# taz.de -- Hamburger Kriegsgedenkstätte restauriert: Damit die Erinnerung ble… | |
> Der Ohlsdorfer Friedhof hat 304 Steine der polnischen Kriegsgrabstätte | |
> restauriert. Sie erinnert an die Toten des Zweiten Weltkrieges vor 80 | |
> Jahren. | |
Bild: Die frisch restaurierten Gräber polnischer NS-Opfer | |
HAMBURG taz | Auf dem [1][Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg] liegt eine der | |
größten Kriegsgräberstätten Deutschlands. Zum 83. Jahrestag des deutschen | |
Angriffs auf Polen, dem Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. 9. 1939, | |
wurden nun 304 Gräber der polnischen Kriegsgrabstätte saniert. | |
Sie sind nicht die einzigen Gräber polnischer Opfer auf diesem Friedhof. | |
Insgesamt 1.229 polnische Staatsbürger:innen sind dort bestattet. Meist | |
handelt es sich bei den Opfern um Häftlinge aus dem KZ Neuengamme und | |
seinen Außenlagern. | |
Allein über 700 KZ-Häftlinge lägen auf dem Friedhof begraben, sagt Jakub | |
Deka von der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung in Warschau. Zudem | |
wurden auch [2][Zwangsarbeiter:innen und ihre Kinder] hier bestattet | |
sowie Menschen, die während des Krieges zum Beispiel bei Luftangriffen oder | |
durch Erschöpfung oder Krankheiten umkamen. | |
Auch einige „Displaced Persons“ sind auf dem Friedhof bestattet worden. Oft | |
waren auch sie während des Krieges im KZ oder mussten Zwangsarbeit leisten. | |
Nach Kriegsende haben sie Wochen, Monate, teilweise Jahre in Deutschland | |
verbracht. Manche wollten in ihre Heimat zurück, einige warteten auf die | |
Auswanderung etwa nach Großbritannien, in die USA oder nach Australien. | |
Viele sind nach Kriegsende noch in Deutschland gestorben. Nach deutschem | |
Recht gelten auch ihre Gräber als Kriegsgräber. | |
## Betonkreuze durch Kissensteine ersetzt | |
Die 304 auf der polnischen Kriegsgrabstätte Bestatteten gehören zu allen | |
oben erwähnten Gruppen, auch einige KZ-Häftlinge sind unter ihnen. 1959 | |
wurde die Grabstätte angelegt, ursprünglich noch mit Betonkreuzen. 1973 | |
wurden sie durch Kissensteine ersetzt. | |
Im Rahmen der jetzigen Sanierung – einem gemeinsamen Projekt der Stiftung | |
Polnisch-Deutsche Aussöhnung, des polnischen Generalkonsulats und des | |
Friedhofs – wurden die Kissensteine nun restauriert und die Inschriften | |
nachgemeißelt. | |
Die Grabstätte mache einen leicht unordentlichen Eindruck, sagt | |
Friedhofssprecher Lutz Rehkopf. Denn die Steine lägen nicht exakt in einer | |
Flucht, sondern so, wie sie 1959 angelegt wurden. „Man hätte dies | |
korrigieren können, hat sich aber bewusst an die historische Position | |
gehalten“, sagt Rehkopf. | |
Außerdem wurden zehn Granitkreuze aufgestellt – Repliken der einstigen | |
Betonkreuze – sowie eine zweisprachige Informationsstele und mehrere | |
Gedenktafeln. Auf letzteren stehen die Namen aller 1.229 in Ohlsdorf | |
bestatteten Pol:innen. | |
Zwei Jahre hätten Vorbereitungen, Recherchen und Sanierung gedauert, | |
erklärt Jakub Deka. Das Projekt sei mit umgerechnet 160.000 Euro vom | |
polnischen Kulturministerium gefördert worden. Insgesamt sei es sogar etwas | |
teurer gewesen, weil sich die deutsche Seite – etwa die Friedhofsverwaltung | |
