Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Reaktionen auf Siegesmeldungen: Sehnsucht nach guten Nachrichten
> Der Vormarsch der ukrainischen Armee bei Charkiw sorgt in Kyjiw für
> Hoffnung – aber auch Bangen. Freude kommt aber angesichts der Opfer nicht
> auf.
Bild: Die Toten nicht vergessen: Gedenken in Kiew an getötete ukrainische Sold…
Sonntage sind in Kyjiw für viele Menschen Tage zum Spazieren – auch wenn es
gleich am Morgen anderthalb Stunden Luftalarm gibt und es aus dem
wolkenverhangenen Himmel hin und wieder nieselt. Man will Normalität und
hat Sehnsucht nach guten Nachrichten. Deshalb werden die Neuigkeiten von
der Front schon seit ein paar Tagen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Die
Stimmung ist irgendwo zwischen Hoffen und Bangen. Vor allem der [1][rasante
Vormarsch der ukrainischen Armee] in der Region Charkiw beschäftigt die
Menschen.
Das merkt man eigentlich überall: in der U-Bahn, irgendwo unterwegs oder im
Café. Menschen scrollen auf ihren Smartphones durch Messengerdienste. Am
Nachbartisch unterhalten sich zwei Männer über den Krieg. Einer erzählt von
der offiziellen Stellungnahme des russischen Militärs zu dessen
[2][fluchtartigem Abzug aus Isjum]: „Sie nennen es Umgruppierung.“ Beide
lachen.
Am Rand des Maidan mitten in der Stadt hat Switlana ihren Stand aufgebaut.
In eine warme Jacke eingepackt bietet sie Souvenirs mit aktuellem Bezug an:
ukrainische Fähnchen, Fellmützen mit dem Staatswappen und eine Auswahl an
T-Shirts. In mehreren Farben gibt es eins, das ein Bild eines ukrainischen
Soldaten zeigt, der dem untergegangen russischen Flaggschiff Moskwa den
ausgestreckten Mittelfinger zeigt. „Die Geschäfte gehen heute gut“, sagt
sie.
Über die Erfolge der ukrainischen Armee in der Region Charkiw ist sie im
Bilde. Sie komme selbst ursprünglich von dort, aus Wowtschansk. Der Ort
liegt nur rund zehn Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt und ist
seit den ersten Tagen der Invasion besetzt. Nun sei die ukrainische Armee
nicht mehr weit und sie hoffe, dass der Ort bald befreit werde. „Ich habe
Familie dort“, sagt sie. Eine Cousine sei gestorben, weil die Besatzer sie
nicht in ein Krankenhaus fahren ließen. In sozialen Medien kursieren
unterdessen Meldungen, dass die russische Armee den Ort bereits verlassen
hätte. Man müsse erstmal abwarten, meint Switlana.
## „So viele Tote“
Taxifahrer Andrej muss man gar nicht erst fragen. Er komme aus dem
besetzten Cherson im Süden des Landes und sei Anfang März geflohen. Frau
und Kinder seien bei Verwandten im Westen der Ukraine, er in Kyjiw, um Geld
zu verdienen. Jeder Ort weniger unter russischer Kontrolle sei ein Erfolg.
Aber besorgt ist er dennoch. Russland halte noch große Gebiete der Ukraine
besetzt. „Wir wissen nicht genau, was dort vor sich geht“, sagt er. Aber er
fürchtet Schlimmes. Es könne überall sein [3][wie in Butscha], wo hunderte
Zivilisten getötet wurden. Um das zu stoppen, müsste die russische Armee
aus der ganzen Ukraine vertrieben werden. „Dafür brauchen wir mehr Waffen,
auch aus Deutschland.“
Im Kyjiwer Vorort Irpin, der im März umkämpft und teilweise besetzt war,
macht sich Soldatin Oksana Sorgen um ihre Mitkämpfer. Sie kenne viele
Soldat*innen persönlich, die auch dort im Einsatz sind. Nachrichten über
zurückeroberte Gebiete und Städte erreichen sie daher schnell. „Meistens
sehe ich ein Foto oder einen kurzen Text auf Facebook“, erzählt sie. „Und
ein paar Stunden später oder am nächsten Tag kommt dann die offizielle
Bestätigung.“
Der Vormarsch sei natürlich eine gute Sache, aber sie denke auch daran,
welche Opfer dafür nötig sind. „Es gibt viele Tote, so oder so.“ Und die
könnten alle noch leben, wenn Russland nicht angegriffen hätte. Dazu kämen
die Verwundeten. Ein Bekannter sei im Frühjahr schwer verletzt worden.
Granatsplitter hätten in beiden Beinen Arterien durchtrennt. Nur weil er
sich sofort selbst mit Aderpressen abgebunden hätte, sei er noch am Leben.
Die Beine haben die Ärzte sogar retten können, aber richtig laufen könne er
auch nach Monaten noch nicht.
11 Sep 2022
## LINKS
[1] /-Nachrichten-im-Ukrainekrieg-/!5881003
[2] /-Nachrichten-im-Ukrainekrieg-/!5881085
[3] /Nach-dem-Massaker-in-Butscha/!5843396
## AUTOREN
Marco Zschieck
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Offensive
Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Energieversorgung in der Ukraine: Angst vor der Kälte
Die Stadt Wowtschansk war von Russen besetzt, wurde befreit – und muss nun
wieder zittern. Denn es kommt kein Gas mehr an.
+++ Nachrichten im Ukrainekrieg +++: Erneut Stromausfall in Charkiw
Einigung zur Sicherheitszone rund um Saporischschja ist in Aussicht, so die
IAEA. Russland räumt „deutliche Übermacht“ ukrainischer Truppen in Charkiw
ein.
Vorrücken der ukrainischen Armee: Aggressor im Rückwärtsgang
Die These vom unvermeidlichen russischen Sieg wankt. Waffenlieferungen
helfen der Ukraine, das ist klar. Unklar ist aber, wie Putin jetzt
reagiert.
Geländegewinn der ukrainischen Armee: Jetzt nicht nachlassen
Nicht zuletzt wegen der steigenden Lebenshaltungskosten droht die
Solidarität mit der Ukraine Risse zu bekommen. Weniger Unterstützung wäre
fatal.
Russische Deportationen aus der Ukraine: Fakten schaffen ohne Waffen
Verschleppungen von Ukrainer*innen nach Russland sind seit Monaten
Praxis. Der Kreml will auch so die Ukraine von der Landkarte tilgen.
Ukraine meldet Erfolge: Siegeszug oder zermürbender Krieg?
Die Ukraine meldet die Rückeroberung dreier Dörfer und Russland droht.
Derweil fällt im AKW Saporischschja die letzte Leitung aus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.