# taz.de -- Junge FDP-Abgeordnete: Dornige Chancen | |
> Bei der Bundestagswahl entschieden sich viele junge Wähler*innen für | |
> die FDP. Wie machen jüngere FDP-Abgeordnete nun Politik? Und wofür stehen | |
> sie? | |
Im Büro von Max Mordhorst steht in einem Regal ein Buch von Ludwig Ehrhard. | |
„Wohlstand für alle“, 1957 ließ Ehrhard darin seine Vorstellungen zur | |
sozialen Marktwirtschaft niederschreiben: staatlicher Rahmen, ansonsten | |
freier Markt, Wohlstand durch Wettbewerb. Ein gutes Buch, findet der | |
FDP-Abgeordnete Max Mordhorst. Womit man beim Kernthema der Liberalen ist, | |
soziale Marktwirtschaft. Nur: Wie sieht die heute aus? Und wie viel Markt, | |
wie viel Soziales steckt in der FDP? | |
Mordhorst gehört zu den Jungen in der Fraktion. 26 Jahre ist er alt, seit | |
vergangenem Jahr sitzt er im Bundestag. [1][Auf Twitter schreibt er]: „Ich | |
empfinde die Bezeichnung neoliberal als großes Kompliment.“ Neoliberal ist | |
das Schlagwort für knallharte Privatisierungspolitik und rücksichtslose | |
Deregulierung. Wie passt das mit Ludwig Ehrhard zusammen? | |
„Es gibt genuin staatliche Aufgaben, die müssen staatlich organisiert und | |
von Steuern bezahlt sein“, sagt Mordhorst, dunkler Anzug, grüne Krawatte, | |
bei einem Treffen im Juli. „Sozialsystem, Ordnung, Sicherheit und Bildung. | |
Beim Rest gilt für mich: So viel Freiheit wie möglich.“ Mit | |
Umverteilungsdebatten kann er nichts anfangen, auch in der Krise nicht. | |
Eine Übergewinnsteuer nennt er „toxische Neidsteuer.“ | |
„Es sind ja eher linke Kräfte, die sagen, die Schuldenbremse ist unsozial“, | |
sagt er. „Aber wir werden vermutlich nächstes Jahr mehr als 30 Milliarden | |
nur für Zinskosten ausgeben und das Meiste geht an Banken und | |
Investmentfonds. Das ist doch keine empathische Politik, das geht auf | |
Kosten der kommenden Generation.“ | |
23 Prozent der Erstwähler*innen entschieden sich [2][bei der | |
Bundestagswahl 2021] für die Liberalen. 21 Prozent waren es bei den unter | |
25-Jährigen. Dass die FDP im Wahlkampf für einen Pandemie-Lockerungskurs | |
stand, mag ihr da geholfen haben. Ebenso das Tief der Union. Aber es ist | |
ein Trend, der sich schon länger zeigt: Die FDP gewinnt bei den Jungen und | |
verliert bei den Alten. Dennoch hielt sich lange die Vorstellung, dass die | |
Jugend eher grün tickt: Es ist aber offenbar nur ein Teil der Jungen, der | |
freitags auf die Straße geht oder sich am Asphalt festklebt, um den | |
Planeten zu retten. | |
Die Bundestagswahl vor einem Jahr wirkt heute wie aus einer anderen Ära. | |
Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Seit dem russischen Angriff auf | |
die Ukraine ringt die Ampel um die richtige Krisenpolitik: Die Inflation | |
erreicht Rekordwerte, die Energiepreise explodieren, es droht eine | |
Rezession. Alle Ampelparteien müssen ihre Glaubenssätze abklopfen: Die SPD | |
löst sich zögerlich von ihrer Russlandnähe, die Grünen lassen | |
Atomkraftwerke weiterlaufen– und die FDP? Versucht sich im Schulden machen, | |
ohne Schulden zu machen. | |
Wie machen junge FDP-Abgeordnete Politik, wenn alte Gewissheiten mit der | |
Zeitenwende ins Wanken geraten? „Ich renne von Termin zu Termin“, sagt Max | |
Mordhorst Ende September am Telefon. Mordhorst sitzt im Finanzausschuss und | |
im Ausschuss für Digitales. In seinem Sommerurlaub habe er es kaum | |
