# taz.de -- Debatte um Panzerlieferungen nach Kiew: Deutsche Irrtümer | |
> Die deutsche Debatte um Lieferungen von Kampfpanzern an die Ukraine wird | |
> mit vielen Emotionen geführt. Doch es fehlt strategischer Weitblick. | |
Bild: Demonstration für Waffenlieferungen in die Ukraine im Juli in Berlin | |
Die deutsche Debatte um die [1][Lieferung von Kampfpanzern] ist von | |
Irrtümern geprägt. Der Spiegel behauptet, dass „deutsche Waffenlieferungen | |
zentral für einen Sieg Kiews über das mächtige Russland“ sein können. Das | |
stimmt nicht: In der ersten Jahreshälfte haben die USA Waffen und | |
Unterstützung im Wert von 24 Milliarden Euro an Kiew geliefert – dreimal so | |
viel wie alle europäischen Länder zusammen. Nur die USA können so schnell | |
so viele Waffen und Geld mobilisieren. Wie lange die Ukraine diesen | |
Verteidigungskrieg weiterführen kann, wird in Washington entschieden, nicht | |
in Berlin, Warschau oder London. Doch wenn man der Union, manchen Grünen | |
und FDPlern zuhört, scheint der militärische Erfolg der Ukraine von | |
deutschen Kampfpanzern abzuhängen. Das ist entweder | |
Dramatisierungsrhetorik, Selbstüberschätzung oder Ahnungslosigkeit. | |
Der zweite Irrtum lautet, dass Deutschland Kiew zu wenig unterstützt. Ein | |
FDP-Politiker hat die deutsche Hilfe lächerlich genannt. Die Regierung | |
werfe „Schiffbrüchigen Schwimmärmchen zu“. Viele Leitmedien schreiben seit | |
Monaten das Gleiche. Dabei hat Berlin für 730 Millionen Euro Waffen | |
geliefert: 24 Flakpanzer Gepard, 54 gepanzerte Truppentransporter, 14.900 | |
Panzerabwehrminen, 100.000 Handgranaten, Antidrohnenkanonen, | |
Mehrfachraketenwerfer und vieles mehr. Wer das für Schwimmärmchen hält, | |
muss von sehr vielen, sehr schweren Waffen träumen. | |
Ein weiterer Irrtum lautet: Der Kanzler steht immer nur auf der Bremse. Die | |
Union fordert am Donnerstag im Bundestag die „Ausfuhr von Kampf-, Schützen- | |
und Transportpanzern“ zu genehmigen und will so Scholz mal wieder als | |
Zauderer überführen. Dabei hat der Kanzler die politischen Koordinaten so | |
entschieden Richtung Militär verschoben wie zuvor nur Schröder und Fischer | |
mit dem Einsatz der Bundeswehr in Kosovo und Afghanistan. | |
Die Ampel rüstet mit 100 Milliarden die Bundeswehr auf. Deutschland | |
liefert, bislang undenkbar, massiv Waffen in ein Kriegsgebiet. In zwei | |
Jahren sollen 15.000 BundeswehrsoldatInnen im Baltikum als Teil der | |
Schnellen Eingreiftruppe der Nato rasch vor Ort sein. Inklusive 65 | |
Kampfjets, Kriegsschiffe und KSK, um im Falle eines Falles russisches | |
Militär zu bekämpfen. Faktisch wird Deutschland damit zur militärischen | |
Schutzmacht für die baltischen Länder, die Putin zum russischen | |
Einflussbereich zählt. In der deutschen Öffentlichkeit ist all das noch | |
nicht angekommen. | |
## Panzerdebatte als Chiffre | |
Scholz erklärt oft zu spät, was er tut – folgt aber eher strategischen | |
Überlegungen als moralischen Impulsen. Deutschland liefert effektive | |
Waffen, die aber eher hinter der Front eingesetzt werden. Eroberte deutsche | |
Kampfpanzer wären ein gefundenes Fressen für die russische Propaganda, die | |
den Überfall auf die Ukraine perfide als Zweiten Weltkrieg reinszeniert. | |
Ist es also „beschämend“, so der Tenor deutscher Medien, nicht als Erste | |
