# taz.de -- Ökotouristisches Netzwerk: Die grüne Steinwüste | |
> Im Westen Irlands liegt der Burren. Auf den ersten Blick eine | |
> Mondlandschaft, auf den zweiten ein bizzares Gebirge, das ökologische | |
> Visionen erlaubt. | |
Bild: Der Burren National Park | |
„Und irgendwann nimm dir die Zeit, um in den Westen zu fahren, in die | |
Grafschaft Clare, entlang der Flaggy Shore.“ So beginnt das Gedicht | |
„Postscript“ des irischen Literaturnobelpreisträgers Seamus Heaney. Er hat | |
im Burren, einem der größten Kalksteingebiete Europas, oft Urlaub gemacht | |
und der Gegend ein literarisches Denkmal gesetzt. | |
Auf den ersten Blick sieht das Gebiet wie eine Mondlandschaft aus: graue | |
Steinhügel und helle Kalksteinplatten, so weit das Auge reicht. Der Name | |
dieser Gegend im Westen Irlands scheint es treffend auszudrücken: „Burren“ | |
stammt vom irischen Wort „boireann“ ab, was „felsiger Ort“ bedeutet. Ol… | |
Cromwells Offiziere behaupteten: „Zu wenig Bäume, um einen aufzuhängen, zu | |
wenig Wasser, um einen zu ersäufen, zu wenig Erde, um einen zu | |
verscharren.“ | |
Wer genauer hinsieht, entdeckt jedoch eine landschaftliche Vielfalt, die | |
einmalig in Europa ist. In dem gut 500 Quadratkilometer großen Gebiet | |
wachsen Pflanzen aus dem Mittelmeerraum, aus den Alpen und aus der Arktis | |
einträchtig nebeneinander. Es gibt 27 Arten von Orchideen in Irland, 25 | |
davon wachsen im Burren, und drei Viertel der irischen Wildblumenarten | |
kommen hier vor. | |
Ein besonderes Phänomen sind die Senken, die im Winter von unterirdischen | |
Quellen geflutet werden und im Sommer austrocknen. Die ökologisch | |
hochsensible Karstlandschaft hat sich in der Karbonzeit vor 350 Millionen | |
Jahren gebildet. Die letzte Eiszeit ging in Irland vor 12.000 Jahren zu | |
Ende. Als sich das Eis zurückzog, blieben die Felsbrocken, aber auch Erde | |
und Samen aus arktischen Regionen zurück. | |
Der englische Autor J. R. R. Tolkien ließ sich vom Burren zu seiner Kulisse | |
von Mordor inspirieren. Die Flussdurchgangshöhle Pollnagollum, mit mehr als | |
16 Kilometern die längste Höhle Irlands, soll für die Figur „Gollum, das | |
wohl seltsamste Geschöpf unter dem Himmel“ aus Tolkiens | |
Mittelerde-Legendarium Pate gestanden haben. | |
Eine alte Kulturlandschaft | |
„Touristen glauben, sie haben eine unberührte, wilde Natur entdeckt“, sagt | |
Kate Lavender. „Aber der Burren ist keine wilde Landschaft, er ist seit dem | |
Neolithikum eine bewirtschaftete Landschaft. Wegen der Landwirtschaft ist | |
es ein Biodiversitäts-Hotspot. Wenn man den Burren der Renaturierung | |
überließe, wäre er verloren, die Haselnusssträucher würden alles | |
überwuchern, und die einzigartige Flora wäre verloren. Es gäbe den Burren | |
nicht mehr.“ | |
Lavender ist 46 Jahre alt, sie stammt aus Lancashire in England. Als sie | |
2004 am Trinity College Geologie Dublin studierte, traf sie dort ihren | |
künftigen Ehemann aus Nordirland. „Ich überredete ihn, mit mir zurück nach | |
Lancashire zu ziehen, wo ich mein Studium abschloss.“ 2009 kehrten sie mit | |
ihren beiden Kindern nach Irland zurück und ließen sich im Burren nieder. | |
„Die Regierung hat das Burren-Farmprogramm ins Leben gerufen“, sagt | |
Lavender. „Sie erledigt die Bürokratie für die Bauern, schreibt ihnen aber | |
