# taz.de -- Traditionssegler in Not: Noch lebt die Zuversicht | |
> Dem Traditionssegler „Zuversicht“ des Kieler Vereins Jugendsegeln droht | |
> die Kettensäge. Für eine Sanierung fehlt dem Verein das Geld. | |
Bild: Die „Zuversicht“ als sie noch im Wasser lag | |
Kiel taz | Die „Zuversicht“ lebt. Gerade aber vor allem in den Köpfen ihrer | |
Segler:innen. Die beiden hölzernen Masten stehen nicht mehr; wo einst das | |
Steuerrad war, lässt sich bloß erahnen; und hier wie da kann man nun durch | |
den fast 120 Jahre alten Rumpf aus massiver Eiche gucken. Nur wo die | |
Herbstsonne über der Ostsee auf das Heck scheint und in großen Lettern | |
„Zuversicht“ steht, zeigt sich noch ein wenig der Glanz der alten Tage. | |
Sie ist heute einem Wrack näher als einem Segelschiff, das soll so. Denn | |
nun ist alles vorbereitet, in mühevoller, ehrenamtlicher Kleinarbeit. | |
[1][Die Kernsanierung des einst legendären Schoners], sie könnte jederzeit | |
beginnen. Sogar neues Holz ist bereits da. Einst holte das Schiff Steine | |
für den Hafenbau vom Grund der Ostsee. Nun liegt sie aufgebahrt in der | |
Kieler Rathje-Werft. | |
Sie ist nicht nur die Zeugin [2][einer jahrhundertealten maritimen Kultur] | |
und eine der letzten Angehörigen frachttragender Berufsschifffahrt auf der | |
Ostsee aus jener Zeit. Der Traditionssegler dient auch schon seit 1980 als | |
segelnde Jugendbildungsstätte: An Bord haben viele Menschen vieles etwa | |
über Klimawandel und Meeresschutz gelernt, über den eigenen ökologischen | |
Fußabdruck. Und über sich selbst. „Alleine läuft auf so einem Segelschiff | |
gar nichts“, sagt die Pädagogin Betina Bewarder, [3][stellvertretende | |
Vorsitzende des Vereins „Jugendsegeln“], die die „Zuversicht“ betreibt. | |
„Miteinander zu arbeiten und füreinander da zu sein: das lernt man hier.“ | |
Es ist das, was was man heute Teambuilding nennt und Personaler als „Soft | |
Skills“ in ihren Stellenausschreibungen einfordern. Sie zu lernen, das | |
funktioniert auf einem solchen Traditionssegler zuverlässig auch bei | |
solchen Jugendlichen, die als „sozial schwach“ gelten und mit einer | |
„Scheißegal-Haltung“ aufs Schiff kommen, sagt die [4][Skipperin Meike | |
Holland, die im Hauptberuf Coach] ist. | |
Dann erzählt sie von einem Mitsegler, der trotz seiner Höhenangst in den | |
Mast klettern wollte und glücklich wurde. „Er kam als komplett anderer | |
Mensch wieder herunter.“ Und von einem Schüler, allein am Steuer des 30 | |
Meter langen Schiffes mit 260 Quadratmeter Segelfläche: „Er wuchs richtig!“ | |
## Viel Geld ist nötig | |
Vieles spricht also dafür, die „Zuversicht“ der Nachwelt zu erhalten. Aber | |
wenig dafür, dass es wirklich passiert. Das liegt natürlich am Geld. Und | |
ja, die 2,5 Millionen Euro, die es laut Gutachter nun braucht, um das | |
Schiff wieder seetüchtig zu machen, die klingen nach echt viel. Es müssen | |
viele tragende Teile der größtenteils noch originalen Konstruktion ersetzt | |
werden, auch in den Motor, die Elektrik und die Schiffssicherheit muss man | |
investieren. | |
Am Anfang war mal von einer halben Million Euro die Rede, und das war schon | |
zu viel für ein Projekt, das etwa 115.000 Euro im Jahr erwirtschaftet. Mit | |
der Zeit wurde dann immer klarer, wie tief man in die Struktur des Schiffes | |
würde eingreifen müssen, um es zu retten. Das kostet. | |
2,5 Millionen: „Die Zahl hat uns schockiert“, sagt Fundraiserin Sonja | |
