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# taz.de -- Queen und Kolonialismus: Wessen Heldin?
> Die Rolle der Queen im kolonialen Schreckensregime zu thematisieren ist
> nicht pietätlos. Der richtige Zeitpunkt dafür ist gerade jetzt gekommen.
Bild: Elizabeth II. auf Besuch in der ehemaligen Kolonie Jamaika, 1983
Wer war Queen Elisabeth II.? [1][Die Antwort variiert, je nachdem wen man
fragt.] Für viele Menschen in Großbritannien war sie das geliebte
Staatsoberhaupt, das in Zeiten von Krisen, Neoliberalismus und Brexit etwas
Stabilität ausstrahlte. Für nicht wenige Deutsche dient sie bis nach ihrem
Tod als Projektionsfläche für die eigene identitäre Krise: mit royalem
Kitsch kann man sich selbst aus deutscher Sicht in eine schöne
Parallelrealität befördern.
Für Millionen von Menschen in den ehemaligen Kolonien Großbritanniens war
und ist Queen Elisabeth II. dagegen das Gesicht eines ausbeuterischen und
gewalttätigen Regimes, [2][das bis heute Landesgrenzen und Lebensrealitäten
prägt]. Von Jamaika über Kenya bis Ägypten und Pakistan regten sich nach
der ersten Eilmeldung zum Tod der Queen kritische Stimmen zum Wirken des
britischen Staatsoberhaupts. Dies sind Menschen, die nicht trauern, weil
sie nicht trauern können; die manchmal auf sozialen Medien Witze reißen
über den eurozentrischen Blick auf eine königliche Familie, in deren Namen
Kolonialismus betrieben wurde.
Wiedermal klafft also eine Wahrnehmungslücke zwischen mehrheitlich weißen
Menschen auf der einen und vielen rassifizierten Menschen auf der anderen
Seite. Die einen erinnern sich an eine Frau in bunten Kleidern, die
Empfänge organisieren ließ und – wie nun oft betont wurde – „schon imme…
war“.
Die anderen erinnern sich an ihre Rolle während der Suezkrise 1956, bei der
unter anderem britische Truppen Tausende ägyptische Unabhängigkeitskämpfer
töteten; an den Mau-Mau-Aufstand im heutigen Kenia, bei dem Zehntausende
Schwarze Kämpfer deportiert und gelyncht wurden; an die Apartheid in
Südafrika, die als direkte Folge europäischer Kolonialherrschaft bis heute
den Alltag der Menschen dort prägt. Bei all diesen Menschheitsverbrechen
spielte die Queen eine aktive Rolle. „Sie war schon immer da“, nur im
negativen Sinne. Es braucht dabei das Präfix post- vor dem Adjektiv
kolonial nicht.
## Mit aller Vehemenz verteidigen
Viele Queen-Bewunderer konzentrierten sich also weniger auf ihre teils
performative Trauer, sondern gingen dazu über, die verstorbene Königin mit
aller Vehemenz zu verteidigen. Sie habe keinen politischen Einfluss gehabt
und nichts ausrichten können, heißt es oft. Dabei hätte sie sich hinter den
Kulissen und in der Öffentlichkeit durchaus davon distanzieren können, dass
in ihrem Namen geraubt und gemordet wurde.
Der Dankbarkeit der eurozentrischen Masse liegt die Verpflichtung der Queen
ihrem eigenen Volk zugrunde. Auch die Tatsache, dass sich die Königin – als
nun mal höchste Repräsentantin des Vereinigten Königreichs – nie für die
kolonialen Verbrechen entschuldigt hat, sorgte nach ihrem Tod für eine
Eruption der Gefühle bei jenen, die in ihren Familiengeschichten Leid und
Schmerz aufgrund der Expansion europäischer Mächte erfahren haben, jene,
die ihre eigenen Toten seit Generationen betrauern.
Dieses vererbte Trauma hängt auch damit zusammen, dass es in ganz Europa –
also auch in Deutschland – keine etablierte und von der breiten
Bevölkerung, insbesondere von Weißen getragene de-koloniale
Erinnerungskultur gibt. Es ist das Aussparen dieses Menschheitsverbrechens,
dass die Trauer der einen auf das Trauma der anderen prallen lässt. Eure
Heldin ist das Gesicht unseres Schreckens: Ja, das hört niemand gerne auf
einer Beerdigung.
Dabei spart eine gute Trauerrede die kritischen Episoden aus der Biografie
einer verstorbenen Person nicht aus. Knackpunkt war die Art und Weise, wie
an die Queen in den ersten Tagen nach ihrem Tod erinnert wurde: historisch
alles andere als akkurat. Auf allen großen Nachrichtenseiten, Titelblättern
und in Fernsehprogrammen führten Redaktionen im Schnelldurchlauf durch das
lange Leben der Queen. Von ihrer Geburt über ihre Krönung 1953, ihren
Umgang mit Prinzessin Diana, ja sogar ihr Lieblingsessen, ihre Leidenschaft
für Pferde bis zu der abgenutzten Anekdote, dass sie mit ihrer Handtasche
ihren Bediensteten nonverbal ihr Empfinden signalisierte. Nur ein Thema
wurde in den vergangenen Tagen an vielen Stellen ausgeblendet: die Rolle
des royalen Systems während und nach dem britischen Kolonialismus, die
feste Beziehung europäischer Staaten zu autoritären Systemen in Afrika,
Asien und Amerika heute.
Dieses Schweigen sprach zu vielen marginalisierten Menschen in den
ehemaligen Kolonien und in der europäischen Diaspora. Auch weil der Tod der
Queen nicht plötzlich kam, und das Programm für den Tag danach fertig in
den journalistischen Schubladen lag. Nur dachte niemand im
Mainstreamdiskurs daran, dass es andere Perspektiven auf das Leben einer
der einflussreichsten Menschen der Welt geben könnte. Viele entschieden
sich nur für die schöne Hälfte der Trauerrede.
## Druck marginalisierter Communitys
Eine Thematisierung der kolonialen Melancholie Europas sei jetzt pietätlos,
gaben einige in den vergangenen Tagen zu Protokoll. In Wahrheit ist für sie
eine Thematisierung des Kolonialismus immer fehl am Platz.
Die Verwischung europäischer Verbrechen auf anderen Kontinenten ab der
Berliner Konferenz 1884/1885 bis hin zur Unabhängigkeit afrikanischer
Staaten in den 1950er und 1960er Jahren und der Rückgabe Hongkongs an den
Autoritarismus der Kommunistischen Partei Chinas im Jahr 1997 wird die
Gesellschaften Europas in Zukunft allerdings auf Druck marginalisierter
Communitys im Inland und vor allem aus der ehemaligen kolonialen Peripherie
nun öfters beschäftigen. Das ist gut, weil dieser Druck heilsame Kraft
entfalten und eine gemeinsame Trauer ermöglichen könnte.
13 Sep 2022
## LINKS
[1] /Nachruf-auf-Koenigin-Elizabeth-II/!5881010
[2] /Koloniale-Herkunft-von-Victoriasee/!5713972
## AUTOREN
Mohamed Amjahid
## TAGS
Queen Elizabeth II.
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