nicht vor, was sie zu tun haben. Die Bauern stellen jedes Jahr ihren | |
eigenen Plan auf.“ Ein tolles Programm, schwärmt Lavender, und es wachse | |
von Jahr zu Jahr. | |
Es bietet finanzielle Unterstützung für Bauern, die sich neben ihren | |
Nutztieren um Biodiversität, Archäologie und sauberes Wasser kümmern. Es | |
ist ein zukunftsweisendes Agrar-Umwelt-Programm, dessen Ziele eine | |
nachhaltige Landwirtschaft, die Bewahrung des kulturellen Erbes und die | |
Verbesserung der Wasserqualität sind. | |
„Das ist ein Programm für Kopf und Geldbeutel“, sagt Lavender. „Burrenbeo | |
ist fürs Herz.“ Sie arbeitet seit 2012 bei Burrenbeo, „lebendiger Burren�… | |
einer Stiftung, die sich um den Erhalt der Landschaft kümmert. Sie wird | |
staatlich nicht unterstützt, erhält aber vom Rat für kulturelles Erbe einen | |
Zuschuss, der jedes Jahr neu beantragt werden muss. „Es geht bei Burrenbeo | |
darum, dass die Besucher über den Tellerrand hinausschauen und etwas über | |
die Landschaft lernen“, sagt sie. Der Burren sei ständig in Gefahr, vor | |
allem durch Tourismus. | |
Ein Netzwerk für ökologischen Tourismus | |
Im Mai fragte die Irish Times ihre Leser nach dem besten Urlaubsort in | |
Irland. 1.200 Menschen schickten ihre Vorschläge ein, eine Jury wählte | |
unter Berücksichtigung der Kriterien Landschaft, Vielfalt, Service für | |
Touristen, öffentlicher Verkehr, Unterkunftsangebot und Kosten den Gewinner | |
aus: den Burren. | |
Auch Lonely Planet, der Verlag für unabhängige Reiseführer, hatte den | |
Burren voriges Jahr in die Bestenliste für nachhaltigen Tourismus | |
aufgenommen. Das Burren Ecotourism Network wurde als „bestes touristisches | |
Projekt“ ausgewählt. Das Netzwerk wurde 2011 gegründet, heute gehören ihm | |
70 lokale Betriebe an, die sich der Förderung der Region durch | |
verantwortungsvollen Tourismus und Nachhaltigkeit verschrieben haben. | |
„Der Tourismus hat stark zugenommen“, sagt Lavender, „vor allem die | |
Bustouren. Manche Busunternehmen bieten Tagestouren aus Dublin an, 250 | |
Kilometer hin und 250 Kilometer zurück. Die weniger bekannten Orte lassen | |
sie links liegen, sie fahren lediglich zu den berühmten | |
Sehenswürdigkeiten.“ Dazu gehören die Steilklippen der Cliffs of Moher, | |
nach der Guinness-Brauerei in Dublin der meistbesuchte Ort der Insel, und | |
der Poulnabrone Dolmen. | |
Dieses Portalgrab ist das älteste megalithische Monument des Landes, es ist | |
rund 6.000 Jahre alt. Es besteht aus großen, aufrecht stehenden | |
Steinblöcken und einem 3,60 Meter großen Deckstein. „Früher, bevor man ihn | |
mit einem Seil abgesperrt hat, sind die Touristen oft auf den Dolmen | |
geklettert und darauf herumgehüpft“, erzählt Lavender. „Die meisten | |
Besucher wissen nichts über die Landschaft, sie lassen kein Geld hier, sie | |
machen die Straßen und Kulturstätten kaputt. Zu Hause würden sie ja auch | |
nicht auf dem Grab der Oma herumspringen. Und viele lassen Tore und Gatter | |
einfach offen, was für die Bauern eine Plage ist.“ | |
Burrenbeo will den Touristen aus dem In- und Ausland Wissen über die | |
Karstlandschaft vermitteln. „Wenn die Menschen mehr über die Landschaft | |
wüssten, wären sie bestimmt sorgsamer“, sagt Lavender. „Viele Probleme im | |
Zusammenhang mit Tourismus könnten dadurch vermieden werden, auch wenn die | |
