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# taz.de -- US-Linke bei den Midterms: Make America Left Again
> Bei den Midterms haben die Demokraten besser abgeschnitten als erwartet.
> Warum das Ergebnis auch ein Erfolg der amerikanischen Linken ist.
Bild: Greg Casar wurde in Texas gewählt
Was ist die Geschichte dieser Midterms? Es gibt viele: Die rote Welle der
Republikaner blieb bei den US-Kongresswahlen aus, auch weil einige von
Donald Trumps Kandidaten schwächelten. Trotzdem werden dem
Repräsentantenhaus bald noch mehr Republikaner angehören, die sich hinter
Trumps Lüge von der gestohlenen Präsidentschaftswahl stellen.
Die Demokraten haben voraussichtlich die Mehrheit in mindestens einer
Kammer des Kongresses verloren, aber insgesamt besser abgeschnitten als
gedacht. Inflation und Abtreibungsrechte waren die dominierenden Themen der
Wahlen, an denen so viele junge Menschen teilnahmen wie lange nicht mehr.
Schaut man etwas genauer hin, gibt es Entwicklungen, die Hoffnung machen.
Vieles spricht dafür, die Midterms auch als einen Erfolg der US-Linken in
der Demokratischen Partei zu bezeichnen. An zahlreichen Orten wurden
nämlich gerade offensiv-emanzipatorische Kampagnen mit positiven
Ergebnissen belohnt.
Ein Beispiel ist der Wahlkampf von Summer Lee, die im 12. Wahlbezirk
[1][von Pennsylvania, in Pittsburgh und Umgebung, das Rennen für sich
entscheiden konnte]. Lee trat mit einer klaren Vision an, die einzelnen
Punkte hat sie immer wieder betont: eine staatliche Krankenkasse für alle,
ein [2][Green New Deal], eine Reform des Justizsystems, Stärkung der
Gewerkschaften.
## „Lasst uns weitermachen!“
Radikal kann man solch ein Programm nennen oder eben vernünftig, angekommen
in der Realität. Von einer Mehrheit der US-Bevölkerung werden die
Forderungen, mit denen Lee antrat, laut Umfragen jedenfalls schon länger
unterstützt.
Ein ganzes Jahr dauerte Lees Wahlkampf. Sie musste es zunächst in den
Vorwahlen der Demokraten mit einem konservativen Parteigenossen aufnehmen,
den das Partei-Establishment unterstützte. Ein umkämpftes Rennen, das sie
knapp gewann. In den Hauptwahlen traf die 34-Jährige dann auf den
Republikaner Mike Doyle, einen Hardliner, der Abtreibungen kriminalisieren
und Immigration aufhalten will.
Lee kämpfte aber nicht allein. Unterstützt wurde sie von progressiven
Organisationen wie den Justice Democrats, der Working Families Party und
dem Sunrise Movement, die ihre Mitglieder zur Mobilisierung von Tür zu Tür
schickten. Der große Aufwand war vor allem deshalb nötig, weil Lee eine
Reihe konservativer Lobbygruppen mit reichlich Kapital gegen sich hatte,
Gruppen, die vieles wollten, aber sicher keine linke Schwarze Frau im
Parlament.
Im Januar wird Lee nun ins Repräsentantenhaus in Washington einziehen. „Wir
haben gezeigt, wie eine echte Bewegung der Arbeiter*innenklasse in
diesem Land aussehen kann“, sagte sie am Wahlabend. „Lasst uns
weitermachen! Wir können uns nicht leisten, auch nur einen Tag
freizunehmen“, fuhr sie fort. „Na gut, einen Tag schon, aber nicht zwei“,
schob sie hinterher.
## Mobilisierung von links
Eine Mobilisierung von links konnte auch in anderen Landesteilen wichtige
Erfolge feiern. In Kentucky wurde der Versuch, ein Abtreibungsverbot in der
Verfassung zu verankern, von der Mehrheit der Wähler*innen abgelehnt.
Verschiedene linke Bewegungen hatten sich dort im Vorfeld über Monate
hinweg koordiniert, konnten so genug Leute für ein Nein aktivieren. In
Kalifornien, Michigan und Vermont stimmten die Wähler*innen dafür, das
Abtreibungsrecht über die Landesverfassung zu schützen.
In Illinois wurde per Volksabstimmung eine Gesetzesänderung erreicht, die
Gewerkschaften strukturell stärkt. Das Gleiche wird für Michigan erwartet,
wo das Parlament zum ersten Mal seit 40 Jahren in die Hände der Demokraten
wechselt. Historisch auch das Resultat einer Initiative in New Mexico, die
dazu geführt hat, dass Eltern dort nun ein Recht auf kostenlose
Kleinkinderbetreuung haben. In diversen anderen Staaten wurde Marihuana
entkriminalisiert und der Mindestlohn angehoben.
Haben die Leute eine Chance, direkt über konkrete Inhalte zu entscheiden,
das wurde bei diesen Midterms deutlich, wird diese Chance oft
emanzipatorisch genutzt. Dazu kommt, dass dort, wo Kandidat*innen mit
einem glaubwürdigen, mutigen Programm für mehr soziale Gerechtigkeit
angetreten sind, meist Siege herauskamen. Summer Lee ist nur einer von
vielen Namen, die man im Kopf behalten sollte.
## Namen, die man sich merken sollte
Da wäre [3][Greg Casar], 33 Jahre alt und Sozialist, der in seinen Jahren
im Stadtrat von Austin als Stimme für Arbeiterinnen- und Mieterrechte
aufgefallen war und nun für Texas ins US-Repräsentantenhaus ziehen wird.
