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# taz.de -- Netflix schaltet Werbung: Der Kaiserin neue Kleider
> Nach großen Aboverlusten erholt sich Netflix. Der Streamingdienst nutzt
> den Moment, um Erfolg für sich neu zu definieren.
Bild: Netflix' Sisi besticht mit fast so eleganten Seitenhieben wie der Streami…
In den Köpfen ist [1][Netflix] immer noch die originale Streamingplattform.
Was Zewa bei den saugfähigen Küchenpapierrollen, ist Netflix im Bereich
Video on Demand. So weit jedenfalls die kulturelle Wahrnehmung, denn
wirtschaftlich ist es so einfach schon lange nicht mehr.
Netflix mag einst die Pionierin eines komplett neuen Unterhaltungsmediums
gewesen sein. Aber Pionierin sein wird einem nicht gedankt, wenn die große
Konkurrenz, die eben noch tollpatschig hinterhergestolpert ist, einen
plötzlich aus dem Weg kickt.
Längst sind großen Medienkonzerne wie Disney, Apple und Amazon ins Geschäft
eingestiegen. Bei Netflix unterdessen stagnierte das Abowachstum – in den
ersten zwei Quartalen dieses Jahres gingen die Abos sogar zurück. Für viele
in der wachstumsverwöhnten Streamingbranche eine Katastrophennachricht.
Netflix verlor zwischenzeitlich beinahe eine Million Abonnent*innen,
während Disney+ scheinbar ohne Anstrengung vierzehneinhalb Millionen
dazugewann.
Nun hat sich Netflix mit den aktuellen Quartalszahlen offenbar ein wenig
erholt. Und nutzt den Moment für eine Message an die Aktionär*innen.
Inklusive Diss an die Konkurrenz.
## Elegante Seitenhiebe
Von Juli bis September sind bei Netflix 2,4 Millionen neue Bezahlabos
dazugekommen, wie Netflix am Dienstag mitteilte. Das entspricht einem
Kundenzuwachs von 4,5 Prozent – und das wiederum liegt mehr als doppelt so
hoch wie die eigene Prognose. Dabei dürfte die lang erwartete vierte
Staffel der Mysteryserie „[2][Stranger Things]“ eine Rolle gespielt haben
sowie [3][die kürzliche erschienene True-Crime-Serie „Dahmer“]. Netflix
zählt weltweit gut 223 Millionen Nutzerkonten.
„Gott sei Dank haben wir die Quartale mit Rückgängen hinter uns“, schreibt
Chef Reed Hastings in einem Brief an die Aktionär*innen. „Wir glauben, dass
wir auf dem Weg sind, das Wachstum wieder zu beschleunigen.“ Das klingt
allerdings nach Gottvertrauen und Glaube und nicht gerade nach etwas, auf
das man als Investor*in setzen kann. Also schickte Hastings eine zweite
Botschaft hinterher.
„Unsere Wettbewerber investieren kräftig, um ihr Abonnenten-Wachstum und
-Engagement anzutreiben. Doch ein großes und erfolgreiches
Streaming-Geschäft aufzubauen, ist hart – unserer Einschätzung nach
verlieren sie Geld.“ Ein eleganterer Seitenhieb hätten selbst Sisi und
ihren Hofdamen in Netflix’ aktuellem Hit „Die Kaiserin“ nicht einfallen
können.
## Wie eine gut geölte Nähmaschine
Netflix sieht einer realistischen Möglichkeit entgegen: dass sein Markt
demnächst ausgeschöpft sein könnte. Bei neuen Märkten, gerade im Netz- und
Tech-Bereich, setzt schnell ein Gewöhnungseffekt ein: Stetiges Wachstum
wird erwartet. Dennoch kommt irgendwann auch jede Innovation an ihre
Grenzen. Netflix versucht, den Moment für sich erzählerisch zu wenden: Wir
sind das etablierte Produkt, die gut geölte Nähmaschine. Wir machen Gewinn,
und das ist wichtiger als Wachstum. Oder etwa nicht?
Sympathisch ist das. Wer braucht ein Produkt, das immer weiterwächst, wenn
es doch tut, was es soll? Jedenfalls aus Sicht der Kulturkritik. Netflix
liefert in verlässlicher Regelmäßigkeit innovative Produkte, die das
Fernsehen, die dort verhandelten Themen und die Art des Erzählens an sich
herausfordern: „[4][Squid Game]“ und „[5][Bridgerton]“ ebenso wie
„Heartstopper“ und „[6][Sense8]“. Oder Produkte, die zwar nicht gerade
etwas Neues erfinden, aber in Sachen Produktionsqualität und Liebe zum
Detail vorbildhaft sind: „The Crown“, „Die Kaiserin“ oder „[7][Sandma…
Und nicht zu vergessen, die kontroversen popkulturellen Momente: „13
Reasons Why“ zum Beispiel, „Tiger King“ oder „Emily in Paris“. Netfli…
die Preise, über Netflix wird geredet, Netflix ist the Moment. Ist es da
nicht egal, wie es wächst?
Ist es leider nicht. Netflix mag sich in diesem Quartal „Gott sei Dank“ ein
wenig erholt haben, aber es befindet sich an einer Sollbruchstelle. Wenn
Netflix das Vertrauen der Anleger*innen durch Profit wiedererlangen
will, muss es diesen sichern.
Im November startet deshalb ein Billig-Aboangebot mit Werbung. Im kommenden
Jahr soll es zudem schwieriger werden, Accounts mit anderen auf unbegrenzt
vielen Geräten zu teilen. Beides könnte den Charakter des Angebots
verändern. Netflix als von Werbung ungestörtes Unterhaltungserlebnis wird
verwässert. Teilbarkeit, also auch Austausch, wird erschwert.
Nutzer*innen dürften diese Nachteile verzeihen, aber nur wenn die großen
popkulturellen Momente weiterhin regelmäßig stattfinden. Der Rest des
Angebots ist bekanntermaßen mittelmäßig bis Schrott. Klassiker findet man
sowieso selten, die liegen bei der Konkurrenz.
Dass Netflix offenbar nur dann stabil ist, wenn es von sich reden macht,
ist eine wirtschaftliche Schwäche. Zwei „Crowns“ oder „Squid Games“ im…
müssen schon kommen. Und das kostet Geld. Sollte Netflix mit Blick auf
schwarze Zahlen irgendwann so weit haushalten müssen, dass große Würfe
nicht mehr drin sind, dann könnte es rasch in der Bedeutungslosigkeit
verschwinden. Untergangsszenario: Das Restprogramm als Ramschladen
aufgekauft von einem der Großen. Oder: Die angenehm zu nutzende Oberfläche
und der gut funktionierende Algorithmus befüllt mit Zeug von Disney.
Vorerst ist es nicht so weit. Der nächste popkulturelle Moment ist nämlich
schon vorprogrammiert: Die neue Staffel von „The Crown“, die im November
startet, sorgt schon für Debatten im Vereinigten Königreich. Schließlich
ist es sehr wahrscheinlich, dass Staffel 5 den frisch gekrönten König
Charles in keinem besonders guten Licht dastehen lässt.
19 Oct 2022
## LINKS
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[3] /Kritik-an-Genre-True-Crime/!5885331
[4] /Serie-Squid-Game-als-Kulturexport/!5809061
[5] /Zweite-Staffel-Bridgerton/!5843370
[6] /Kolumne-Mittelalter/!5429614
[7] /Netflix-Serie-Sandman/!5870436
## AUTOREN
Peter Weissenburger
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