# taz.de -- Ammoniakproduktion in Mexiko: Fabrik statt Mangrovenwälder | |
> Eine deutsch-schweizerische Holding will in Mexiko eine Düngemittelfabrik | |
> bauen. Die Menschen vor Ort fürchten um ihre Lebensgrundlagen. | |
Bild: Die Fischer fürchten, dass die Fabrik ihre Lebensgrundlage gefährden wi… | |
Ohuira taz | Felipe de Jesús Montaño Valenzuela erinnert sich noch gut an | |
seinen Besuch in Deutschland. Mit seiner Band ist der indigene Mexikaner | |
2011 nach Berlin gereist, um auf dem Wassermusik-Festival zu spielen. Für | |
ihren Auftritt wollten die Musiker ein paar Sträucher aus dem Wald holen, | |
wurden dabei aber rüde aufgehalten. | |
Das sei streng verboten, erklärte man ihnen. „Klar, dachten wir uns, wir | |
sind hier nicht zu Hause, also machen wir, was man uns sagt“, erzählt | |
Montaño. In seiner Heimat musste er das Gegenteil erleben: „Ohne uns zu | |
fragen, fällten die Deutschen auf einer 24 Hektar großen Fläche alles, was | |
wuchs, während wir wegen ein paar Ästen Ärger bekamen.“ | |
Montaño, weißer Hut, helles Hemd, rotes Halstuch, ist der Sprecher der | |
Mayo-Yoreme-Indigenen im nordmexikanischen Bundesstaat Sinaloa. Mit einem | |
guten Dutzend Mitstreiter sitzt er unter einem Dach in seiner Gemeinde | |
Ohuira, um die aktuelle Lage zu besprechen. Seit acht Jahren kämpfen sie | |
gegen Pläne der deutsch-schweizerischen Holding Proman, nahe der Hafenstadt | |
Topolobampo eine Düngemittelfabrik zu bauen. | |
2.200 Tonnen Ammoniakgas sollen dort täglich produziert werden. 2014 | |
genehmigte das Umweltministerium den Bau in der Bucht von Ohuira, einem | |
geschützten Feuchtgebiet im Golf von Kalifornien. Kaum bewilligt, schuf die | |
Proman-Betreiberfirma GPO Fakten: Auf einem 24 Hektar großen Gelände baute | |
sie ihr Bürogebäude und zerstörte ganze [1][Mangrovenwälder]. | |
## „Wir wurden nicht informiert“ | |
Von der Fabrik selbst ist jedoch bislang nichts zu sehen. Bewohnerinnen und | |
Bewohner aus Ohuira sowie weiteren Gemeinden haben durchgesetzt, dass sie | |
befragt werden müssen, bevor eine solche Anlage auf ihrem Land erstellt | |
wird. So sieht es internationales Recht vor, und das bestätigte im April | |
auch Mexikos Oberster Gerichtshof. Erst wenn die Indigenen zustimmen, darf | |
gebaut werden. „Wir wurden jedoch nicht einmal vorab informiert“, | |
kritisiert Montaño. | |
Die Menschen in der Bucht haben Angst. Viele von ihnen sind Fischer und | |
leben von den Krebsen, Garnelen und Fischen der Lagune. Sie fürchten um ihr | |
Einkommen, weil der Tierbestand zurückgehen könnte. „Das Wasser wird | |
entsalzt und in der Anlage als Kühlwasser genutzt, der Rest fließt als | |
heiße Salzlake in die Lagune zurück“, erklärt die Meeresbiologin Diana | |
Escobedo. | |
Da das Gewässer wegen der kleinen Öffnung zum Meer ein relativ | |
geschlossenes System sei, würden Schadstoffe sehr lange in der Bucht | |
bleiben. Die Wissenschaftlerin, die das Institut für nachhaltige | |
Entwicklung der Universität IPN leitet, warnt zugleich vor Fugen in der | |
Gasleitung: „Im Radius von 14,5 Kilometer würden alle, die Indigenen, die | |
Fischer, alle im Hafen von Topolobampo unmittelbar sterben.“ | |
## Gebiet mit besonderem Schutz | |
Eigentlich dürfte diese Anlage hier gar nicht geplant werden, ergänzt die | |
Fischerin Melina Maldonado. „Wir leben in einem Feuchtgebiet, das unter das | |
Ramsar-Abkommen fällt“, sagt die 43-Jährige aus dem Dorf Lázaro Cárdenas. | |
Diese internationale Konvention von 1971 schreibt vor, dass solche Gegenden | |
besonders geschützt werden müssen. | |
Die Proman-Holding, eine der weltweit größten Düngemittelherstellerinnen, | |
hält dennoch an ihrem Vorhaben fest. 1,2 Milliarden US-Dollar soll die | |
Anlage kosten, 860 Millionen davon erhält die Firma von der Kreditanstalt | |
für Wiederaufbau (KfW), abgesichert durch Hermes-Bürgschaften der | |
Bundesregierung. Für die deutsche Wirtschaft wäre die Fabrik lukrativ: 390 | |
Millionen US-Dollar des Kredits gehen direkt an deutsche Firmen, die Geräte | |
für die Anlage herstellen. | |
Um die Anleihe zu erhalten, muss GPO Umwelt- und Sozialstandards einhalten. | |
Die KfW sieht hier keine Probleme. Studien zufolge sei eine erhebliche | |
Wassererwärmung ausgeschlossen, heißt es auf Anfrage. Da es sich um eine | |
kleine Fläche handele, spiele das Ramsar-Abkommen keine Rolle. Auch das | |
Risiko eines Lecks in der Gasleitung besorgt die Kreditanstalt nicht. „Das | |
Gefahrenpotential von (austretendem) Ammoniak ist uns bekannt“, schreibt | |
