# taz.de -- Gewalt gegen Geflüchtete in Kenia: Leere Versprechen | |
> Viele LGBTIQ-Menschen verlassen Uganda und fliehen nach Kenia. Auch dort | |
> erfahren sie homofeindliche Gewalt. Ihre Proteste werden bislang kaum | |
> gehört. | |
Bild: Queere Geflüchtete beim Protestmarsch zum Büro des UNHCR in Kenia im Ja… | |
KAMPALA taz | „Ich bin so erschöpft“, sagt Juliet Wabule, dann fängt sie … | |
zu schluchzen. Die 45-jährige Uganderin sitzt in Kenias Flüchtlingslager | |
Kakuma vor ihrem Laptop und berichtet per Video der taz von der | |
„hoffnungslosen Lage, in der wir uns hier befinden.“ Ihr ist der Stress der | |
vergangenen Jahre deutlich anzusehen. „Jetzt werden wir hier auch noch | |
geschlagen und verhaftet“, sagt sie. Die Homophobie in Kenias Lager sei | |
schlimmer als die in ihrer Heimat Uganda. | |
Wie so viele ugandische Homosexuelle hat Wabule ihr Heimatland vor drei | |
Jahren verlassen. Bereits 2013 hat Ugandas Parlament ein Gesetz | |
verabschiedet, das zunächst die Todesstrafe und später lebenslange | |
Haftstrafen für Schwulen und Lesben vorsah. Nach heftiger internationaler | |
Kritik erklärte das Verfassungsgericht 2014 das Gesetz für nichtig. Vom | |
Tisch ist es deswegen jedoch noch lange nicht. 2021 verabschiedete das | |
Parlament ein ähnliches Gesetz. Dieses Mal sieht es „nur“ fünf Jahre Haft | |
für gleichgeschlechtliche Beziehungen vor und nicht mehr lebenslänglich. | |
Ugandas Präsident Yoweri Museveni muss es noch unterzeichnen, damit es in | |
Kraft treten kann. | |
Es hänge nun in der Luft wie ein Damoklesschwert, so Frank Mugisha, | |
Vorsitzender der ugandischen NGO Smug, die sich in Uganda für die | |
Interessen von Homosexuellen einsetzt. „Es ist ein weiteres Gesetz, das von | |
Strafverfolgungsbehörden genutzt wird, um LGBTIQ-Leute zu belästigen, zu | |
erpressen und zu verhaften“, sagt er. Für ihn ist das neue Gesetz ein | |
Ablenkungsmanöver, das von der Regierung gezielt genutzt wird, um von den | |
politischen und gesellschaftlichen Krisen abzulenken. | |
2021 war Wahljahr, und Ugandas Opposition wurde gefoltert und drangsaliert | |
– die politische Debatte drehte sich aber um das sogenannte | |
Anti-Schwulen-Gesetz. Dabei sind gleichgeschlechtliche Beziehungen in | |
Ugandas Strafesetzbuch bereits durch die britischen Kolonialherren verboten | |
worden. Für eine weitere Verschärfung sieht Mugisha deswegen überhaupt | |
keinen Anlass. | |
## Festsitzen in der Wüste | |
Selbst wenn das neue Gesetz noch nicht in Kraft ist, sind in den | |
vergangenen Jahren ein Großteil der schwulen und lesbischen Menschen aus | |
Uganda geflohen. Einige haben in Europa Asyl erhalten, in den Niederlanden | |
oder auch in Deutschland. Doch die Reise dorthin ist lang und teuer, die | |
Wahrscheinlichkeit für einen Asylantrag gering. Die meisten suchen daher in | |
den Nachbarländern Schutz, [1][vor allem in Kenia]. Sie enden dann wie | |
Wabule im Flüchtlingslager Kakuma, im heißen Nordwesten des Landes. „Wir | |
sitzen hier seit Jahren tatenlos in der Wüste fest“, berichtet die Mutter | |
von drei Kindern. „Andere Geflüchtete bekommen einen Flüchtlingsstatus und | |
erhalten dann Hilfe von internationalen Organisationen“, so Wabule. „Die | |
kenianischen Behörden weigern sich, unsere Fälle zu bearbeiten.“ | |
Dahinter vermutet Wabule politische Taktik. Kenias derzeitiger Präsident | |
William Ruto ist ähnlich wie sein Vorgänger mit Ugandas Präsidentenfamilie | |
eng befreundet. In Uganda ist vor allem die in der Regierung einflussreiche | |
Präsidentengattin Janet Museveni eine Verfechterin der harschen Gesetze | |
gegen LGBTIQs. Als streng religiöse Bildungsministerin hat Museveni den | |
Hass auf Homosexuelle in Ugandas konservativer Gesellschaft befeuert, indem | |
sie ihnen vorwarf, Kinder und Jugendliche in den Schulen zur Homosexualität | |
zu „rekrutieren“. Sie verbot auch jeglichen Sexualkundeunterricht in | |
Uganda, um das Thema gleichgeschlechtliche Sexualität gänzlich zu | |
unterbinden. Dies führt bis heute zu [2][hohen Zahlen ungewollter | |
Schwangerschaften unter ugandischen Mädchen]. | |
Nationale und internationale NGOs kritisieren Uganda dafür – erfolglos. | |
Denn obwohl die Anti-Schwulen-Gesetze nie in Kraft traten, ist Ugandas | |
Gesellschaft extrem homofeindlich. Die Homophobie reiche bis in die eigene | |
