| # taz.de -- Das Atom-Machtwort von Olaf Scholz: Führen heißt positionieren | |
| > Der Kanzler hat den Konflikt zwischen Grünen und FDP zu lange laufen | |
| > lassen und sich selbst bedeckt gehalten. So hat er der Ampel Schaden | |
| > zugefügt. | |
| Bild: Entspannt abwarten reicht nicht als Kanzler. Scholz' Hände bei einer Deb… | |
| Der Kanzler, der den Ruf des Zögerers nicht los wird, hat also getan, was | |
| immer wieder von ihm verlangt wird. Er hat ein Machtwort gesprochen. Mehr | |
| als das: Er hat seine Richtlinienkompetenz ausgespielt, die letzte Maßnahme | |
| vor einer Vertrauensabstimmung im Bundestag. Ganz große Keule also, formal | |
| zumindest. In einem kurzen Brief an die drei zuständigen Minister*innen | |
| hat er mit freundlichen Grüßen angeordnet, dass alle drei verbleibenden | |
| [1][Atomkraftwerke bis Mitte April am Netz] bleiben. Das aber war ein | |
| problematischer Schritt. | |
| Natürlich ist es gut, dass der unselige [2][Atom-Streit zwischen FDP und | |
| Grünen], zwischen Christian Lindner und Robert Habeck endlich beendet ist – | |
| nicht nur, weil das Leck an Isar 2 dringend repariert werden muss, soll das | |
| AKW in den Streckbetrieb gehen. Und vermutlich haben Habeck und Lindner | |
| unter der Keule auch nicht besonders gelitten, weil der Kanzler beiden | |
| damit einen Ausweg aus einer Pattsituation gewiesen hat, samt der | |
| Möglichkeit, sich hinter ihm zu verstecken. Aber Olaf Scholz hätte es gar | |
| nicht so weit kommen lassen dürfen. | |
| Er hat den Konflikt schleifen lassen. Vielleicht, weil er Atomkraft für ein | |
| eher nebensächliches Problem gehalten hat. Vielleicht, weil er dachte, es | |
| könne ihm nutzen und der Beliebtheit von Robert Habeck schaden. Vielleicht, | |
| weil es seinem Naturell und dem Führungsstil, den er sich für die Ampel | |
| verordnet hat, entspricht. Alles plausible Gründe. Und doch war die | |
| Konsequenz daraus falsch. Scholz hätte viel früher einschreiten müssen. | |
| Einiges spricht dafür, dass ihm dies auch gelungen wäre, hätte er sich | |
| selbst positioniert. Aber genau daran mangelt es Scholz – nicht nur beim | |
| Konflikt um Streckbetrieb und Brennstäbe. Der Führungs- und | |
| Kommunikationsstil des Kanzlers ist ein Problem. | |
| Es stimmt zwar, dass der Kanzler in dieser schwierigen Dreierkonstellation | |
| eine moderierende Position einnehmen muss, um den Laden zusammenzuhalten. | |
| Aber zuzulassen, dass Grüne und FDP wie zwei Züge auf eingleisiger Strecke | |
| aufeinander zurasen, kann nicht einmal als Moderation bezeichnet werden. | |
| Wäre öffentlich bekannt gewesen, dass mit Scholz keine neuen Brennstäbe zu | |
| holen seien, aber das [3][AKW Emsland] am Netz bleiben könnte, wäre der | |
| Zirkus, den die FDP in den vergangenen Wochen aufgeführt hat, wohl eine | |
| Nummer kleiner ausgefallen. Gebracht hat es ihr in der Sache nicht viel. | |
| Sie ist aus dem Landtag in Niedersachsen geflogen. Und das AKW Emsland | |
| läuft maximal 15 Wochen länger. Möglicherweise sind die Brennstäbe aber | |
| auch schon im Februar leer. Die Grünen dagegen können nun zumindest darauf | |
| hoffen, dass der Atomausstieg am 15. 4. endgültig besiegelt ist. | |
| Aber angesichts der Angst vor dem Energienotstand könnte es der FDP | |
| gelungen sein, sich als den Teil der Ampel zu verkaufen, der vermeintlich | |
| für den gesunden Menschenverstand steht – also für die eingängige Position | |
| „alles muss ans Netz“ – während die Grünen angeblich eine Truppe von | |
| Ideologen sind. Und sie hat es geschafft, dieses Label auch dem überaus | |
| pragmatischen Habeck anzuheften. Das ignoriert zwar nicht nur die | |
| Sachargumente, sondern auch, wie weit die Grünen bei der AKW-Frage bereits | |
| gegangen sind, wird aber trotzdem Wirkung zeigen. | |
| Das weitaus größere Problem aber: In Zeiten von Krieg, Krisen und größter | |
| Verunsicherung, in der die Leute die Angst vor einem russischen Atomschlag | |
| umtreibt und die Sorge darüber, wie sie über den Winter kommen, stand die | |
| Ampel wochenlang als zerstritten und handlungsunfähig da. Das verspielt | |
| weiter ein ohnehin schwindendes Vertrauen in die Regierung. | |
| Populist*innen und Rechstradikale kochen ihr Süppchen darauf, die AfD | |
| steht in den ersten Umfragen bundesweit bei 15 Prozent, in einigen | |
| ostdeutschen Bundesländern ist sie stärkste Kraft. | |
| Der Kanzler hat zugelassen, dass sich die Ampel blockiert – letztlich für | |
| die Laufzeitverlängerung eines AKWs für maximal 15 Wochen. Das darf sich | |
| nicht wiederholen, Scholz muss früher eingreifen. Nicht mit Machtwort per | |
| Brief. Aber mit der klaren Ansage, wo er selber steht. | |
| 22 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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