die KfW auf Anfrage und beruhigt: „Die vorliegenden Notfallpläne wurden von | |
unserem Gutachter positiv bewertet.“ | |
GPO-Projektentwickler Victor Vaca will sich im Gespräch nicht länger an | |
einem möglichen Notfall aufhalten: „Ich denke, wir müssen nicht auf | |
hypothetische Fragen eingehen, sondern die Realität betrachten.“ Bislang | |
sei niemand aufgrund der Ammoniakproduktion ums Leben gekommen. Maldonado, | |
Montaño und ihre Leute beruhigt das nicht. Niemand hat hier vergessen, dass | |
2005 in der Nähe 38 Menschen ums Leben kamen, weil ein mit Ammoniak | |
beladener Tanklaster einen Unfall hatte. Die meisten starben an | |
Vergiftungen und Verbrennungen, die das Gas verursacht hatte. | |
## Hier nicht, fordern die Bewohner | |
Am Ufer von Lázaro Cárdenas, dort, wo die Fischerin Maldonado mit ihrem | |
Boot anlegt, verweisen zwei Worte deutlich auf die Forderung vieler | |
Dorfbewohner: „Aquí no!“ – „Hier nicht!“ – ist schon aus der Ferne… | |
einer Hauswand zu lesen. Doch nicht alle sind gegen die Fabrik. GPO | |
verspricht 2.500 Arbeitsplätze während der Bauphase. Danach würden 265 | |
qualifizierte Arbeiterinnen oder Arbeiter gebraucht. Das spricht viele an. | |
Außerdem hilft das Unternehmen Menschen mit finanziellen Problemen. Etwa | |
Agustin Bacasegua. „Du kaufst Medikamente und sie übernehmen die Rechnung“, | |
berichtet der 59-Jährige. Seit die Firma Gemeindevertreter zu einer Reise | |
in ihre Ammoniakfabrik in Trinidad und Tobago eingeladen hat, geht in | |
Lázaro Cárdenas nichts mehr zusammen. | |
Für Maldonado ist das Bestechung. „Sie haben die Gemeinde mit ihrem Geld | |
gespalten“, klagt die Mittvierzigerin, die auch an einer indigenen | |
Universität Soziologie studiert. Selbst ihr Bruder Juan Carlos unterstützt | |
die Fabrik, obwohl er früher gegen sie kämpfte. „Wir haben hier | |
ausgebildete Kinder, und sie werden die ersten sein, die in der Fabrik | |
arbeiten“, sagt er heute. Er hofft darauf, dass mit der | |
Düngemittelproduktion heimische Unternehmen gestärkt werden. | |
Darauf setzt auch Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador. Der | |
linksnationalistische Staatschef will das Land unabhängiger von Importen | |
machen, und da passt eine Ammoniakfabrik in Sinaloa bestens ins Konzept. In | |
dem Bundesstaat sind in den letzten Jahren zahlreiche Agraranlagen | |
entstanden, die Mais, Tomaten, Weizen und andere Lebensmittel herstellen. | |
Gerade jetzt, wo Düngemittel durch den Ukrainekrieg immer teurer würden | |
oder gar nicht zu haben seien, wäre eine eigene Produktion in der | |
Kornkammer Mexikos hilfreich, ist López Obrador überzeugt. | |
Auch Montaños Gemeinde Ohuira ist von Feldern umsäumt, in denen industriell | |
landwirtschaftlich angebaut wird. Dennoch hält der Indigene an den | |
Prinzipien der Mayo-Yoreme fest. Daran, dass der Mensch als Teil der Natur | |
seine Lebensgrundlagen nicht zerstören darf. „Wir haben ein viel größeres | |
Unternehmen als diese Ammoniakfabrik: das Meer, die Fischer und die | |
Kooperativen“, sagt er. Schon seit GPO ungefragt 24 Hektar Land samt | |
Mangrovenwälder ruiniert hat, gibt es für ihn keinen Grund mehr, mit der | |
Firma zu verhandeln. | |
Und nun, so findet er, wurden seine Leute erneut betrogen. Nachdem das | |
Gericht den betroffenen Gemeinden Recht gegeben hatte, fanden in den | |
letzten Monaten tatsächlich Befragungen statt. In Ohuira, Lázaro Cardenas | |
und zwei weiteren betroffenen Dörfern sprach sich eine Mehrheit gegen den | |
Bau aus. Allerdings wurden auch zehn Gemeinden einbezogen, die sich fernab | |
der Anlage befinden, und die unterstützen fast alle den Bau. Die Richter | |
hätten sich explizit auf die betroffenen Dörfer bezogen, und die hätten ja | |
auch geklagt, kritisieren die Gegner der Fabrik. Um zu bauen, müsse nun | |
ohnehin erst ein neues Umweltgutachten erstellt werden, sind. | |
Wie es weitergeht, ist also noch offen. In den Dörfern spitzt sich die Lage | |
indes zu. Maldonado, zwei Sprecherinnen anderer Gemeinden sowie er seien | |
bedroht worden, informierte Montaño Ende September. „Mein Leben und das | |
meiner Kameradinnen ist in Gefahr, aber wir werden keinen Schritt | |
zurückweichen“, sagte er. Wenn man ihre Rechte nicht respektiere, so der | |
indigene Sprecher, müssten sie diese notfalls mit Waffen verteidigen. | |
6 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Forderungen-des-IPCC-Berichts/!5836887 | |
## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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