geschafft, das Handy mal wegzulegen. | |
Er ist nach wie vor von der Schuldenbremse überzeugt: „Expansive | |
Finanzpolitik befeuert die Inflation.“ Und doch folgt er dem Kurs von | |
Finanzminister Lindner, der einen 200 Milliarden Abwehrschirm für die | |
Rettung der Wirtschaft verkündet hat. Neue Schulden seien nun notwendig, | |
„um irreparable Strukturbrüche“ zu vermeiden, sagt Mordhorst, aber „zum | |
Glück getrennt vom Haushalt“. Es sind neue Schulden in einem Nebenhaushalt. | |
Offiziell kann die FDP weiter sagen, dass die Schuldenbremse 2023 gilt. | |
Dennoch: Schulden bleiben Schulden. | |
Max Mordhorst, geboren 1996 in Neumünster, fand 2017 seinen Weg in die FDP, | |
weil ihn der Zustand der Schultoiletten und die schleppende Digitalisierung | |
nervten. Es war das Jahr, in dem Christian Lindner die FDP zurück in den | |
Bundestag führte mit Slogans wie: „Digital first, Bedenken second“. | |
Mordhorst studiert damals Jura und schreibt Rap-Rezensionen für ein | |
Onlinemagazin. Nebenbei engagiert er sich bei den Julis, der | |
Jugendorganisation der FDP. Mit 22 Jahren wird er Vorsitzender der Julis in | |
Schleswig-Holstein. | |
Mordhorst verkörpert das, was viele von der FDP erwarten. Er muss sich | |
nicht verbiegen, um in diese Partei zu passen. Im persönlichen Gespräch | |
erlebt man einen zugewandten jungen Mann. Im Plenum des Deutschen | |
Bundestags einen engagierten Redner, klassisch wirtschaftsliberal, weniger | |
Steuern, Aktienrente für mehr Generationengerechtigkeit. | |
Auf Twitter wettert er aber mit Vorliebe gegen die Maskenpflicht oder lobt | |
den Tankrabatt. Als Grünen-Chefin Ricarda Lang im Juli ein | |
Kündigungsmoratorium für Mieter*innen fordert, damit niemand seine | |
Wohnung verliert, fällt das für Mordhorst in die Kategorie | |
„Schwachsinnsforderungen der Grünen“. Es passt in das Bild der kaltherzigen | |
Partei, das auch Christian Lindner immer wieder befeuert, während er an die | |
Bevölkerung appelliert, mehr Überstunden zu machen. Stichwort: | |
Gratismentalität. | |
Jens Teutrine, 28, ist es gewohnt, immer wieder mit diesem Image | |
konfrontiert zu werden. FDP-Chef Linder dominiert das Bild der Partei – | |
neben ihm schaffen es nur wenige ins Rampenlicht. Aber weil Erfolg und | |
Misserfolg in großem Maße von Lindner abhängen, scharen sich die | |
allermeisten um ihn. „In meinem Familienkreis schreiben mir Leute | |
Whatsapp-Nachrichten zur Hochzeit von Christian Lindner“, sagt Teutrine. | |
„Ich verstehe, dass das Aufmerksamkeit auf sich zieht, aber das hat doch | |
nichts mit Politik zu tun.“ | |
An diesen Diskussionen wolle er sich nicht beteiligen. Auch Teutrine gehört | |
zu den Neuen in der FDP-Fraktion. Bei einem Videogespräch Ende September | |
sitzt er in seinem WG-Zimmer in Bielefeld. Bevor er in den Bundestag | |
eingezogen ist, war er Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen. Seither | |
kämpft er gegen das Image, dass die FDP „eine Bonzenpartei“ sei. Leicht ist | |
das nicht. „Ich weiß, dass manche gleich mit einem Höhö reagieren, wenn sie | |
Sozialpolitiker von der FDP hören“, sagt Teutrine. Ob ihn das trifft? Er | |
überlegt kurz. „Ich bin davon gelangweilt.“ | |
Teutrine ist in der FDP-Fraktion Sprecher für Bürgergeld. Erst vor Kurzem | |
hat Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD die Bürgergeldreform durch | |
