet, trotzdem kann er gut verstehen, | |
| wenn Menschen sich nach Sichtung einer solchen Himmelsperlenkette ganz | |
| euphorisiert bei ihm melden. Er weiß: „Man ist dann einfach voll drauf.“ | |
| Cape Canaveral: Die jahrelange Ufo-Jagd habe ihn jedoch geerdet, sagt er. | |
| Köhler ist Realist, er glaubt nicht, dass er zu Lebzeiten noch Aliens zu | |
| Gesicht bekommt. Schon allein, weil er sicher ist, dass die gleich wieder | |
| abziehen würden angesichts der Weltlage. Kurz vor Eintritt in die | |
| Atmosphäre einen U-Turn machen. Menschheit? Nein danke. Sein größter Wunsch | |
| ist im Grunde greifbar, hat mit Außerirdischen wenig zu tun: einmal mit | |
| eigenen Augen einem Raketenstart am Cape Canaveral zuschauen. „Bei der | |
| ‚Artemis‘ ist es sogar so: Da flieg ich mit!“, sagt er stolz und zeigt die | |
| PDF-Datei eines Boardingpasses. Sein Name und die vieler anderer Menschen | |
| sind auf einem USB-Stick im Raumschiff verstaut. | |
| Wolkendecken: Seine Kernklientel sind Raucher, die spätabends auf dem | |
| Balkon in den Nachthimmel starren. Die stoßen dann entweder direkt auf | |
| Hansjürgen Köhler oder werden von Polizei, Planetarium, sogar der | |
| Europäischen Raumfahrtbehörde (ESA) an ihn verwiesen. Köhler hat sich einen | |
| Namen gemacht, selbst in Norwegen kennt man ihn. Als Forschende von der | |
| Inselgruppe Lofoten ein merkwürdiges weißes Gebilde zwischen Polarlichtern | |
| entdecken, rufen sie bei der ESA in Darmstadt an und kriegen dort Köhlers | |
| Nummer. Der kann ihnen dann sagen, dass eine „Atlas“-Rakete Satelliten über | |
| Europa ausgesetzt und im Anschluss eine Bremszündung ausgelöst haben muss. | |
| In sternenklaren Nächten lassen sich solche Phänomene gut beobachten, | |
| Köhler findet Schietwetter deshalb gar nicht so schlimm. Dann ist die See | |
| rau und sein Handy auch mal still. | |
| 26 Nov 2022 | |
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| Leonie Gubela | |
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