Familie, berichtet Wabule. Sie hat dies selbst erlebt. Ihre | |
Fluchtgeschichte ist beispielhaft für viele lesbischen und schwulen | |
Menschen Ugandas. | |
## Wie eine Sprecherin der LGBTIQ-Geflüchteten | |
„Die Familie meines Mannes hat mir meine Tochter weggenommen, damit, wie | |
sie es sagen: ich ihr nicht beibringe lesbisch zu sein“, sagt sie. „Mein | |
Vater ist Pfarrer, und als er erfuhr, dass ich mit meiner besten | |
Schulfreundin ein Verhältnis habe, hat er mich verstoßen“, sagt sie und | |
weint. Sie sei als 17-Jährige von der Schule geflogen, hätte nie ihren | |
Abschluss machen können. Nach Jahren heimatlos auf der Straße in Ugandas | |
Hauptstadt Kampala habe dann ihre Tante beschlossen, sie mit einem | |
muslimischen Mann zu verheiraten. | |
„Von ihm habe ich die drei Kinder“, sagt sie. Doch dann starb ihr Mann | |
überraschend an Lungenversagen. „Noch in der Trauerphase erwischte mich der | |
Vater meines verstorbenen Mannes im Bett mit meiner Freundin“, sagt sie. | |
Daraufhin musste sie fliehen. „Ich wusste, ich werde nirgendwo in Uganda | |
mehr sicher sein“, sagt Wabule. Sie hatte keine Wahl und floh ins | |
Nachbarland Kenia. | |
Wie so viele ugandische LGBTIQs ist sie seither im Lager Kakuma gestrandet. | |
Denn ohne genehmigtes Asyl dürfen Geflüchtete in Kenia die Lager nicht | |
verlassen und auch nicht arbeiten. Sie haben auch kein Anrecht auf | |
Hilfslieferungen oder Bildungsangebote wie vom UN-Flüchtlingshilfswerk | |
UNHCR. Sie werden zudem von anderen Flüchtlingen im Lager regelmäßig | |
angegriffen und drangsaliert. Im April 2021 starb ein 22-jähriger schwuler | |
Mann aus Uganda an seinen Verbrennungen, als die Baracke, in welcher die | |
rund 300 Menschen aus Uganda untergekommen sind, angezündet wurde und | |
niederbrannte. „Viele unserer Leute haben sich deswegen aus dem Staub | |
gemacht“, berichtet Wabule. Sie ist seither quasi Sprecherin der | |
LGBTIQ-Flüchtlinge in Kakuma. „Sie laufen zu Fuß in den Sudan und dann | |
weiter zum Mittelmeer.“ | |
Damit sich ihre Situation in Kakuma verbessert, demonstrieren die | |
Geflüchteten regelmäßig. So auch vergangenen Mittwoch. „Wir verlangen von | |
der UNHCR, dass sie uns in ein anderes Lager verlegen oder uns beschützen“, | |
erklärt Wabule. Um ihre Forderungen, die sie per E-Mail eingereicht hatten, | |
zu untermauern, starteten sie einen Protestmarsch vom Lager zum nahe | |
gelegenen UNHCR-Büro. Doch unterwegs wurden sie von der kenianischen | |
Polizei gestoppt: „Sie haben uns geschlagen und mit Tränengas besprüht“, | |
sagt Wabule. „Wir sind davongerannt“. | |
Doch nicht allen war die Flucht gelungen. 15 Männer und fünf Frauen seien | |
festgenommen und auf das lokale Polizeirevier gebracht worden, erzählt sie. | |
Wabule hat ihre Mitstreiter dort am nächsten Tag in der Zelle besucht. „Der | |
Lager-Manager und die Polizisten waren so wütend auf uns. Doch wir haben | |
ein Recht darauf zu demonstrieren, wie in jedem zivilisierten Land auch.“ | |
Auf taz-Anfrage antwortete UNHCR in Kenia am Donnerstag mit einer | |
Pressemitteilung: „Die Demonstranten wurden von der Polizei aufgefordert zu | |
gehen, da ihr Protest nicht offiziell genehmigt war.“ Und weiter: „Die | |
Situation eskalierte und ingesamt wurden 18 Personen verhaftet und | |
abgeführt.“ Anders als bei Twitter zu lesen sei, sei jedoch keine Person | |
verletzt worden. Das UN-Flüchtlingshilfswerk versichert, dass es sich dafür | |
einsetze, dass alle Geflüchteten und Asylbewerber in Kenia, inklusive die | |
LGBTIQs, „mit dem bestmöglichen Schutz und Hilfe auf fairer und | |
gleichberechtigter Basis“ behandelt werden. Kenias nationale | |
Flüchtlingsagentur sowie die Polizei schweigen sich über den Vorfall aus. | |
Wabule rollt in Anbetracht der UNHCR-Erklärung mit den Augen. „Die | |
kenianischen Behörden haben uns jetzt versprochen, dass sie unsere Anträge | |
innerhalb einer Woche bearbeiten“, berichtet sie. Dieselben Versprechen | |
wurden bereits nach den vergangenen LGTB-Protesten in Kakuma gemacht. „Doch | |
wir haben keine Hoffnung mehr“, folgert sie. „Wir werden einfach weiter | |
protestieren“, sagt sie und klingt resigniert: „Um weiter geschlagen zu | |
werden.“ | |
30 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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