Leute nie dasselbe Verständnis für die Landschaft aufbringen werden wie | |
jemand, der dort geboren und aufgewachsen ist.“ | |
Prähistorische Monumente | |
Lavender hat im März archäologische Feldstudien in Doolin betrieben und | |
schreibt jetzt ihre Abschlussarbeit. „Doolin ist völlig unterschätzt“, sa… | |
sie. Das kleine Fischerdorf am Atlantik, wo die Fähren zu den Aran Islands | |
ablegen, ist vor allem wegen der traditionellen Musik bekannt. „In der | |
kurzen Zeit, in der ich dort herumstöberte, habe ich drei prähistorische | |
Monumente entdeckt, und es gibt noch sehr viele mehr. Im Burren wimmelt es | |
geradezu davon.“ | |
Wärmebilder bestätigen, dass es in der Grafschaft Clare, zu der der Burren | |
gehört, mehr als 200 ringförmige Forts aus dem 6. Jahrhundert, dutzende | |
Fulachtí Fiadh, Gemeinschaftsochstellen aus der Bronzezeit, 23 noch | |
erhaltene Crannógs, Behausungen auf künstlichen Inseln aus der | |
frühchristlichen Zeit, sowie 80 sogenannte Keilgräber aus der Jungsteinzeit | |
gibt. | |
„Das schönste Keilgrab ist Parknabinnia auf den Roughan Hill“, sagt | |
Lavender. Es hat einen etwa drei Meter langen, mit einer Erd- und | |
Rasenschicht bedeckten Deckstein und seitliche Tragsteine. Ein Ende ist | |
geschlossen, während das andere Ende einen kleinen Zugang frei lässt. | |
Paul Keane war 88 Jahre alt, als er 1999 eine Geschichte über Parknabinnia | |
erzählte. Er lebte in einem kleinen Cottage unterhalb des Keilgrabs. „Als | |
ein Bauer ein paar Steine von dort wegnahm, um einen Schuppen zu bauen, | |
bekam er heftige Seitenstiche. Trotzdem kehrte er am nächsten Tag zurück, | |
um weitere Steine zu sammeln. Zu Hause angekommen, musste er sich vor | |
Schmerzen ins Bett legen, und er stand nicht wieder auf, bis er starb. Und | |
er starb in den folgenden acht oder neun Tagen mehrere Male, bis er | |
endgültig tot war.“ | |
„Parknabinnia“, sagt Lavender „ist ein wundervoller Ort, um es sich mit | |
einer Thermoskanne Kaffee gemütlich zu machen, die Aussicht zu genießen und | |
an all die Menschen zu denken, die vor uns hier waren und ihre Spuren in | |
der Landschaft hinterlassen haben.“ | |
9 Oct 2022 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
## TAGS | |
Reisen in Europa | |
Irland | |
Nachhaltigkeit | |
Karfreitagsabkommen | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Europäische Kulturhauptstadt | |
Städtereisen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
25 Jahre Frieden in Nordirland: Geteilte Werte | |
1998 schlossen die nordirischen Konfliktparteien Frieden. Doch ihre | |
Kompromisse stoßen in einer veränderten politischen Landschaft an ihre | |
Grenzen. | |
Die Wahrheit: Eine Stadt voller Joyce-Irrer | |
Am kommenden Donnerstag ist es wieder soweit: Es ist Bloomsday. Am 16. Juni | |
fallen die Joyceianer über Dublin her. Längst aber sind sie in der Stadt … | |
Galway ist Kulturhauptstadt Europas: Wie Barcelona im Regen | |
Ihr Weg zur europäischen Kulturhauptstadt war holprig. Doch die irische | |
Stadt Galway hat Potenzial: Studierende, Festivals, Straßenkünstler. | |
Lust auf Stadt: Willkommen in Dublin | |
Gastfreundschaft wird groß geschrieben in Irland. Nur Engländer, die | |
Abschied vom Junggesellenleben feiern wollen, werden nicht gern gesehen. |