– auf eigene Kosten mit Baumaßnahmen engagiert habe. | |
Die restlichen fast 1.000 Gräber polnischer Staatsbürger:innen in | |
Ohlsdorf zu restaurieren, sei nicht geplant, sagt Deka. Sie würden nach und | |
nach von der Friedhofsverwaltung saniert. Allerdings sollten ähnliche | |
Maßnahmen in anderen deutschen Städten folgen, sagt er. „Möglicherweise in | |
Stuttgart oder Ulm.“ | |
## Wissen geht langsam verloren | |
Für die Erinnerungsarbeit spiele die Grabstätte in Ohlsdorf eine wichtige | |
Rolle, sagt Iris Groschek, Pressesprecherin der [3][KZ-Gedenkstätte | |
Neuengamme]. Von den geschätzt 42.900 Menschen, die dort ermordet wurden, | |
seien nur etwa 25.000 namentlich bekannt. | |
Das ehemalige KZ werde jährlich von vielen Pol:innen aufgesucht. Für sie | |
sei es wichtig zu erfahren, was genau mit ihren Angehörigen passiert sei. | |
„Den meisten können wir es nicht sagen. Bei denen, deren Angehörige in | |
Ohlsdorf begraben liegen, geht es aber.“ | |
In den 1980ern habe die [4][Gedenkstättenarbeit Fahrt aufgenommen]. „Damals | |
kamen noch Überlebende zu uns und haben berichtet. Heute kommt die zweite, | |
teilweise sogar vierte Generation“, sagt Groschek. Häufig brächten die | |
Besucher:innen Fotos mit, wodurch die Gedenkstätte den Namen Bilder | |
zuordnen könne. Im Gegenzug könnten Angehörige sich dort mittels | |
Archivmaterial über ihre Familienmitglieder informieren. Im Jahr 2021 seien | |
rund 1.500 Anfragen hierzu eingegangen. | |
Das Wissen über Kriegsgräber gehe langsam verloren, sagt Friedhofssprecher | |
Rehkopf. Erinnerungstafeln und -stelen könnten dem ein wenig | |
entgegenwirken. Die polnische Grabstätte in Ohlsdorf sei aber auch für die | |
praktische Erinnerungsarbeit wichtig. | |
„Bildungsarbeit heißt nicht nur Biografiearbeit, sondern manchmal auch | |
Gräber reinigen mit Wasser, Gießkanne und Bürste, um Erinnerung | |
wachzuhalten“, betont Rehkopf. Das mache etwas mit den Kindern und | |
Jugendlichen. „Bildungsarbeit buchstabiert sich durch Tätigkeit und durch | |
Lernen.“ | |
8 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Friedhof-in-Hamburg/!5836997 | |
[2] /Zwangsarbeiterinnen-Kinder-in-Hamburg/!5711100 | |
[3] https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/ | |
[4] /Historikerin-ueber-TikTok-in-Gedenkstaette/!5868344 | |
## AUTOREN | |
Marco Fründt | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg | |
NS-Opfer | |
NS-Verbrechen | |
Polen | |
Erinnerung | |
Friedhof | |
Hamburg | |
Polen | |
Schleswig-Holstein | |
NS-Dokumentationszentrum | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Polen fordert Reparationen: Rechnung am Jahrestag | |
Vor 83 Jahren fiel Deutschland in Polen ein. Nun kündigt PiS-Parteichef | |
Jarosław Kaczyński offizielle Reparationsforderungen Polens an Deutschland | |
an. | |
Erinnerungskultur in der Kleinstadt: Gedenken mit Abstrichen | |
Schwarzenbek bei Hamburg ringt mit der Vergangenheit. Neu ist ein | |
Gedenkstein für Zwangsarbeiter:innen – auch wenn er etwas anders | |
geplant war. | |
Gedenken an NS-Verbrechen: Bitte nur ein Ausnahmedenkmal | |
In Berlin soll bald ein Mahnmal an den NS-Terror in Polen erinnern – und an | |
mehr. Polnische Opferverbände kritisieren das staatsfixierte Verfahren. |