das Kabinett gebracht. Bessere Inflationsanpassung bei den Regelsätzen, | |
weniger Sanktionen, bessere Weiterbildungsmöglichkeiten. Teutrine war | |
wichtig, dass die Zuverdienstgrenzen angehoben werden. | |
Das Versprechen des Sozialstaats müsse immer sein, „Menschen aus der | |
Bedürftigkeit zu befreien“, sagt er bei seiner ersten Rede im Bundestag im | |
April. Er nennt das Beispiel einer alleinerziehenden Mutter mit Hartz IV, | |
die sich etwas dazuverdienen möchte, aber nach derzeitigen Regeln nur einen | |
Freibetrag von 100 Euro behalten darf. Ihr Kind dürfe, wenn es arbeitet, | |
von 450 Euro nur 170 behalten. Das sei ein größerer Abzug „als der | |
Spitzensteuersatz“. Und für Teutrine eine große Ungerechtigkeit. Wer | |
arbeitet, soll mehr haben. | |
Nun wird das Bild der alleinerziehenden Mutter gern instrumentalisiert, | |
aber Jens Teutrine kennt die Nöte aus eigener Erfahrung. Seine Mutter zog | |
ihn und seine Schwester allein im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück groß, | |
sie ging putzen, um ihre Rechnungen zu bezahlen. | |
Teutrines Weg in die Politik ist kein selbstverständlicher. Wegen einer | |
Sprachstörung ging er zunächst auf eine Förderschule. „Man konnte einfach | |
nicht verstehen, was ich gesagt habe.“ Mit Unterstützung seiner Mutter und | |
von Lehrer*innen, schaffte er den Sprung in eine Regelschule. | |
Er jobbt in seiner Schulzeit in einer Bäckerei, um sich neue Sneaker zu | |
kaufen, engagiert sich bei den Jungen Liberalen. Als Erster in seiner | |
Familie studiert er, Philosophie und Sozialwissenschaften, nebenbei | |
arbeitet er als Nachtwache in der Demenzbetreuung und im Baumarkt – bis er | |
irgendwann die working class hinter sich lässt. Er fängt an, bei einem | |
Bundestagsabgeordneten zu arbeiten, später wird er Seminarleiter in der | |
politischen Bildung. | |
In seinem Abgeordnetenbüro finden sich noch Spuren dieses Werdegangs. Neben | |
dem Schreibtisch hängt ein kleiner Basketballkorb, Cover von Alben des | |
Rappers Haftbefehl hat er eingerahmt. Straßenrap im Bilderrahmen. | |
„Haftbefehl erzählt Geschichten aus der Gesellschaft“, sagt er bei einem | |
Gespräch in seinem Büro im Juli. Von November bis Februar habe er mit dem | |
Politikbetrieb gehadert, erzählt er. Mit den vielen Sitzungen, die eine | |
eigene Politiklogik beförderten, die da draußen doch kaum einer verstehe. | |
Er änderte dann seine Abläufe, er sagt nur noch die wichtigsten Termine zu, | |
damit er sich stärker fokussieren kann. | |
„Für mich ist es wichtig, ob meine Politik einen Unterschied macht. Aber | |
ich habe drei Gesetze mitverhandelt. Manche lachen vielleicht über den 200 | |
Euro Einmalzuschlag für Hartz-IV-Empfänger, aber ich weiß, es macht einen | |
Unterschied“, sagt Teutrine. | |
Eigentlich hatte er auch eine Idee, wie man mit einer Steuerreform kleine | |
und mittlere Einkommen entlasten könnte. Im Februar [3][erklärte er der | |
taz], dass er sich vorstellen könne, den Spitzensteuersatz zu erhöhen – es | |
ist eine Forderung, mit der er sich sogar mit der Linkspartei einigen | |
könnte. Erneut darauf angesprochen, blockt Teutrine aber ab. Im | |
geschliffenen FDP-Sprech sagt er: „In Zeiten von galoppierenden Preisen | |
braucht es keine philosophischen Debatten über Mehrbelastungen, sondern | |
mehr spürbare Entlastungen.“ | |
Es klingt, als er hätte er einen Rüffel dafür bekommen – Steuererhöhungen | |
