# taz.de -- Tod von Queen Elizabeth II.: Beraubt, gedemütigt, gelyncht | |
> Nach dem Tod von Queen Elizabeth II. gab es auch Menschen, die nicht | |
> trauerten. Ja, es gab sogar solche, denen ihr Tod ein Trost war. | |
Bild: Elizabeth II. 1999 beim Staatsbesuch in Mozambique | |
Im unbemerkt herangekrochenen September trug es sich zu, dass die Fahnen im | |
Königreich auf Halbmast wehten und die Menschen in eine schwere Trauer | |
verfielen, [1][denn die Königin war tot]. Es war kein überraschendes Ende, | |
sie hatte lange gelebt, so wie es ihr gewünscht worden war, sie hatte | |
Kriege und Krisen überdauert und vermutlich häufiger von Balkonen gewinkt | |
als irgendwer sonst. | |
Eine Monarchin als Konstante, das hatte den Menschen gut getan, eine, die | |
blieb, während sich alles andere veränderte. Man habe sie geliebt. Ihr | |
Ableben [2][sei das Ende einer Ära]. Und so wuchsen Schnittblumenmeere und | |
so leuchtete ihre Landesflagge von vielen Wahrzeichen der Welt in die blaue | |
Nacht hinein, trotz Energieknappheit und Spargebot, denn der Respekt vor | |
ihrer Majestät verlangte nach Symbolik. | |
Jedoch trug es sich auch zu, dass über die Sache ebenjenes Respekts ein | |
Konflikt ausbrach, weshalb das öffentliche Trauerspiel nicht frei von | |
Störung blieb. Denn es gab auch Menschen, die trauerten nicht um die | |
Königin – es gab sogar solche, denen ihr Tod Trost war. Diese Menschen | |
verwiesen auf furchtbare Verbrechen, die während der Regentschaft der | |
Königin und im Namen ihrer Krone verübt wurden, sie erzählten von ihren | |
Eltern und Großeltern, die von der Monarchie beraubt, gedemütigt, gelyncht | |
worden waren. Die Königin war dazu stets still geblieben. Sie konnte nichts | |
tun, sagten ihre Verteidiger. Ihr war nur der Preis zu hoch, sagten ihre | |
Kritiker. | |
Für ihre Geschichten war, wie so oft, kaum Platz im Trauertheater | |
vorgesehen, und wenn doch, dann erst später, wenn eine unbefleckte | |
Erzählung Ihrer Majestät bereits für die Geschichtsschreibung konserviert | |
und weggeschlossen sein würde. Man müsse respektvoll an die Tote erinnern, | |
hieß es immer wieder, und damit war gemeint, dass nichts Schlechtes über | |
die Königin kundgetan werden sollte. Dass es respektvoll sein könnte, eine | |
möglichst vollständige Geschichte zu erzählen, kam ihnen nicht in den Sinn. | |
Dass Respekt nur glaubhaft fordern kann, wer ihn nicht längst verloren hat, | |
auch nicht. | |
## Ruf nach Pluralität | |
Sie trödelten, die Opfer der Monarchie zu verteidigen, aber sie eilten zur | |
Rettung der Königin. Sie waren gewohnt, die mächtigsten Geschichtenerzähler | |
zu sein, der Ruf nach Pluralität gefiel ihnen nicht. Seit Jahren geriet ins | |
Wanken, was ihnen teuer war: Leben ohne Reue und Sprechen ohne Widerspruch. | |
Und so erzählten sie sich weiter, dass sie das Bild der Königin | |
beschützten, obwohl es ihnen längst dämmern konnte, dass es vielmehr ihr | |
Selbstbild war, um dessen Unversehrtheit sie fürchteten. | |
„So nicht“, tönte es durch alle Lande, „und wenn doch, dann wann anders, | |
jedenfalls nicht jetzt, wo gerade eine Ära zu Ende geht!“ Doch diesen | |
Worten schallte nur Lachen entgegen. Die Königin war tot, der König bestieg | |
den Thron und erbte nicht nur ein Amt, sondern auch ein steuerfreies | |
Vermögen. Das allein war noch kein Ende einer Ära. | |
13 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Lin Hierse | |
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