Endres. Denn der jährliche Etat für Instandhaltungsarbeiten des 150 | |
Mitglieder zählenden Vereins liegt bei 65.000 Euro. Aus eigener Kraft ist | |
die Sanierung also nie zu stemmen. Dabei haben sie in den letzten beiden | |
Jahren, in denen das Schiff schon nicht mehr segelte, fast eine halbe | |
Million Euro bei Stiftungen eingeworben. Hinzu kommen 70.000 Euro aus | |
Spenden und Crowdfunding und weitere 445.000 Euro, die fließen würden, wenn | |
der Verein das restliche Geld beisammenhätte. Bleibt eine Lücke, die 1,6 | |
Millionen Euro groß ist. Das klingt immer noch nach sehr viel Geld. | |
Die Alternative: Das Schiff wird abgewrackt. Also zersägt. Mit der | |
Kettensäge. Wromm, wromm, wrommmmm! | |
Darüber will im Verein aber keiner so recht reden. Und sie haben sich auch | |
noch keine Deadline gesetzt. Der Name des Schiffes, er soll Programm sein. | |
Es zu vernichten? „Das ist die allerletzte Option“, sagt Sonja Endres. Etwa | |
5.000 Traditionsschiffe gibt es heute noch in Europa, sagt ihr Dachverband, | |
davon etwa 100 in Deutschland. Vor zehn Jahren waren es noch 120. | |
## Anderen Seglern wurde geholfen | |
[5][Natürlich könnte der Bund der „Zuversicht“ helfen.] Dann wäre diese | |
Geschichte hier zu Ende. Und, ja, der Steuerzahler gibt viel Geld aus für | |
alte Segelschiffe. Man denkt an die ebenso unwirtschaftlich wie | |
detailgetreu restaurierte „Gorch Fock II“ von 1958; die Bundeswehr durfte | |
[6][135 Millionen Euro] dafür ausgeben. Oder an den Viermaster „Peking“, | |
einen Frachtsegler, einst eines der größten Segelschiffe der Welt. 120 | |
Millionen Euro investierte der Bund in die Restaurierung und das neue | |
Hamburger Hafenmuseum drum herum. Segeln kann sie heute nicht mehr. | |
Dann ist da noch die schifffahrtshistorisch belanglose „Seute Deern“, die | |
2019 im Hafen des Deutschen Schifffahrtsmuseums in Bremerhaven unterging, | |
nachdem sich dort jahrelang nie so recht jemand um sie gekümmert hatte. | |
Weil sie ein Wahrzeichen der chronisch sich zumindest vernachlässigt | |
fühlenden Stadt war, organisierte der örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete | |
Uwe Schmidt dank seiner Kontakte in der Bundespolitik über 40 Millionen | |
Euro für einen Nachbau. Der wird höchstens aus Stahl sein können und nicht | |
aus Holz, so wie das Original. Und wahrscheinlich wird am Ende eh ein ganz | |
anderes Schiff nachgebaut, das nicht wird segeln können, aber zu Lebzeiten | |
mal was mit Bremerhaven zu tun hatte. | |
Ob so ein Traditionsschiff gerettet wird oder nicht, ist bisweilen vor | |
allem eine Frage der guten Beziehungen. Herr Schmidt hat sie. Gerade | |
beschaffte er aus dem Etat der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien | |
(BKM) weitere 2 Millionen Euro für die Sanierung der „Grönland“ von 1867, | |
des ältesten deutschen Polarforschungsschiffs. [7][„Der Bund übernimmt | |
Verantwortung und bekennt sich ein weiteres Mal zum maritimen Erbe in der | |
Seestadt“,] wurde Schmidt hernach zitiert. | |
Anderswo funktioniert das ähnlich. So hat die Bundestagsabgeordnete Anna | |
Kassautzki (SPD) bei der Bundesregierung gerade 13,5 Millionen Euro | |
eingeworben, für die Erhaltung des [8][Stralsunder Segelschulschiffs „Gorch | |
Fock I“]. Das ist die ältere Schwester jener Bark, die wir heute noch als | |
Marine-Schulschiff kennen und mit zehnmal mehr Geld gerettet haben. Sie | |
segelt nur nicht mehr und dient inzwischen als Museum an der Ostsee. Das | |