sind ja in der Ampel ein Tabu für die Liberalen. | |
Während es bei der Grünen Jugend und den Jusos in der Tendenz eher heißt, | |
sie seien linker und radikaler, als die Mutterpartei, ist es bei den Jungen | |
Liberalen schwieriger. Beim letzten FDP-Bundesparteitag fielen die Julis | |
damit auf, dass sie ein schnellstmögliches Kohle- und Gas-Embargo gegen | |
Russland forderten. Sind sie sozialliberaler oder neoliberaler? | |
Wenn man den Liberalen selbst Glauben schenkt, dann gibt es in der FDP | |
keine Flügel, nur einen Haufen Individualisten mit Glauben an die | |
Marktwirtschaft. Aber bei den Julis lohnt sich ein kleiner Blick in die | |
Geschichte: Bis 1982 galten die Jungen Demokraten als Nachwuchsverband der | |
FDP. Weil die aber mit der aufkommenden Studentenbewegung manchen zu links, | |
sozialliberal und kapitalismuskritisch wurden, entstanden die Jungen | |
Liberalen aus Protest. 1983 wurden die Jungen Demokraten dann offiziell | |
durch die Julis ersetzt – und um das Wort „sozialliberal“ machen die | |
meisten bis heute einen großen Bogen. | |
Bei Gyde Jensen, 33, ist das anders. Sie scheut sich nicht zu sagen: „Ich | |
bin mehr sozialliberal als konservativliberal.“ Bei einem Treffen im Juli | |
im Bundestag lehnt sie sich im blauen Hosenanzug gegen ein Geländer, von | |
dem aus man in das alte Büro von Helmut Schmidt gucken kann. Als sie als | |
Studentin ein Praktikum bei einer FDP-Politikerin gemacht hat, habe sich | |
hier der Geruch von Mentholzigaretten breit gemacht.„Wenn ich vorbei kam, | |
saß er häufig da drüben als Altkanzler und winkte mir hin und wieder zu“, | |
sagt sie. | |
Jensen knüpft mit dieser Erzählung an die einzige sozialliberale Koalition | |
in der Geschichte der Bundesrepublik an, die aber zerbrach, auch weil die | |
Unterschiede in der Finanz- und Sozialpolitik zu groß waren. | |
Ruppig ist Gyde Jensen nicht, im Gegenteil. Ruhiger Tonfall, nachdenklich. | |
Aber pragmatisch, das schon. In ihrem Büro in Berlin stehen vier | |
Blumenvasen in Form von erhobenen Fäusten, mit vier verschiedenen | |
Hautfarben und rot lackierten Fingernägeln. Jensen gehört zu einer jungen, | |
gut ausgebildeten, kosmopolitisch geprägten Generation, die | |
selbstverständlich feministisch ist – gleichzeitig ist sie in einer Partei, | |
die vor allem durch Männer dominiert wird. | |
Wenn es nach ihr geht, würde sie gerne offen diskutieren, ob eine „Quote | |
auf Zeit“ helfen kann. Nur sind für die meisten Liberalen Quoten ein Graus. | |
„Aus Reflex bestimmte Mechanismen abzulehnen, ist doch nicht liberal“, | |
findet Jensen. | |
Mit Blick auf die junge FDP-Wählerschaft ist die Genderfrage nicht | |
uninteressant. Es waren vor allem junge Männer, die sich bei der | |
Bundestagswahl für die FDP entschieden haben. Ähnliches gilt auch für die | |
FDP-Fraktion. Von 16 Jungen Liberalen in der Fraktion sind 11 Männer, 5 | |
Frauen. | |
In Jensens Büro stehen ein Laufstall und ein Wickeltisch. Wenn nötig, nimmt | |
sie ihre zwei kleinen Kinder mit in den Bundestag, wo sie bisher noch | |
keinen Wickeltisch entdeckt hat. | |
Dabei ist Jensen nicht das erste Mal im Bundestag. In der letzten | |
Legislatur leitete sie als jüngste Abgeordnete den Ausschuss für | |
Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Es gibt Stimmen aus anderen Parteien, | |
die voller Anerkennung über sie sprechen und es bedauern, dass sie diesen | |
