# taz.de -- Cellistin über Weltraum-Kunstprojekt: „Das sind große Themen“ | |
> Musik, Tanz und Astrophysik: Cellistin Martha Bijlsma über das | |
> Kunstprojekt „Farfarout“, das jetzt in Hildesheim und Hannover aufgeführt | |
> wird. | |
Bild: Weit entferntes Objekt von Interesse: So könnte der Planetoid mit Spitzn… | |
taz: Martha Bijlsma, haben Sie – oder tun Sie es vielleicht immer noch – je | |
davon geträumt, [1][in den Weltraum] zu reisen? | |
Martha Bijlsma: Das ist eine gute Frage. Ich habe da, ehrlich gesagt, | |
vorher nie drüber nachgedacht. Aber jetzt, wo wir mit diesem Projekt | |
angefangen haben, kann ich mir das vorstellen. Gleichzeitig macht es mir | |
aber auch Angst, weil das Universum so überwältigend unendlich ist. | |
Was uns hier zusammenbringt, ist das erwähnte Projekt: ein | |
interdisziplinärer Abend, Musik, Tanz, aber auch harte Wissenschaft – eben | |
zum Weltraum. Sie haben die Arbeit daran sicher mit bestimmten | |
Vorstellungen und Ideen im Kopf. Hat Sie die tatsächliche Vorstellung mit | |
dem Weltraum dann überrascht? Ihr Bild davon verändert? | |
Ich glaube, am meisten überrascht war ich davon, wie nah das Thema der | |
Kunst ist. Ich hatte, ehrlich gesagt, ein bisschen Sorge: ob das wirklich | |
zusammenkommt? Und dann auch noch mit einem echten Astrophysiker … | |
… [2][Francisco Colomer]. | |
Das klingt erst mal sehr scary. Das sind große Themen – aber auch Themen, | |
die uns alle angehen: Wie gehen wir mit unserem Planeten um? Das sind | |
Fragen, die uns bewegt haben, die wir nicht beantworten, aber stellen. | |
Sie sind Musikerin – gibt es eine mir vielleicht unbekannte Verbindung | |
[3][zwischen Musik und dem Weltraum]? Immerhin ist Musik ja auch nur | |
Physik, wenn wir genau genug hinsehen. | |
Was wir mehr untersucht haben, wessen wir uns mehr bedienen, sind eher | |
philosophische Fragen. Der Astrophysiker ist wirklich eng eingebunden in | |
das Projekt: Er spricht am Anfang des Konzerts über die Entstehung des | |
Universums, über die expansive und ständige Bewegung des Sonnensystems. | |
Eigentlich also darüber, dass wir nie alles wissen werden, aber ständig | |
suchen; dass wir selten merken, wie schnell wir uns bewegen und was da | |
alles passiert um uns herum. | |
„How fast do I travel when I sit still“: So ist der Abend überschrieben. | |
Das haben wir versucht als Inspiration zu nehmen. Ich glaube, derlei lässt | |
sich nicht eins zu eins künstlerisch umsetzen. Aber abstrakt kann man sehr | |
gut arbeiten mit dieser Idee: Auch in der Musik und in der Bewegung selbst | |
gibt es die Dualität von Bewegung und Ruhe, davon dass etwas geschieht – | |
oder eben nicht. | |
Text steuert nur Herr Colomer bei, die Musik ist rein instrumental, oder? | |
Es gibt so etwas wie eine wissenschaftliche Einleitung vorneweg, damit das | |
Publikum vielleicht mit etwas anderen Ideen, neuen Perspektiven auf die | |
Performance schaut. Was da dann passiert, ist ziemlich abstrakt: Die | |
Choreografin … | |
… Emilia Benitez … | |
… hat sich wirklich beschäftigt mit Mikro- und ganz großen Bewegungen, | |
Explosionen und solchen Sachen. Wir Musiker sind ja ein bisschen stationär, | |
so als Klavierquartett. Inwieweit sind wir trotzdem Teil der Choreografie | |
und können wir uns – miteinander – bewegen? Francisco Colomer wird während | |
der Performance noch mal zurückkehren und ein paar Texte in den Raum | |
werfen. Und am Ende geben wir kleine Feedbackkarten aus, sodass das | |
Publikum auch Ideen oder Fragen einspeisen kann. Und es gibt dann noch die | |
Möglichkeit zu einem Gespräch. | |
Die Premiere von „Farfarout“ haben Sie ja schon hinter sich. | |
