# taz.de -- Verkehrswende in Kiel: Die Bahn kommt | |
> In Kiel mangelt es an ÖPNV. Eine Studie wie sich das ändern ließe, hat | |
> ergeben: Die Tram ist für Kiel besser als spurgeführte Busse. | |
Bild: Verkehrsmittel mit unverhoffter Zukunft: Straßenbahn in Kiel 1964 | |
KIEL taz | Vor fast vierzig Jahren rollte die letzte Tram in Kiel. Wenn | |
alles gut läuft, wird in zehn Jahren erneut eine Straßenbahn durch die | |
Straßen der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt fahren. | |
[1][Seit Einstellung der Tram 1985 beschränkt sich der Nahverkehr in Kiel | |
auf Busse und Fähren. Das Busnetz stößt jedoch mittlerweile vor allem in | |
der Innenstadt und an Knotenpunkten an seine Grenzen.] Zu | |
Hauptverkehrszeiten sind die Busse oft überlastet, die Kapazitäten | |
begrenzt. Nur wenige europäische Städte vergleichbarer Größe besitzen kein | |
ÖPNV-System mit einem eigenen, vom Autoverkehr unabhängigen Trassen-Netz. | |
Vor zwei Jahren hat die Stadt im zweiten Anlauf eine Trassenstudie für | |
solch ein Nahverkehrssystem in Auftrag gegeben. In einer zweijährigen | |
Untersuchung durch das Planungsbüro Rambøll wurden die [2][Potenziale einer | |
Straßenbahn] und eines [3][BRT (Bus-Rapid-Transit)] auf den wichtigsten | |
Routen für Kiel verglichen. Beide Systeme fahren zu weiten Teilen auf | |
eigenen Spuren, werden über ein Oberleitungssystem mit Strom versorgt und | |
sind länger als herkömmliche Busse, wie sie zurzeit in Kiel fahren. | |
Da die Tram in ihrer längsten Version mehr als doppelt so lang ist wie die | |
25 Meter langen BRT-Fahrzeuge, wurden der Planung unterschiedliche Takte zu | |
Grunde gelegt. Die Fahrzeuge des BRT sollen zu Hauptverkehrszeiten alle | |
fünf Minuten verkehren, während die Tram für die gleiche Kapazität nur alle | |
zehn Minuten fahren muss. | |
## Busse an der Kapazitätsgrenze | |
„Allerdings würde das BRT in unseren Berechnungen in einigen Abschnitten | |
schon jetzt die Kapazitätsgrenze überschreiten, die Frequenz kann nicht | |
weiter erhöht und das Fahrzeug nicht verlängert werden“, erläutert Nils | |
Jäning vom Planungsbüro Rambøll. Bei der Tram sieht das anders aus, denn | |
sowohl über die Länge der Züge als auch über die Frequenz der Abfahrten bis | |
hin zu einem Fünf-Minuten-Takt ließen sich in Zukunft mehr als doppelt so | |
viele Fahrgäste mitnehmen. Der Vorteil liegt hier klar beim | |
schienengebundenen System. | |
Günstiger ist die Tram auch im Unterhalt, weil sie weniger Personal | |
benötigt als das BRT. Eine Förderung vom Bund, die insgesamt etwa die | |
Hälfte der anfallenden Kosten ausmachen würde, gilt als gesichert, während | |
das BRT vom Bund gar nicht gefördert werden würde. Das sieht inzwischen | |
auch die oppositionelle CDU so, die sich in der Systemfrage nun ebenfalls | |
für die Tram ausspricht. | |
Um Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, seien Bürger:innen und | |
Anlieger:innen seit Beginn der Planungen einbezogen worden, berichtet | |
Anne Steinmetz, im Projekt zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und | |
Bürgerbeteiligung. | |
„Wir hatten eine frühere Diskussion über eine Stadt-Regional-Bahn, die | |
krachend an zwei Punkten gescheitert ist: Zum einen fehlte die | |
Unterstützung aus dem Kieler Umland, das ebenfalls von der Bahn erschlossen | |
werden sollte, aber auch die Geschäftsleute aus der Holtenauer Straße | |
standen der Bahn besonders kritisch gegenüber“, sagte Oberbürgermeister Ulf | |
Kämpfer (SPD) der taz. „Deswegen haben wir diesmal die Gewerbetreibenden in | |
der Holtenauer Straße sehr früh in die Planung mit eingebunden.“ | |
Mit Erfolg, denn die Stadt und die Gewerbetreibenden aus der wichtigsten | |
Einkaufsstraße Kiels konnten nun eine Einigung erzielen: Drei der vier | |