Posten nicht weiterführt. Jensen studierte Anglistik und Internationale | |
Politik. Von 2015 bis 2017 arbeitete sie für die FDP-nahe | |
Friedrich-Naumann-Stiftung als Referentin. Ihr Elternhaus sei immer eher | |
freigeistig geprägt gewesen, erzählt sie, „im Sinne von Verantwortung für | |
sich selbst übernehmen“. Ihre Mutter ist Krankenschwester, ihr Vater | |
gelernter Landwirt, der vor der Rente im Vorstand einer Aktiengesellschaft | |
war. | |
Heute ist Jensen stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion und | |
stellvertretendes Mitglied in zwei Ausschüssen: Familie und Bildung und | |
Forschung. Sie arbeitet an verschiedenen Projekten, unter anderem am | |
„Kita-Qualitätsgesetz“, das derzeit wegen des Auslaufens des | |
Bundesprogramms Sprachkitas in der Kritik steht. „In dieser angespannten | |
Haushaltslage gibt es von Christian Lindner für die nächsten zwei Jahre | |
jeweils 2 Milliarden Euro vom Bund an die Länder, damit sie | |
Qualitätsstandards in der frühkindlichen Bildung verbessern können“, sagt | |
sie. „Lindner war das wichtig. Was bleibt, ist aber der Eindruck: Der | |
Finanzminister will kein Geld geben. Aber das ist einfach nicht wahr.“ | |
Gyde Jensen frustriert das, auch weil es die Verantwortung verkürzt, „die | |
hier eigentlich die Länder tragen müssen“. Derzeit arbeiten Bund und Länder | |
an einer Übergangslösung, aber perspektivisch sollen die Länder das | |
Sprachprogramm in ihre Finanzierung integrieren. | |
An der Größe der Krise gemessen, ist Gyde Jensen dennoch zufrieden mit der | |
Ampel. Sie wünscht sich, dass nicht mehr so viel Geld mit der Gießkanne | |
verteilt wird, damit die kommende Generation nicht einen Haufen Schulden | |
übernehmen muss. Künftige Entlastungspakete sollten sich „auf die | |
konzentrieren, die es wirklich nötig haben“, sagt sie und nennt die | |
Erhöhung des Kindergeldes, von der auch sie profitiert. „Die Gyde Jensens | |
in diesem Land brauchen keine Entlastung.“ Die FDP müsse „mit geradem | |
Rücken“ dazu stehen, „das wir nicht pauschal immer wieder Geld an alle | |
verteilen.“ | |
Nur ist das Problem der FDP nicht, dass sie das Geld immer nur den Ärmsten | |
geben will. Beim Tankrabatt ist bis heute nicht klar, wie viel Geld einfach | |
in den Taschen der Mineralölkonzerne gelandet ist. 2013 flog die FDP aus | |
dem Bundestag, weil ihr Klientelpolitik vorgeworfen wurde und sie wie eine | |
Oppositionspartei in Regierungsveranwortung klang. Es ist diese Folie, vor | |
der auch die jetzige FDP ihre Rolle in der Ampel finden muss. Kann sie mehr | |
als das Schlimmste von Rot-Grün verhindern? Bislang scheitert sie daran. | |
Holte die FDP bei der Bundestagswahl noch 11,5 Prozentpunkte, liegt sie in | |
Umfragen derzeit bei 7 Prozent. Bei den Saarlandwahlen verpasste sie den | |
Einzug in den Landtag. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein | |
[4][büßte sie deutlich ein] und verlor beide Regierungsbeteiligungen. Auf | |
die Wahl in Niedersachsen am Sonntag gucken viele in der Partei mit Sorge. | |
„Die Rolle der FDP im Ampelbündnis ist ein Drahtseilakt“, sagt Max | |
Mordhorst Ende September am Telefon. „Gerade die Grünen kommen immer wieder | |
mit neuen Ideen, wie sie den Koalitionsvertrag brechen können. Die einen | |
FDP-Wähler werfen uns vor, dass wir mit Rot-Grün zu viel mitmachen, | |