Geld für sie kommt aus dem Programm „Kulturinvest“, mit dem der Bund in | |
diesem Jahr 40 Millionen Euro für Kultureinrichtungen ausgibt. | |
[9][Auch Kiel hat einen SPD-Bundestagsabgeordneten. Er heißt Mathias Stein] | |
und setzt sich natürlich für die Kultur in seiner Heimatstadt, seinem | |
Wahlkreis, ein. Die Renovierung der Kunsthalle zu Kiel wird deshalb nun mit | |
knapp 19,5 Millionen Euro bezuschusst, und das Theater Kiel erhält 8 | |
Millionen Euro für die Sanierung des Opernhauses. „Für beide Anträge habe | |
ich mich in Berlin starkgemacht“, lobte sich Herr Stein jüngst: „Das ist | |
eine wichtige Stärkung für die kulturelle Infrastruktur unserer Stadt!“ | |
## Undurchsichtiges Verfahren | |
Mathias Stein kennt auch die „Zuversicht“, und Fundraiserin Endres weiß | |
freilich um das Programm „Kulturinvest“ – der Verein habe im Sommer aber … | |
spät davon erfahren, die Antragsfrist war kurz, das Verfahren | |
„undurchsichtig“, klagt Endres. Selbst beim BKM sei nicht viel zu erfahren | |
gewesen. Je weniger Leute so einen Fördertopf kennen, desto weniger ist er | |
am Ende überbucht. Das kommt den Bewerber:innen zugute, die Konkurrenz | |
ums Geld ist schließlich groß in der Kultur. | |
„Welches Schiff in Deutschland gefördert wird, hängt heute oft noch von | |
Zufälligkeiten und guten Kontakten in die Politik ab“, sagt Jan-Matthias | |
Westermann, Vorsitzender des Dachverbands der deutschen Traditionsschiffe. | |
„Das sollte nicht sein.“ | |
Ein bisschen mag die Rettung der „Zuversicht“ schlussendlich auch an den | |
nationalen Grenzen scheitern. Sie wurde 1905 im dänischen Nyborg gebaut, | |
fuhr zuletzt aber von Kiel aus unter deutscher Flagge. Dänemark hat zwar | |
anders als Deutschland einen Fonds, der einzelne alte Schiffe großzügig | |
fördert. Die „Zuversicht“ aber nicht. Dazu fehlen ihr die dänische Flagge, | |
ein dänischer Heimathafen und ein dänischer Eigner. | |
Den Dänen ist das Schiff also zu deutsch. Den Deutschen aber ist es zu | |
dänisch, es kommt ja nicht von hier, weswegen es bei uns auch nicht als | |
Kulturdenkmal anerkannt wird. Da hilft auch die EU nicht weiter, sagt | |
Endres – denn dazu bräuchte es eine regionale Anerkennung. „Und die kriegen | |
wir nicht.“ Der „Zuversicht“ fehle die Lobby. Und aus Nyborg kommt zwar | |
ideelle Unterstützung, doch mit Geld rettet man dort lieber das städtische | |
Schloss. | |
Im November tagt der Haushaltsausschuss des Bundestages, es wird dann wohl | |
noch mal Geld für die Kultur geben. Über das genaue Procedere konnte Endres | |
beim BKM bisher nichts erfahren, sagt sie. „Wir sind gewarnt.“ Aber einen | |
guten Tipp gab es dann doch noch aus Berlin: „Nutzen Sie Ihre Kanäle!“ | |
6 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!5737817&s=Zuversicht+jan+zier&SuchRahmen=Print/ | |
[2] https://verein-jugendsegeln.de/ts-zuversicht/historie/ | |
[3] https://verein-jugendsegeln.de/ | |
[4] http://www.kurse-und-kursbestimmungen.de/ | |
[5] /Archiv-Suche/!5737818&s=Zuversicht+jan+zier&SuchRahmen=Print/ | |
[6] https://www.yacht.de/yachten/klassiker/segelschulschiff-gorch-fock-gorch-fo… | |
[7] https://www.nord24.de/bremerhaven/bremerhaven-bund-gibt-zwei-millionen-euro… | |
[8] https://gorchfock1.de/ | |
[9] https://mathias-stein.de/2022/foerderprogramm-kulturinvest-bund-investiert-… | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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