Ja, das war am 11. November in Pamplona. | |
Haben die Leute da Fragen gestellt – und wenn ja, welche? | |
Wir hatten nicht die Gesprächsform, aber Karten tatsächlich. Da kamen viele | |
sehr persönliche Reflexionen, also etwa die Idee, dass wir so klein sind, | |
dass unser Planet so klein ist – im Vergleich mit dem Universum. Und die | |
Überlegung: Wie wir mit der Erde umgehen, das ist doch sehr problematisch. | |
Ein kurzer Blick auf die Musik: Es stehen zwei Uraufführungen auf dem | |
Programm, von Sergio Luque und Gordon Williamson. Daneben werden drei | |
Komponist*innen genannt mit existierenden Stücken. Wie kam dieses | |
Programm zustande? | |
Zum einen ging es darum, ein bisschen Platz zu haben für den Tanz, die | |
Choreografie. Es sollte nicht alles für Klavierquartett geschrieben sein. | |
Deshalb nun ein Stück für Solo-Violine von Yūji Takahashi: Das sind | |
wirklich Fragmente. Der hat ein paar Takte geschrieben, auf die man eigene | |
Ideen spielen kann, wenn es passt, sozusagen. Und wir dachten, dass das | |
sehr gut passen könnte, wenn wir verteilt da im Raum sind. Auch weil die | |
Möglichkeit zu improvisieren gegeben ist, auch zusammen mit den Tanzenden. | |
Und wir können das Timing selbst bestimmen. Von Morton Feldman spielen wir | |
das Stück „Four Instruments“, das viel mit Stille zu tun hat, da passiert | |
an der Oberfläche nicht viel – aber weil man dadurch die Möglichkeit hat, | |
das Wenige, die Details zu hören, ist das eine spannende Erfahrung. Dafür | |
setzen wir uns weit auseinander. Und dann von Snežana Nešić noch ein sehr | |
emotionales Stück, das mit der Sonne zu tun hat: ein Poem über die Sonne. | |
Wir haben bemerkt, dass es darin mehrere improvisierte, improvisatorische | |
Momente gibt, es kommt aber alles jedes Mal wieder zurück zu so einem | |
harmonischen Teil. | |
Mit [4][Gordon Williamson], der ja in Hannover lebt und arbeitet, haben Sie | |
schon öfter zusammengearbeitet, oder? | |
Ja, genau. Nun spielen wir eine Ouvertüre von ihm, die haben wir auch schon | |
mal aufgenommen. Er arbeitet unter anderem mit dem E-Bow im Klavier. | |
Ein kleines Gerät, das die Saiten elektromagnetisch ins Schwingen bringt, | |
was ganz anders klingt, als wenn sie mit dem Hammer angeschlagen werden: | |
stehender, flächiger. | |
Es kommen also ganz fremdartige Klänge zum Einsatz, beinahe wie aus einer | |
anderen Welt. Wir haben natürlich auch überlegt, was sich gut für den Tanz | |
eignet, und da gibt es viele sehr explosive Momente – wie es sie natürlich | |
auch um Universum gibt. Und dann wieder, ja, Klangflächen. | |
Teil des Selbstverständnisses Ihres Ensembles ist es, immer wieder nach | |
neuen Wegen der Vermittlung zu forschen. Dafür ist dieser Abend – mit einem | |
Wissenschaftler, den spanischen Kolleg*innen – sehr repräsentativ, oder? | |
Auf jeden Fall. Wir versuchen immer, [5][die Grenzen zwischen Publikum und | |
Musiker*innen] zu erspüren, damit zu experimentieren. Hier ist das noch | |
mal auf eine andere Ebene gehoben, weil die Wissenschaft ins Spiel kommt; | |
eine Beteiligung des Publikums ist aber auch wieder Teil dieser | |
Performance. Für uns ist dieses Projekt durchaus neu, aber auch etwas, das | |
uns schon lange interessiert. | |
26 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Weltraumforschung/!t5023346 | |
[2] https://www.jive.eu/colomer | |
[3] /Kompositionslehrer-ueber-Weltraum-Oper/!5885549 | |
[4] https://www.hmtm-hannover.de/de/hochschule/personen/t-z/gordon-williamson/ | |
[5] /Wanderkonzert-in-Hannover/!5838138 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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