Da wäre [4][Delia Ramirez], 39, die aktuell noch im Parlament von Illinois
sitzt und davor jahrelang für wohnungslose Menschen gekämpft hat. Sie wurde
ebenfalls neu in den Kongress gewählt.
Und da wäre [5][Maxwell Frost], Jahrgang 1997 und bis vor Kurzem
Uber-Fahrer, der in Florida als Aktivist gegen Waffengewalt bekannt
geworden ist und nun als erster Vertreter der Generation Z in Washington
Politik machen wird.
Diese vier werden den sogenannten Squad erweitern, wie sich die kleine
Fraktion linker Abgeordneter um [6][Alexandria Ocasio-Cortez] nennt, von
denen alle bei den Midterms wiedergewählt wurden. Zusammen mit den wenigen
linken Senatsmitgliedern, insbesondere natürlich Bernie Sanders, bilden sie
eine Kraft, die zwar auch innerhalb der Demokratischen Partei weiterhin
klein ist, aber mit jeder Wahl wächst.
Wenn es eine Hoffnung auf Neuorientierung der Demokratischen Partei gibt,
dann ist es dieser Flügel, sagt der Soziologe [7][Jonathan Smucker], der
sich mit sozialen Bewegungen beschäftigt. Während die Demokraten viel zu
lange Politik „für wohlhabende Leute in den Vororten“ gemacht hätten, sei
durch den Squad deutlich geworden, was die Partei mal war und auch wieder
sein könnte: „Eine Partei, die sich an den Bedürfnissen von normalen
arbeitenden Menschen orientiert“, sagt Smucker, der sich in Pennsylvania
für die Demokraten im Wahlkampf engagierte.
## Freier, zukunftszugewandter, lustvoller
In den großen Medien wurden bislang vor allem die Biografien der neuen
linken Kongressmitglieder betont: Sie sind unter 40, nicht-weiß und kommen
aus Familien mit Einwanderungsgeschichte. Politisch bedeutsamer ist
allerdings, dass Lee, Casar, Ramirez und Frost sich mit einer Agenda
durchgesetzt haben, die sich vom Mainstream der Partei klar unterscheidet.
Sie verfolgen eine Politik, die freier ist, da von Unternehmensspenden
unabhängig, zukunftszugewandter, weil der Klimawandel ihr ganzes Handeln
rahmt, lustvoller, was man in der Kommunikation und den Kampagnen spürt,
und ja, in dem Sinne auch radikaler, weil sie nicht nur Symptome
abschwächt, sondern die materiellen Lebensbedingungen der Menschen
dauerhaft verändern will.
Darauf angesprochen, dass Texas ein Bundesstaat der Republikaner sei, sagte
Greg Casar in einem TV-Interview in der Wahlnacht: „Texas ist kein roter
Staat, es ist ein unterorganisierter Staat.“ Marxistische Analyse ist
dieser Generation spürbar lieber als moralische Distinktion.
Verfolgt man die linken Wahlerfolge der vergangenen Jahre zurück, zeigt
sich eine entscheidende Dynamik. Die einzelnen Kandidaturen wurden von
Anfang an von außerparlamentarischen Organisationen unterstützt.
Beeindruckend ist vor allem die Bilanz der [8][Justice Democrats], 2017 von
Aktivist*innen aus dem Bernie-Sanders-Team gegründet, die sich in jedem
Wahljahr auf eine Handvoll Kandidat*innen konzentrieren und diese
strategisch und finanziell begleiten. Ohne die Justice Democrats würde es
den Squad nicht geben.
## „Das Terrain weniger feindlich gestalten“
Breiter in der Masse und lokal verankerter wirken die [9][Democratic
Socialists of America], kurz DSA, die seit 2016 von unter 10.000 auf knapp
100.000 Mitglieder gewachsen sind. Bei den diesjährigen Midterms seien 77
Prozent der unterstützten Kandidat*innen erfolgreich gewesen, sagt
Kristian Hernandez, die im texanischen Dallas wohnt und Teil des
Vorstandes der DSA ist. „Wir sind mittlerweile besser in der Führung von
Wahlkämpfen.“
Immer deutlicher sei in den vergangenen Jahren aber auch geworden, dass man
sich nicht nur dort einmischen dürfe, wo es bereits linke Strukturen und
Aussicht auf baldigen Erfolg gibt. „Wir haben eine Verantwortung als größte
sozialistische Organisation“, sagt Hernandez. Manchmal gehe es schlicht
darum, „das Terrain weniger feindlich zu gestalten“.
Sie meint die Bundesstaaten, in denen Republikaner an der Macht sind und
immer gezielter demokratische Mechanismen außer Kraft setzen. „Minority
rule“ nennt sich das: autoritäre Regierungen, die über den Willen der
Wählenden hinweg entscheiden. Allein an dieser Konstellation zeigt sich:
Die Bedingungen für linke Politik in den USA sind immer noch prekär.
12 Nov 2022
## LINKS
[1] https://whyy.org/articles/pennsylvania-election-2022-summer-lee-congresswom…
[2] /US-Linke-praesentieren-Green-New-Deal/!5571582
[3] https://www.casarforcongress.com/
[4] https://www.deliaforcongress.com/
[5] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/florida-frost-gen-z-kongress-usa-mid…
[6] /Linke-bei-den-US-Demokraten/!5744813
[7] https://jonathansmucker.org/
[8] https://justicedemocrats.com/
[9] https://www.dsausa.org/
## AUTOREN
Lukas Hermsmeier
## TAGS
USA
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