Hurra zu rufen und [2][Kampfpanzer zu liefern]? Briten, Franzosen und die | |
US-Regierung zögern übrigens auch. | |
Die Panzerdebatte ist nur als Chiffre zu begreifen. Es geht dabei um etwas, | |
das Deutsche wesentlich besser beherrschen als Militärtaktik oder | |
Geopolitik – moralisch überhöhte Selbstverständigung. Das kernige Ja zu | |
Panzerlieferungen gilt als ethisch nobel, ein Nein als verdächtige | |
Bedenkenträgerei. In den 1980er und 90er Jahren reklamierte die | |
Friedensbewegung die Moral für sich. Nun hat das Gefühl, auf der Seite des | |
Guten zu stehen, die Seiten gewechselt: von Schwerter zu Pflugscharen zu | |
Waffenexporten sofort. Die meisten Deutschen sind laut einer Umfrage gegen | |
Panzer für Kiew. Dafür sind nur Anhängerinnen der Grünen. | |
Verwunderlich ist auch, dass hierzulande schon leise Hinweise auf | |
Atomwaffendrohungen aus Moskau als Hasenfüßigkeit gelten. Keine Angst, die | |
bellen nur. Und wenn nicht? Putin hat neben der Teilmobilisierung und | |
Annexion besetzter Gebiete abermals mit Atomschlägen gedroht. Ein Zeichen | |
von Schwäche, ja, aber gerade deshalb beunruhigend. US-Präsident Biden, der | |
an Putin appellierte „Tun Sie es nicht!“, nimmt eine mögliche atomare | |
Eskalation ernster als deutsche Leitmedien. Statt German Angst nun German | |
Ignoranz – eine sonderbare Umkehr der 80er Jahre, als die USA Pershings | |
stationierten und viele Deutsche den „atomaren Holocaust“ fürchteten. | |
Die diskursive Anordnung „Fast alle gegen den Bremser Scholz“ führt zu | |
einer verzerrten Wahrnehmung. Verteidigungsministerin Lambrecht will die | |
[3][Richtlinien für Rüstungsexporte] lockern. SPD-Chef Klingbeil schwärmt | |
von der Führungsrolle Deutschlands in Europa. Kritik? Kaum. Es gibt im | |
Parlament keine seriösen Kritiker der neuen deutsche Rolle; die Linkspartei | |
ist ein Totalausfall. So läuft die Debatte immer nur in eine Richtung – sie | |
bräuchte aber zwei. Nötig wäre, sich von der Fixierung auf Waffen zu lösen. | |
Die Ampel hat früh versucht, Ländern wie Indien und Indonesien | |
Unterstützungsangebote zu machen, um so die westlichen Sanktionen zu | |
stützen. Das gehört zur klassischen Rolle einer Zivilmacht. Hat Scholz über | |
Symbolpolitik bei G7 hinaus genug dafür getan? Kommt noch was? Diese Fragen | |
tauchen, begraben unter Leopard-Panzern, nirgends auf. | |
Die Grundsatzfrage lautet: Bleibt Deutschland eine zivile Macht, die auf | |
Soft Power setzt, wenn es „militärische Führungsmacht“ (Lambrecht) in | |
Europa wird? Mit einem Militär, das so selbstverständlich zum mentalen | |
nationalen Gefühlshaushalt gehört wie in Frankreich oder Großbritannien. | |
Will Berlin die schwierige Rolle eines europäischen Halbhegemons – | |
stärker als alle Nachbarn, aber nie stark genug, um dominant zu sein – | |
wirklich offensiv annehmen? | |
Der Krieg in der Ukraine bringt geopolitische Verschiebungen mit sich. In | |
Deutschland diskutiert man lieber hochemotional über ein paar Panzer. Und | |
verwechselt ein Puzzleteil mit dem großen Bild. | |
22 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /SPD-Aussenexperte-ueber-Waffenlieferungen/!5882055 | |
[2] http://Kampfpanzer%20zu%20liefern | |
[3] http://xn--Richtlinien%20fr%20Rstungsexporte-xbdd | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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