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# taz.de -- Die Wahrheit: Flamenco der Liebe
> Die Spanien-Woche der Wahrheit: Im Herzen Sevillas erblüht eine Romanze,
> die gar nicht spanischer sein könnte.
Diese Woche hat sich die Wahrheit in all seinen großen und kleinen Aspekten
Spanien gewidmet. Denn das ehrwürdig hitzige Spanien ist in diesem Jahr
Gastland der Frankfurter Buchmesse.
Großinquisitor Don Diego de la Vega rückte seinen Sombrero zurecht. Er
hatte es auf die schwarzhaarige Carmen aus dem Camino de Cerveza abgesehen.
Sie wohnte in einem leicht verwahrlosten Wohnwagen mitten im Herzen von
[1][Sevilla], der von zottigen Pferdchen hin und her gezogen wurde, trug
oft sinneverwirrende Tücher, rauchte hervorragend am Lagerfeuer Zigarre,
tanzte dazu wie eine Araña auf Hongo und hustete so betörend, dass man das
verzaubernde Klappern ihrer zu Kastagnetten umgeschmiedeten rostigen Löffel
kaum noch wahrzunehmen vermochte. Sie liebte Goldschmuck, besaß aber
keinen, klaute wie ein Rabe und konnte wahrsagen. Großinquisitor Don Diego
de la Vega hatte das alles schon bedacht, als er sie erwählte. Monatelang
hatte er sie aus der Ferne beobachtet, bevor er ihr, zunächst unbemerkt,
nähergekommen war.
Es war während einer Semana Santa im Frühling. Das ist eine Fiesta, bei der
in Sevilla seit Jahrhunderten das ganze Jahr über alle acht Tage eine Woche
lang der frühe Tod Christi mit tanklasterweise angekarrter Sangria gefeiert
und gewürdigt wird. Immer abwechsend mit der Feria, dem Flamenco-Ereignis
der wilden Liebe! Während dieser beiden Fiestas – also ununterbrochen –
ziehen endlose Prozessionen „Vamos al Tango“ grölender und marodierender
Menschenmengen durch die altehrwürdigen Stadtmauern von Sevilla. Die
Teilnehmer, also alle Sevillaner und Sevillanerinnen, sowie alle anderen,
sind dabei mit weißen und spitzhütigen Ku-Klux-Klan-Kostümen verkleidet,
unter denen sie es so hemmungslos treiben, als wollten sie sämtliche Mauren
und Sarazenen gnadenlos neidisch machen.
## Durchgedrehte Gestalten und angebrannte Paella
Auch Großinquisitor Don Diego de la Vega und Carmen hatten sich jeweils in
ein solches Ku-Klux-Klan-Kostümgewand gehüllt. Daher tat sich
Großinquisitor Don Diego de la Vega etwas schwer damit, Carmen unter all
diesen Abertausenden, durchgedrehten Gestalten auszumachen, doch ihr
betörender Duft nach angebrannter Paella wies ihm dann doch sicher den Weg
zu ihr. Denn das Einzige, was Carmen ums Verrecken nicht konnte, war
kochen. Spülen konnte sie auch nicht, daher war ihr kleiner Wohnwagen, wenn
sie denn mal zu Hause war, von einem stetig bedrohlich anwachsenden Berg
aus muffelnden Scherben geklauten Geschirrs und Essensresten umgeben, der
ganz Sevilla langsam nervte.
Es war also während dieser besagten Semana Santa, als Großinquisitor Don
Diego de la Vega Carmen in der Menschenmenge wie zufällig anrempelte und
ihr – wie versehentlich – einen ordentlichen Kübel Sangria über das
Ku-Klux-Klan-Kostümgewand goss, welches nunmehr nicht mehr leuchtend weiß
erstrahlte, sondern eher schmuddelig aussah. „Perdón, perdón, perdón!!!“,
entschuldigte er sich wortreich und eloquent. Wäre Carmen etwas zickiger
gewesen, als sie es war, dann hätte sie Großinquisitor Don Diego de la Vega
wohl eine schallende Ohrfeige verpasst und wäre weinend nach Hause
gelaufen, um eine Trost-Paella anbrennen zu lassen. So aber versetzte sie
ihm nur einen Gancho a la mindíbula, half ihm danach wieder auf die Beine
und lud ihn in ihren Wohnwagen ein.