neuen Linien werden voraussichtlich durch die stark frequentierte Straße | |
führen. | |
„Durch die Tram verspreche ich mir eine große Attraktivitätssteigerung, | |
indem auch die Stadtteile Mettenhof und Gaarden und das gesamte Ostufer gut | |
angebunden werden“, sagt Kämpfer. Insbesondere das Ostufer ist bislang | |
schlechter an die Innenstadt angebunden. Die neue Straßenbahn soll dabei | |
noch größere Teile des Ostufers bedienen als die Linie 4 des alten | |
Straßenbahnnetzes. | |
Die insgesamt vier neuen Linien verlaufen nur zum Teil auf den Trassen der | |
ehemaligen Tram. „Städtebaulich hat sich seitdem einiges entwickelt, | |
weswegen verschiedene Vorschläge und Faktoren in die Trassenstudie mit | |
eingeflossen sind“, sagt Christoph Karius, Leiter der Stabsstelle Mobilität | |
der Stadt. Die neuen Strecken sollen nun die Korridore mit der größten | |
Nachfrage abdecken, Erweiterungen in den Norden und Süden für eine | |
zukünftige Stadtentwicklung sind ebenfalls eingeplant. | |
„Mein Eindruck ist, dass das Projekt einen großen Rückhalt hat und die | |
Stadtgesellschaft nicht mehr über das ‚Ob‘, sondern nur noch über das | |
‚Wann‘ und ‚Wie‘ diskutiert“, sagte Kämpfer. | |
Ob eine Fertigstellung bis 2033 gelingt? „Zuversichtlich bin ich“, meinte | |
der Kieler Oberbürgermeister und fügte hinzu: „Ich hätte es auch gerne | |
schneller, aber wir schaffen hier eine Infrastruktur, die für Jahrzehnte, | |
wenn nicht Jahrhunderte, die Stadt prägen soll, da ist die Absicherung des | |
Projekts wichtiger, als dass wir es ein, zwei Jahre schneller | |
fertigstellen.“ | |
## Nahverkehrsfrieden geschlossen | |
Jan Niemeyer hofft, dass der Zeitplan noch optimiert werden kann: „Wir sind | |
guter Dinge, das die Straßenbahn sich schneller fertigstellen lässt“, sagt | |
der Gründer der [4][Bürgerinitiative „Tram für Kiel“, die sich seit 2010 | |
für eine Straßenbahn in der Stadt stark macht.] | |
Dass sich die Tram argumentativ gegenüber dem BRT durchgesetzt hat, muss | |
nun noch final von der Ratsversammlung bestätigt werden – eigentlich reine | |
Formsache, denn in einem „Nahverkehrsfrieden“ haben sich die Parteien auf | |
das Befolgen der Ergebnisse der Trassenstudie geeinigt. Dann geht es für | |
das Projekt in ein Planfeststellungsverfahren, bis 2030 mit dem Bau | |
begonnen werden kann. Bis 2038 möchte die Stadt die vollen 36 Kilometer | |
Straßenbahn fertigstellen. | |
5 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Mobilitaetswende-in-Kiel/!5756628 | |
[2] /Stadtbahndebatte-in-Hamburg/!5881633 | |
[3] /Neue-Busse-fuer-die-Hauptstadt/!5170003 | |
[4] https://tram-kiel.de/ | |
## AUTOREN | |
Niklas Berger | |
## TAGS | |
Verkehrswende | |
Verkehr | |
Mobilität | |
ÖPNV | |
Kiel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Straßenbahn | |
Straßenbahn | |
Verkehrswende | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Klimaschutz in Schleswig-Holstein: „Ein Schlüsselmoment“ | |
Kiels Bürgermeister Ulf Kämpfer will die Wirtschaft dekarbonisieren. Dazu | |
ließ er sich zum Präsidenten des Verbands der Kommunalen Unternehmen | |
wählen. | |
Studienautor über Hamburger Nahverkehr: „Die Straßenbahn fehlt hier im Mix�… | |
Hamburg sollte Straßenbahnen bauen, damit mehr Menschen den ÖPNV nutzen und | |
das Klima geschützt wird, sagt der Pro Stadtbahn-Verkehrsexperte Jens Ode. | |
Debatte um Hamburgs Verkehrspolitik: Tramophobie im Rathaus | |
Hamburgs Bürgermeister bezeichnet Straßenbahnen als „altmodische | |
Stahlungetüme“. Keine Großstadt baue sie heute noch in ihr Zentrum. Aber | |
stimmt das? | |
Verkehrswende in Osnabrück: Weniger Autos, mehr Straßenbahn | |
1960 hat Osnabrück seine Straßenbahn abgeschafft. Jetzt lässt die | |
niedersächsische Stadt prüfen, ob es sich lohnt, eine neue zu bauen. |