gleichzeitig würde es kaum einer begrüßen, wenn wir aus der Regierung | |
austreten.“ Die Lösung? „Durchhalten“, sagt er, „und besser kommunizie… | |
wofür wir stehen.“ Nach Euphorie klingt das nicht. Mordhorst macht keinen | |
Hehl daraus, dass ihm Schwarz-Gelb lieber gewesen wäre. | |
Dabei kommt er aus einer sozialdemokratisch geprägten Familie. Seine Mutter | |
arbeitet als Sekretärin beim Deutschen Gewerkschaftsbund, sein Vater ist | |
Landwirt und langjähriges SPD-Mitglied. Nach der Trennung der Eltern bleibt | |
Mordhorst bei seiner Mutter. „Ich glaube, mich hat das unterbewusst zur FDP | |
gebracht.“ Seine Mutter habe sich oft durchkämpfen müssen und sie war es, | |
die ihm mitgegeben habe: „Beschwer dich nicht immer, sondern mach das | |
Bestmögliche.“ | |
Im FDP-Wahlprogramm heißt das: das Aufstiegsversprechen erneuern. Es ist | |
auch das, was Jens Teutrine will. Zwischen Mordhorst und ihm gibt es | |
Parallelen. Die alleinerziehende Mutter, das Hochkämpfen, die Vorliebe für | |
Rap. Vielleicht ist es die Erzählung des Selfmademan, die eine gewisse | |
Härte befördert. Teutrine ist ein Verfechter von Sozialsanktionen. „Es ist | |
nicht mein Herzensthema, aber es ist nicht zu viel verlangt zu sagen: Bitte | |
wirke im Rahmen deiner Möglichkeiten mit.“ | |
Ein weiteres Streitthema in der Ampel war die Höhe der Regelsätze – diese | |
werden mit der Reform besser an die Inflation angepasst, aber nicht | |
grundsätzlich anders berechnet. Die FDP wollte das nicht. „Mir ist die | |
Grundidee des Lohnabstandsgebots wichtig“, erklärt Teutrine. Damit die | |
Putzfrau mehr hat als eine Hartzerin? „Es geht um das | |
Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen: Wenn die einen hart arbeiten und | |
die Heizkosten selbst tragen müssen, aber nicht spürbar mehr Geld haben als | |
diejenigen, die nicht arbeiten, dann ist das eine Gefahr für den sozialen | |
Frieden.“ Es sei falsch, einen Sozialpolitiker nur „daran zu messen, wie | |
viel Geld er ins System pumpen will.“ | |
Gyde Jensen hat nun in einem Brief den iranischen Botschafter in | |
Deutschland aufgefordert, sich gegen das Hidschab-Gesetz im Iran | |
einzusetzen. „Die Herausforderung ist doch, die akute Krise zu meistern und | |
gleichzeitig nicht die langen Linien aus dem Blick zu verlieren“, sagt sie. | |
Die lange Linie – das ist für Jensen zum Beispiel der Umgang mit | |
Autokratien. Die Bundesrepublik und die EU bräuchten dringend einen anderen | |
Umgang mit China. In ihrem Büro hängen Bilder eines chinesischen Künstlers, | |
der sich mit der Widerstandbewegung beschäftigt. | |
Liberale Politik ergibt sich aus der Summe derer, die liberale Politik | |
machen. Mordhorst, Teutrine und Jensen eint ihr Verständnis, sparsam mit | |
öffentlichen Geldern umzugehen und dem Individuum Eigenverantwortung | |
zuzumuten – nur sie interpretieren das jeweils anders, stehen für | |
unterschiedliche Schattierungen von liberal. Wie die FDP-Politik der | |
Zukunft aussieht, wird sich erst zeigen, wenn die Macht von Christian | |
Lindner bröckelt. | |
10 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/maxmordhorst/status/1573741658696548352 | |
[2] /Ergebnisse-der-Bundestagswahl/!5803810 | |
[3] /Sozialpolitik-der-FDP/!5833772 | |
[4] /Wahlschlappe-der-FDP/!5852532 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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