## Schrott oder Geschirr
Großinquisitor Don Diego de la Vega war eigentlich gar kein Großinquisitor.
Er hieß in Wirklichkeit José Eusebio Caramance y Sirloin und war Estafador
de novias, also Heiratsschwindler. Er wollte Carmen betören, ihr ewige
Liebe schwören und all sein Hab und Gut verschwenderisch für Carmen
verschleudern. Denn er hatte auf der Escuela de formación profesional por
estafadores de novias, der Berufsschule für angehende Heiratsschwindler,
nie richtig aufgepasst und oft geschwänzt, weil er ständig damit
beschäftigt war, anonyme Geldgeschenke an verarmte und vereinsamte Witwen
zu überweisen und als fingierte Lotteriegewinne zu tarnen. Doch nun wollte
er endlich ins Berufsleben einsteigen – obwohl er es nicht nötig hatte!
Sein Vater war der erste Minister des spanischen Kabinetts, und damit
unermesslich reich.
Carmen selbst war auch nicht die, die sie seit Jahren zu sein vorgab. Sie
hieß eigentlich Princesa mit Vornamen, kam aus extrem gutem Hause, hatte
eigentlich hervorragende Manieren und war die Lieblingstochter einer sehr
hochgestellten Persönlichkeit des spanischen Königshauses. Seit einer
Steuerhinterziehungskrise, die das ganze Reich erschüttert und ihre
Schwester, die Infantin, in die Verbannung getrieben hatte, versuchte sie
stets, durch Klauen etwas dazuzuverdienen. Dumm nur, dass sie immer nur
Schrott oder Geschirr klaute, alles Zeug, was sich auf dem Mercado de feria
nicht verhökern ließ.
Nun hatte die angebliche Carmen, die in Wirklichkeit Princesa hieß, den
angeblichen Großinquisitor Don Diego de la Vega, der in Wirklichkeit José
Eusebio Caramance y Sirloin hieß, also in ihren kleinen Wohnwagen im Herzen
von Sevilla, der inmitten des Berges von muffelnden geklauten Tellern und
angebrannten Pfannen immer von kleinen zottigen Pferdchen hin und her
gezogen wurde, eingeladen, um ihm dort die Karten zu legen und seine
Zukunft aus ihrer Kristallkugel zu lesen.
## Mit Mau-Mau, aber ohne Tamtam
Dort angekommen, entledigten sie sich erst mal ihrer durch Sangria
rotgetränkten Ku-Klux-Klan-Gewänder und hüllten sich zusammen in Carmens
sinneverwirrende Tücher, spielten Mau-Mau, sangen, husteten, tanzten
rauchend zum Klang der Zigarren, klapperten mit den rostigen Kastagnetten
und starrten gebannt in die Kristallkugel. Was sie dort erblickten, ließ
ihnen das Blut in den erregten und verschwitzten Leibern gefrieren: Doch
das ist eine andere Geschichte, und die soll wann anders erzählt werden.
Der weitere Verlauf des Abends wurde spektakulär. Carmen, die in Wahrheit
Princesa hieß und Großinquisitor Don Diego de la Vega, dessen echter Name
José Eusebio Caramance y Sirloin war, heuerten spontan berauscht bei der
Spanischen Armada an und erlebten in den unendlichen Weiten des
Kantabrischen Meeres als Freibeuter im Auftrage des Königs viele aufregende
Abenteuer, wegen derer sie letzten Donnerstag auf dem beliebtesten
Scheiterhaufen Sevillas ohne viel Tamburin-Tamtam und Flamenco drumherum
aufgeknüpft wurden. Und wenn sie keiner wieder abgeknüpft hat, dann hängen
sie dort noch heute. Ende.
21 Oct 2022
## LINKS
[1] /Die-Wahrheit/!5862742
## AUTOREN
Corinna Stegemann
## TAGS
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Reiseland Spanien
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Märchen
Liz Truss
Fortsetzungsgeschichte
Thriller
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