# taz.de -- Krieg in Äthiopien: Schon jetzt 100.000 Tote | |
> Die Kämpfe Äthiopiens und Eritreas gegen Aufständische in der Region | |
> Tigray spitzen sich zu. Die Großstadt Shire ist gefallen – zu einem hohen | |
> Preis. | |
Bild: Millionen Menschen sind von jeglicher Hilfe abgeschnitten und permanenten… | |
BERLIN taz | Äthiopien und Eritrea haben in ihrem Krieg gegen die in der | |
nordäthiopischen Region herrschende TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront) | |
einen seltenen Erfolg erzielt. Die TPLF bestätigte am Dienstag, sie habe | |
sich am Vortag aus der Großstadt Shire zurückgezogen, zuletzt Schauplatz | |
schwerer Kämpfe. | |
„Die Invasionskräfte haben momentan die Kontrolle über einige Gebiete | |
erlangt, darunter Shire“, erklärte die TPLF und rief die Tigrayer zum | |
„hartnäckigen Widerstand“ auf. Äthiopiens Regierung bestätigte die Einna… | |
der Orte Shire, Alamata und Korem „ohne städtische Kämpfe“. | |
Dahinter verbirgt sich ein Drama unbekannten Ausmaßes. Beobachter | |
bezeichneten die Schlacht um Shire zuletzt als die momentan blutigste der | |
Welt, noch vor den laufenden Kämpfen in der Ukraine. | |
Seit [1][November 2020 befindet sich Tigray] im Aufstand gegen Äthiopiens | |
Zentralregierung. Nach einer „humanitären Feuerpause“ im März dieses Jahr… | |
flammten die Kämpfe im August wieder auf. Nach anfänglichen TPLF-Erfolgen | |
erlangte [2][Äthiopien die Oberhand dank militärischer Unterstützung aus | |
Eritrea], das Zehntausende Soldaten im Einsatz haben soll. | |
## Blutige Strategie | |
Mit Äthiopiens Armee im Süden, Eritreas Armee im Norden und Milizen der | |
äthiopischen Region Amhara im Westen wird das zentrale Hochland Tigrays mit | |
der Regionalhauptstadt Mekelle und der Klosterstadt Axum in die Zange | |
genommen. Mehrere Millionen Menschen sind von jeglicher humanitären Hilfe | |
abgeschnitten und permanenten Angriffen ausgesetzt. | |
Die Eroberung von Shire 40 Kilometer von der eritreischen Grenze entfernt, | |
öffnet nun den äthiopischen und eritreischen Armeen den Weg aus dem Westen | |
Tigrays ins zentrale Hochland. Dafür lieferten sich die verfeindeten Armeen | |
zuletzt in der Region fürchterliche Schlachten. | |
„Die Aufgabe der äthiopischen Rekruten besteht darin, anzugreifen und in | |
ausreichender Zahl zu sterben, um die Kugeln ihrer Feinde aufzubrauchen, | |
damit danach die eritreischen Kampfverbände durchbrechen und die Städte | |
einnehmen können“, schrieb der [3][erfahrene Regionalanalyst Alex de Waal | |
vergangene Woche]. Auch die TPLF erleide „horrende“ Verluste: „Die Tigray… | |
haben jeden Grund, bis zum Tod zu kämpfen“. | |
Es kursieren unbestätigte Zahlen von 100.000 Toten oder noch mehr seit dem | |
Wiederaufflammen der Kämpfe, Zivilisten und Soldaten zusammen. | |
Der Verbleib hunderttausender vom Krieg Vertriebener, die in Shire und | |
anderen Orten Zuflucht gesucht hatten, ist unbekannt. Äthiopiens und | |
Eritreas Armeen, kritisieren Diplomaten und Beobachter, unterscheiden bei | |
ihren Angriffen nicht zwischen TPLF-Kämpfern und Tigrays Zivilbevölkerung. | |
Aus Tigray-Sicht ist damit der Tatbestand des Völkermordes erfüllt. | |
## „Tigray nicht minder wichtig als in der Ukraine“ | |
Mit der [4][Wiederaufnahme der Kämpfe] endete auch die „humanitäre | |
Feuerpause“ in Tigray, wo drei Viertel der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe | |
von außen angewiesen sind. Ihre Versorgung, die aufgrund ständiger | |
Behinderungen durch die äthiopischen Behörden nie ausreichend gelungen war, | |
kam damit wieder vollständig zum Erliegen. | |
Vor zehn Tagen berichtete [5][der britische BBC-Rundfunk aus dem | |
Ayder-Krankenhaus in Mekelle], der größten Gesundheitseinrichtung Tigrays, | |
es gebe keine Medikamente, Impfstoffe, medizinische Materialien oder | |
Insulin mehr. „Wir sagen den Leuten, sie müssen ohne Behandlung nach Hause | |
gehen“, wurde der über WhatsApp kontaktierte Arzt Fasika Amdeslasie | |
zitiert. | |
Von 115 Dialysepatienten seien bereits 90 „vor den Augen der Ärzte“ | |
gestorben. Die Einhaltung des humanitären Völkerrechts, sagte der Arzt, sei | |
in Tigray nicht minder wichtig als in der Ukraine: „Sind wir keine | |
wichtigen Menschen?“ | |
Ob ein von der Afrikanischen Union (AU) gewünschter Friedensprozess unter | |
diesen Umständen je starten kann, ist ungewiss. Ein erster Termin für | |
direkte Gespräche in Südafrika am 8. Oktober platzte aufgrund | |
diplomatischer Unstimmigkeiten. Nun ist vom 24. Oktober die Rede. | |
Dass Äthiopien Gespräche „ohne Vorbedingungen“ anbietet, bedeutet | |
allerdings, dass die Angriffe auf Tigray während der Gespräche weitergehen | |
sollen. Die TPLF fordert als Erstes eine Feuerpause. Äthiopien will erst | |
die Kontrolle über Tigrays Infrastruktur erringen. | |
18 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Humanitaere-Lage-in-Region-Tigray/!5732128 | |
[2] /Eritrea-und-Aethiopien-kooperieren/!5879742 | |
[3] https://responsiblestatecraft.org/2022/10/14/tigray-faces-a-new-onslaught-b… | |
[4] /Toedliche-Luftangriffe-in-Tigray/!5888285 | |
[5] https://www.bbc.com/news/world-africa-63166044 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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