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# taz.de -- Landtagswahl in Österreich: Zeitenwende in Tirol
> Die Tiroler ÖVP stürzt ordentlich ab, die rechte FPÖ profitiert am
> meisten. Die ÖVP versucht dennoch, die Niederlage als Sieg zu deuten.
Bild: Anton Mattle, Spitzenkandidat der ÖVP bei der Tiroler Landtagswahl
Wien taz | Wie man eine krachende Niederlage in einen Sieg umdeuten kann,
zeigte am Sonntag die Tiroler ÖVP, die einen Absturz von 44,2 Prozent auf
34,7 Prozent erlitt. Als Messlatte sah man aber nicht das Ergebnis von
2018, sondern die ungünstigste Umfrage, die die Konservativen bei 25
Prozent gesehen hatte.
Abgewählt ist auch die schwarz-grüne Koalition, die keine gemeinsame
Mandatsmehrheit zustande bringt. Die Grünen verloren 1,5 Prozentpunkte und
landeten bei 9,2 Prozent. Wahlgewinner ist die rechte FPÖ, die sich von
15,5 auf 18,9 Prozent verbesserte. Keine andere Kraft hat mehr von der
Abfolge von Krisen profitiert. FPÖ-Landesparteichef Markus Abwerzger hatte
schon im Wahlkampf den Anspruch auf den Posten des Landeshauptmanns
erhoben.
Als der schwarze Balken der ersten Hochrechnung auf über 34 Prozent stieg,
brach im Lokal der ÖVP Jubel aus. Nicht, weil ihre Partei das historisch
schlechteste Ergebnis einfuhr, sondern weil der Verlust sich in Grenzen
hielt. Dass die ÖVP nach dem Abgang von Strahlemann Sebastian Kurz Ende
vergangenen Jahres und ungezählten Skandalen abgestraft würde, hatte sich
längst abgezeichnet. Entscheidend ist, dass der Sessel des Landeshauptmanns
erfolgreich verteidigt wurde.
Der bisherige Inhaber [1][Günther Platter] war gar nicht mehr selbst in den
Ring gestiegen, sondern hatte die erwartbare Niederlage seinem
Parteifreund, dem gelernten Fernsehtechniker [2][Anton Mattle], ehemals
Bürgermeister des bekannten Skidorfes Galtür, überlassen. Der Anton aus
Tirol suchte größtmögliche Distanz zu seiner angeschlagenen
Gesinnungsgemeinschaft und trat als „Liste Mattle“ auf dem Stimmzettel an.
Unmittelbar nach der Wahl stellte er den Anspruch auf den Posten des
Landeshauptmanns, den ihm wohl auch keiner streitig machen kann. Zu
Koalitionspräferenzen hielt er sich bedeckt. Ausgeschlossen hat er nur eine
Zusammenarbeit mit der FPÖ.
## Zuwachs für SPÖ gering
Geringer als erhofft fiel der Zuwachs der SPÖ – von 17,3 auf 17,5 Prozent –
aus. SPÖ-Tirol-Chef Georg Dornauer hatte sich schon im Wahlkampf als
Juniorkandidat für die ÖVP angeboten. ORF-Politologe Peter Filzmaier steht
nicht allein, wenn er eine schwarz-rote Koalition für die nächsten vier
Jahre für die wahrscheinlichste Variante hält.
Rechnerisch wäre für die ÖVP zwar auch eine Dreierkoalition mit den Grünen
und der Liste Fritz möglich, doch hält sich Mattle diese Option wohl nur
aus verhandlungstaktischen Gründen offen. Die Liste Fritz ist eine sozial
wärmere Variante der ÖVP, die sich vor 14 Jahren unter dem
Arbeiterkammerfunktionär Fritz Dinkhauser von der Mutterpartei abgespalten
hat. Sie verbesserte sich von 5,5 auf 9,9 Prozent und freut sich über die
höchsten Zugewinne.
Die ÖVP ist nicht nur durch den bundesweiten Gegenwind beschädigt, sie hat
auch die Veränderungen der letzten Jahrzehnte in der Alpenprovinz
verschlafen. Aus dem engstirnigen katholischen Bergvolk, das über
Generationen zuverlässig konservativ gewählt hat, ist eine politisch mobile
Bevölkerung geworden, die auch abseits der grün regierten Landeshauptstadt
Innsbruck die Zeichen der Zeit liest.
Das Erschließen der Bergwelt durch immer neue Lifte und Pisten ist an seine
Grenzen gestoßen. Vor wenigen Wochen wurde die [3][ökologisch verheerende
Verbindung zweier Täler] durch neue Skilifte in einem Referendum zu Grabe
getragen.
## ÖVP erreicht junge Wähler nur schwer
28 Prozent der ÖVP-Wähler gaben als wichtigstes Wahlmotiv an, sie hätten
schon immer diese Partei gewählt. Hätte man nur die Unter-30-Jährigen an
die Urnen gelassen, wäre die ÖVP mit 17 Prozent nur Dritte geworden. Von
den Über-60-Jährigen hat hingegen jede und jeder Zweite die
Landeshauptmannpartei gewählt.
Nachdenklich in der ÖVP zeigte sich einzig Bildungslandesrätin Beate
Palfrader, die davon sprach, das Wahlergebnis müsse „die Partei wirklich
aufrütteln.“ Sie wünscht sich mehr junge Leute in der künftigen
Landesregierung. Der Wechsel vom 68-jährigen Platter zum 59-jährigen Mattle
kann schwer als Generationenwechsel gelesen werden.
Wie jede Regierung in Europa mussten auch ÖVP und Grüne hinnehmen, dass die
Wählerschaft ihren Frust über das Weltgeschehen an ihnen ausließ. Im
Vordergrund des Wahlkampfes stand diesmal nicht das urtirolerische Problem
des Transitverkehrs, sondern die Teuerung und die zunehmend unleistbaren
Kosten von Miete und Energie.
26 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.meineabgeordneten.at/Abgeordnete/Guenther.Platter
[2] https://www.meineabgeordneten.at/Abgeordnete/anton.mattle
[3] https://www.derstandard.de/story/2000105373161/protest-gegen-verbindung-zwe…
## AUTOREN
Ralf Leonhard
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Wahl Österreich
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