Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Letzte Generation vor Gericht: Selbstverteidigung gegen Klimakrise
> Bühne Gerichtssaal: Henning Jeschke von der Letzten Generation
> verteidigte sich vor Gericht selbst und bekam eine Geldstrafe.
Bild: Verteidigte sich vor Gericht selbst: Henning Jeschke von der „Letzten G…
Berlin taz | Henning Jeschke steht für sein Plädoyer auf, atmet schwer.
Bevor der 22-jährige Student der Politikwissenschaft am Mittwoch vor dem
Amtsgericht Tiergarten anfängt zu sprechen, ringt er erstmals mit den
Worten. Der Aktivist, eines der bekanntesten Gesichter der Gruppe „Aufstand
der Letzten Generation“, wirkt plötzlich unsicher, obwohl er sich in den
zwei Stunden zuvor eloquent selbst vor Gericht verteidigt hat.
In der langwierigen Verhandlung mit zahlreichen Beweisanträgen und
Verhandlungspausen legte Jeschke das Ausmaß der Klimakrise dar, beantragte,
Klimaexperten als Sachverständige zu laden und Jürgen Trittin zur Bewertung
der Wirksamkeit der Aktionen zu hören. Es ging um Naturkatastrophen,
Kipppunkte, kurzum: die Vernichtung der Menschheit. Und wie Jeschke vom
„braven Jugendlichen zum zivil Ungehorsamen“ wurde und warum er am 24. Juni
seine Hand auf der Seestraße in Berlin-Wedding festgeklebt hat, um den
Verkehr zu blockieren. Und dass er es wieder täte.
Es ist das [1][zweite von vielen Verfahren], die dem Amtsgericht Tiergarten
nach mehreren Blockadewellen bevorstehen. Die Aktivist*innen hatten
angekündigt, die Prozesse als Bühne nutzen zu wollen und gleichzeitig
Aktionen fortzusetzen. Beim Amtsgericht Tiergarten sind derzeit noch
[2][über 20 Verfahren anhängig], viele stehen noch bevor.
Nachdem Staatsanwalt Tim Kaufmann sich trotz Jeschkes Einlassungen dennoch
für versuchte Nötigung für eine Geldstrafe ausgesprochen hat, sagt Jeschke
ungläubig: „Ich bin echt schockiert. Menschen in Pakistan, die [3][vor der
Überschwemmung stehen], können nicht verhandeln, um …“, den Satz bringt
Jeschke nicht zu Ende, ringt sichtlich mit den Tränen und sagt: „Jetzt ist
die Zeit, mutig zu sein. Wir haben wenige Jahre!“
## Zuschauer*innen wischen sich Tränen aus dem Gesicht
Und dann schaut Jeschke die Richterin an und sagt: „Eine mutige
Entscheidung kann eine Debatte auslösen.“ Sein Ton klingt nun flehentlich
und verzweifelt: „Wenn Sie die Möglichkeit nicht nutzen, machen Sie sich
zur Komplizin der Vernichtung der Menschen im globalen Süden. Auf unsere
Gräber werden unsere Kinder spucken, wenn wir nicht handeln! Entscheiden
Sie, auf welcher Seite der Geschichte Sie stehen!“
Nach seinem Plädoyer ist es kurz still im Saal, während Jeschke in seinen
Stuhl sinkt und einen Schluck aus seiner Trinkflasche nimmt. Eine
Aktivistin, die neben ihm sitzt, streicht ihm über den Rücken. Im
Zuschauerraum wischen sich mehrere der rund 20 Aktivist*inen im Saal
Tränen aus dem Gesicht. Jeschke sagt nach dem Schluck Wasser, deutlich
leiser: „Entschuldigung, ich wollte niemanden unter Druck setzen … oder
vielleicht doch.“
Die Richterin Juliane Gschwendtner verurteilt Jeschke danach trotzdem wegen
versuchter Nötigung zu 20 Tagessätzen à 10 Euro. Ebenso muss er die
Verfahrenskosten tragen und der Sekundenkleber wird als Tatmittel
eingezogen. Sie entscheidet ganz so, wie Staatsanwalt Tim Kaufmann es zuvor
beantragt hatte. Den Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte
verwarf die Richterin während der Prozesses, weil die Aktion gewaltfrei
war. Bei allem Verständnis für das politische Anliegen bleibe der Versuch
der Nötigung strafbar, urteilte die Richterin. Gegen das Urteil kann
Jeschke binnen einer Woche Rechtsmittel einlegen.
Nach dem Urteil umarmten sich die Aktivist*innen und sprechen sich
gegenseitig Mut zu. Jeschke deutet an, trotz allem weiterzumachen. Er
sagt: „Wir waren am Anfang 30, jetzt sind wir 500.“
28 Sep 2022
## LINKS
[1] /Prozess-gegen-Autobahn-Blockierer/!5875268
[2] /1400-Anzeigen-wegen-Strassenblockaden/!5881510
[3] /Verheerende-Ueberschwemmungen-in-Pakistan/!5881996
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Repression
Schwerpunkt Klimawandel
Letzte Generation
Justiz
Soziale Bewegungen
Ziviler Ungehorsam
Schwerpunkt Klimaproteste
Letzte Generation
Letzte Generation
Lesestück Recherche und Reportage
Letzte Generation
## ARTIKEL ZUM THEMA
Aktionen der Letzten Generation: Bitte stören Sie weiter
Die Letzte Generation lässt alle Ordnungsliebhaber mächtig schäumen. Doch
die Aktivst:innen sind im Recht – und beweisen viel Mut.
Gefakte Notrufe der „Letzten Generation“: Verhöhnung der Demokratie
Dass die „Letzte Generation“ Autofahrer mit Straßenblockaden festhält, ist
anmaßend. Die Feuerwehr ohne echten Notfall zu alarmieren, gefährdet Leben.
Prozess gegen Autobahn-Blockierer: Klebrige Angelegenheit
Nils R. steht vor Gericht, weil er sich auf eine Straße geklebt hat. Was
wiegt mehr – die Not des Klimas oder die Nötigung von Berufspendlern?​
Strafen gegen die „Letzte Generation“: Jetzt werden Gerichte blockiert
66 Strafbefehle ergingen bisher gegen Klima-Aktivist*innen der „Letzten
Generation“. Die Prozesse wollen die Aktivist*innen jetzt für sich
nutzen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.