# taz.de -- Neuer Roman von Norbert Gstrein: Die liebenden Geschwister | |
> Norbert Gstrein hält in seinem Buch „Vier Tage, drei Nächte“ schwierige | |
> Familienbeziehungen in der Schwebe. Dabei unterläuft er Stereotype des | |
> Lesers. | |
Bild: Norbert Gstrein ist kein Autor, der seine Deutungen über das Leben seine… | |
Keiner von diesen Idioten hat Ines geliebt, wie ich sie geliebt habe und | |
nach wie vor liebe, aber dass sich wiederholt einer fand, der sich das | |
einbildete, ist eine andere Geschichte.“ Dieser erste Satz von Norbert | |
Gstreins neuem Roman „Vier Tage, drei Nächte“ enthält bereits den Kern der | |
Geschichte. Denn die Beziehung von Elias zu seiner Schwester Ines ist das | |
energetische Zentrum des Romans. Aus ihm entwickelt sich die Geschichte der | |
Geschwister – ihr Glück, ihr Unglück und ihre Opfer. | |
Die Geschichte beginnt im ersten Coronawinter. Ines, die als | |
Zukunftshoffnung der Literaturwissenschaft gilt, will ein Buch über ein | |
Dichterliebespaar schreiben und hat sich dafür mit dem Geld ihres reichen | |
Vaters in ein möbliertes Haus in der Nähe von Berlin zurückgezogen. | |
Elias war über den Jahreswechsel in eines der leer stehenden Zimmer | |
gezogen, weil er als Flugbegleiter wegen Corona sowieso nichts zu tun hat. | |
Nicht zum ersten Mal bekommt Elias von seiner Schwester die Aufgabe, ihr | |
einen liebeskranken Mann vom Hals zu halten. Warum, fragt er sich im | |
Nachhinein, gab er sich immer wieder dafür her? | |
## „Der zweite Jakob“ | |
Elias und Ines wissen lange nicht, dass sie Halbgeschwister sind. Der Vater | |
und die Mutter von Ines verschweigen allen zunächst, dass die beiden | |
verwandt sind. Der zweite Mensch, der Elias tief geprägt hat, ist sein | |
Vater. Wie schon im Vorgängerroman Norbert Gstreins, „Der zweite Jakob“, | |
ist er eine Figur, die in einem Tiroler Skiort mit einem Hotel zu Reichtum | |
gekommen ist und – bis auf wenige Auftritte – im Hintergrund bleibt. | |
Elias konnte nie seine Erwartungen erfüllen. Von den Hubschraubern | |
fasziniert, die in seiner Kindheit die Lebensmittel zu den Hütten in die | |
Berge flogen, wollte er immer selbst fliegen. Aber als sein Vater ihm eine | |
Ausbildung als Hubschrauberpilot in den USA finanziert, scheitert er auch | |
hier und bekommt bei einem Übungsflug Panikattacken. | |
Norbert Gstrein ist kein Autor, der seine Deutungen über das Leben seinen | |
Lesern aufdrängt. Lieber erzählt er Geschichten, in denen sich die | |
Interpretation des Geschehens erst nach und nach ergibt. Wie im Leben | |
stellt sich in „Vier Tage, drei Nächte“ heraus, dass die Dinge nie ganz so | |
sind, wie man sie sich vorstellt. Stattdessen werden sie immer wieder durch | |
neue Ereignisse und Wendungen der Geschichte verschoben. | |
## Vorurteile und Stereotype unterlaufen | |
Eine Schreibweise, die auch Vorurteile und Stereotype des Lesers unterläuft | |
und in Frage stellt, ohne dass Gstrein ihn damit vorführt. Auch die | |
Anspielungen sind dezent gesetzt, sodass der Roman nie akademisch wirkt. | |
Erst spät wird deutlich, dass Elias schwul ist. Er ist der Erzähler der | |
Geschichte, warum sollte er es erwähnen? Erst als Carl auftaucht, wird es | |
dem Leser klar. Auch die Tatsache, dass Carl Schwarz ist, erwähnt Elias | |
zunächst nicht. Unter den Geschwistern scheint die Hautfarbe genauso | |
unproblematisch und selbstverständlich wie die Homosexualität. Das denken | |
Elias und Ines zumindest. Bis die drei dann gemeinsam nach Sizilien fahren. | |
Wo in dem Ort, in dessen Nähe sie ein Ferienhaus mieten, afrikanische | |
Flüchtlingen leben. | |
14 Oct 2022 | |
## AUTOREN | |
Fokke Joel | |
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